Mareice Kaiser über ihr Buch "Das Unwohlsein der modernen Mutter"
Der Druck und die Ansprüche, die an moderne Mütter gestellt werden, sind riesig, sagt die Journalistin Mareice Kaiser. Darüber hat sie das Buch "Das Unwohlsein der modernen Mutter" geschrieben. Ein Gespräch.
"Versorgerin, Business-Woman, Mom, I'd like to fuck" - Mütter sollen heute alles sein." So beginnt der Klappentext von Mareice Kaisers Buch "Das Unwohlsein der modernen Mutter". Da sein für die Kinder, dem Beruf nachgehen, erfolgreiches Liebesleben führen und dabei noch gut aussehen - und das alles mit möglichst viel Gelassenheit - hinter diesem Ideal stecke ein strukturelles Problem, sagt Kaiser.
Frau Kaiser, vorab die Frage: Wie sah eigentlich Ihr Morgen heute aus?
Mareice Kaiser: Ich habe gerade einen Podcast aufgezeichnet, indem ich über - Überraschung - Mutterschaft gesprochen habe. Also ganz schön eigentlich.
Und die Mutterschaft in der Praxis, also Kinder in die Schule bringen oder so - welchen Raum hat das heute eingenommen?
Kaiser: Gar keinen. Der Vater hat das übernommen. Es gibt Väter, die sich um Kinder kümmern.
Ich bin auch Papa und ich habe heute Morgen auch schon eine Brotdose gepackt und meine Tochter in die Kita gebracht. Warum ist das aber doch etwas anderes, als die Sache mit den Müttern, die Sie in Ihrem Buch beschreiben?
Kaiser: Erstmal ist es so, dass sehr viel mehr Mütter die Fürsorgeverantwortung für Kinder übernehmen. Wer kauft das Kinder Geburtstagsgeschenk ein oder die nächsten Winterschuhe, wer schmiert morgens das Schulbrot oder das Brot für die Kita? Es sind vorwiegend Mütter. Es verändert sich ein bisschen, aber aus meiner Perspektive auf jeden Fall zu schleppend. Auch die Erwartungen sind andere: Eine Mutter, die sagt, sie habe heute Morgen nichts mit ihrem Kind zu tun, ist eher die Ausnahme. Eine gute Mutter zu sein, das ist ein großes Ideal und es steckt ziemlich viel Druck dahinter und ist ein bisschen anstrengender, als ein guter Vater zu sein.
Was macht das mit den Müttern, dass sie vermeintlich all diesen Ansprüchen gerecht werden müssen?
Kaiser: Das ist das, was ich "Unwohlsein" genannt habe. Mein Buch "Das Unwohlsein der modernen Mutter" basiert auf einer Studie vom deutschen Wirtschaftsinstitut, wonach es nach der Geburt einem Drittel aller Mütter substanziell schlechter geht. Die leiden unter depressiven Verstimmungen, Angstgefühlen, machen oft einen sozialen Rückzug, sind vereinzelt, fühlen sich allein und überfordert. Eine große Rolle spielt auch das Gefühl des Scheiterns. Viele Mütter haben das Gefühl, diesem Ideal nicht entsprechen zu können - was kein Wunder ist, wenn wir uns vergegenwärtigen, was da alles zusammenkommen muss. Das kann eigentlich kein Mensch alleine schaffen. Mütter sollen das aber und merken ziemlich schnell, dass das alles gar nicht so funktioniert wie in irgendwelchen Heile-Welt-Büchern dargestellt. Dann kommt schnell der Gedanke, dass das ihre persönliche Schuld ist - dabei steckt eigentlich ein strukturelles Problem dahinter.
Im Syker Vorwerk findet derzeit eine Ausstellung zum Thema "Motherhood" statt. Eine der Künstlerinnen, die dort ihre Arbeiten zeigt, ist Hannah Cooke, und die hat uns ziemlich Deprimierendes erzählt: "Ich habe geguckt, welche Künstlerinnen eigentlich Kinder haben und damit auch in die Öffentlichkeit gehen oder haben damit einen ganz normalen Alltag als Künstlerin. Ich bin auf zwei Interviews gestoßen, die mich komplett niedergeschlagen haben: Tracey Emin und Marina Abramowitsch sagen, es sei nicht möglich, Mutter und gleichzeitig geniale Künstlerin zu sein." Ist das ein typisches Beispiel?
