Tan Caglar © picture alliance/dpa Foto: Julian Stratenschulte

Kultur erleben mit Beeinträchtigung: Comedian Tan Caglar im Gespräch

Stand: 03.12.2024 16:00 Uhr

In Berlin wurden am Montag die "Teilhabe-Empfehlungen für eine inklusive Kultur" überreicht. Moderiert hat die Veranstaltung Tan Caglar. Der Comedian und Schauspieler sitzt im Rollstuhl und thematisiert das auch in seinem Comedy-Programmen.

Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, hat zusammen mit Christian Höppner, Präsident des Deutschen Kulturrates, und Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, die Empfehlungen für eine inklusive Kultur der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth, und Katrin Budde, Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien des Deutschen Bundestages haben diese Empfehlungen entgegengenommen. Sie sind das Ergebnis eines dreijährigen Austausches mit Institutionen aus dem Kultur- und Mediensektor, Expertinnen und Experten der inklusiven Kulturszene sowie Vertreterinnen und Vertretern der Selbstvertretung von Menschen mit Behinderungen.

Herr Caglar, Ihr erstes Programm 2017 hieß "Rollt bei mir". Wieso machen Sie Witze über Ihre Behinderung?

Tan Caglar: Ich mache vor allem Witze mit der Behinderung, und da geht es darum, in was für seltsame Situationen man als Rollstuhlfahrer kommen kann, und auch als mein Gegenüber, nämlich der nicht behinderte Mensch. Wenn diese beiden aufeinandertreffen, dann ist das manchmal so ein bisschen "Clash of the Titans". Das, was da rauskommt, ergibt mein Comedy-Programm. Das führt zu guten und lustigen Situationen beiderseits.

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Man hat das Gefühl, dass sich in den letzten Jahren einiges getan hat, wenn man beispielsweise an Rollstuhlrampen denkt. Im Publikumsbereich scheint das inzwischen relativ häufig mitgedacht zu werden - aber wie sieht es Backstage aus, beispielsweise in Theatern? Was machen Sie da so für Erfahrungen?

Caglar: Grundsätzlich ist es so, dass es in Deutschland in den letzten zehn Jahren fühlbar besser geworden ist mit der Inklusion. Man hat ein Gefühl dafür bekommen durch die Sichtbarkeit, die durch die Medien erstellt wird. Das ist schon mal ein sehr guter Fortschritt. Wir sind noch lange nicht so weit wie in Amerika, England oder Kanada, aber wir sind auf einem sehr guten Wege. Das merke ich auch bei meiner Tour, wenn es dann ans Eingemachte geht. Ich trete in eher älteren Theatern auf, und das hat viel mit Denkmalschutz zu tun. Bei meiner gestrigen Moderation hat jemand gesagt, Denkmalschutz und Barrierefreiheit seien nicht die besten Freunde. Das Wort sage es ja schon: Denk-mal. Vielleicht sollte man einfach mal denken und sagen, dass der Mensch im Vordergrund stehen sollte anstatt das Gebäude. Denn alle haben das Recht auf Kultur und Kunst. Klar, wenn ich irgendwo auftrete, dann wird auch mal im Vorfeld eine Rampe bestellt oder auch mal eine gebaut. Das Lustige an der Sache ist: Ganz oft passiert es, dass danach andere Künstler oder Musikgruppen sagen: Jetzt kriegen wir endlich mal unsere Musikinstrumente auf die Bühne; kannst du bitte immer vor uns auftreten? Daran sieht man, dass es uns alle betreffen kann und uns allen helfen kann.

Was ist das Absurdeste, was Ihnen in dieser Richtung passiert ist?

Caglar: Einmal hat man überhaupt nicht daran gedacht, dass ein Rollstuhlfahrer wahrscheinlich nicht die Treppe hochkommt. Das war total lustig, weil mich die Security vor dem Publikum auf die Bühne hieven musste. Die waren zwar super stark, aber die haben das noch nie gemacht und hatten Probleme. Das hat zu einigen Lachern geführt. Es ist eine komische Situation, wenn man da hochgetragen wird, und man dann zwei Stunden erzählt, wie man selbständig durchs Leben geht.

Das Allerverrückteste war, dass derselbe Veranstalter ein Jahr später einen Treppenlift besorgt hat, der mit gefühlten 0,1 km/h da hochgefahren ist. Ich glaube, da waren schon mal zehn Minuten von meinem Programm weg - die haben wir dann hinten drangehangen. Das war dann auch wieder ein super Gag. Daran sieht man, dass der Wille da ist, aber es hakt noch an manchen Stellen.

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Die Teilhabe-Empfehlung umfasst 40 Seiten mit ganz konkreten Forderungen. Was ist Ihnen in Ihrem Bereich - Kabarett, Comedy, Bühne - besonders wichtig?

Caglar: Was ganz wichtig ist, ist die Sichtbarkeit. Bei Menschen, die ein Handicap haben und die etwas können, sollte man auch von Veranstalterseite den Mut haben und sagen: Na klar, kannst du bei mir auftreten, das spielt für mich keine Rolle - Hauptsache, du funktionierst. Genauso ist es auch bei den Teilhabe-Empfehlungen, wenn es zum Beispiel um Zugänge geht. Es kann nicht sein, dass mich Leute fragen, warum es nur drei Rollstuhlplätze gibt, warum sie als Rollstuhlfahrer nicht zu einem Rollstuhlfahrer kommen können. Da sage ich dann: Es tut mir leid, das spielt einfach keine Rolle, wer hier oben auftritt, das hat etwas mit den Gegebenheiten hier zu tun. Daran muss man arbeiten. So etwas wird in den Teilhabe-Empfehlungen auch thematisiert.

Das klingt, als ginge es gar nicht unbedingt um Maßnahmen, die irre viel Geld kosten, sondern als wäre das auch eine Einstellungsfrage.

Caglar: Ich persönlich kann es schwer einschätzen, was so etwas im Endeffekt kosten würde. Gestern ist bei der Veranstaltung wieder etwas passiert, wo ich den Kopf geschüttelt habe. Wir haben auf der Bühne darüber geredet, dass keine Kosten und Mühen gescheut werden sollten und dass mehr Geld investiert werden sollte. Mein Assistent ist Gebärdendolmetscher, und die Funktionäre haben ihn gefragt, was denn so eine Dolmetscher-Stunde kostet. Das hat er dann gesagt, und sie meinten, dass das wirklich teuer sei. Da habe ich mir gedacht: Wir haben gerade darüber gesprochen, dass es nicht so wichtig sein darf, was das kostet, denn wir wollen das irgendwie möglich machen, und kaum eine Stunde später wird schon wieder gemeckert, das alles zu teuer sei. Man muss da irgendwo einen Punkt finden, wo man sich fragt, was einem wirklich wichtig ist, und man darf auch nicht vergessen, dass man in anderen Bereichen auch sehr viel investiert. Wir sprechen hier von Menschen, die eine Behinderung haben - das kann alle treffen. Stellen Sie sich vor, Sie müssten jemandem sagen: Sorry, du kommst hier aufgrund deiner Umstände nicht rein und kannst dir die Show nicht angucken. Das