Kaiser: Auf jeden Fall. Da kommen ganz viele Sachen zusammen bei diesem sehr klugen Interview. Ich kenne auch das Interview mit Abramowitsch, die sagt, man habe nur so und so viel Kraft und die könne man nicht in die künstlerische Arbeit stecken und gleichzeitig in die Arbeit rund um Mutterschaft. Dazu kommt noch die Abwertung von Müttern: Wir haben da so eine Ambivalenz - auf der einen Seite dieses Ideal und auf der anderen Seite eine Abwertung von allen Dingen, die mit Mutterschaft verknüpft sind. Die Fürsorgearbeit zum Beispiel, das sei eine Arbeit, die quasi selbstverständlich gemacht wird und gar nicht anstrengend sein darf. Jammern darüber darf man sowieso nicht, weil man sich das quasi so ausgesucht hat. Man hat sich aber nicht diese ganzen Ideale ausgesucht, die in der Struktur stattfinden, denen man gar nicht gerecht werden kann, ohne am Ende krank zu werden oder mindestens überfordert zu sein. Da ist die Frage: Wie entsteht eigentlich Kunst? Kunst entsteht, indem wir Zeit haben, Raum haben, Geld haben, also all die Ressourcen, um uns Zeit zu nehmen, um über den Status quo einer Gesellschaft nachzudenken. Die wenigsten Mütter haben diese Zeit, diese Ressourcen, und deswegen wird Kunst auch sehr selten von Müttern gemacht. Damit liegt auch das nächste Problem auf der Hand: Mütter werden unsichtbar gemacht, zum Beispiel in der Kunst, und dadurch fehlt eine ganz wichtige Perspektive in unserer Gesellschaft.
Das ist aber etwas, was in der Vergangenheit wahrscheinlich eher noch extremer war. Nun nennen Sie es aber: "Das Unwohlsein der modernen Mutter" - aber eigentlich ist dieses Unwohlsein überhaupt nicht neu, oder?
Kaiser: Es ist anders und es wird auch anders damit umgegangen. Wenn wir ein paar Jahrzehnte zurückgehen, in die Generation unserer Eltern vielleicht, dann war die Rolle der Mutter sehr klassisch in einer heteronormativen Kleinfamilie: Der Mann geht arbeiten, die Frau ist zu Hause, kümmert sich um Haushalt und Familie, damit zu Hause alles hübsch ist. Sie begrüßt ihren Mann, wenn er nach der Arbeit nach Hause kommt, im besten Fall lächelnd und die Kinder sind natürlich auch gut drauf. Damals war es so, dass nicht alle Mütter super zufrieden damit waren, sondern sie haben dann zum Beispiel zu "Frauengold", also Alkohol, gegriffen. Heute ist es so, dass zu diesem Ideal, das immer noch existiert, noch mehr dazu kommt. Aber es ist von dem alten Ideal nichts weggegangen. Es gibt also sehr viel Arbeit zu leisten und es ist kein Wunder, wenn dadurch mindestens ein Unwohlsein entsteht.
Wie sollte eine Mutter, eine Frau mit diesem Druck umgehen? Was am Sie für Erkenntnisse gewinnen können, indem Sie sich damit beschäftigt haben?
Kaiser: Die Frage ist schwierig, wie Mütter damit umgehen. Die Frage ist eher: Wie wollen wir als Gesellschaft damit umgehen? Wir sagen immer, dass die Kinder unsere Zukunft sind, dass wir einen Generationenvertrag haben und dass die Kinder auch dafür sorgen müssen, wie es uns später mal geht, Stichwort Rente. Gleichzeitig kümmern wir uns aber nicht um Kinder und um die Menschen, die sich um Kinder kümmern; die lassen wir links liegen. Wir haben eine Gesellschaft, die sich an Erwachsenen ohne Kinder ausrichtet und die alles andere ist als kinder- und mütterfreundlich. Das müssten wir ändern und dafür sind nicht nur Mütter verantwortlich, sondern Menschen, die privilegierter sind, die Zeit haben, Ressourcen und die Kraft, sich dafür einzusetzen. Denn wenn Menschen benachteiligt sind, ist es nicht ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich das ändert, sondern es ist die Aufgabe der Anderen, zu sagen: Ich habe zum Beispiel eine Kollegin, die Kinder hat und die nach 16 Uhr keine Meetings machen kann - also setze ich mich als kinderlose Person dafür ein, damit es ihr besser geht, weil es mir eh gut geht.
Das Interview führte Jan Wiedemann.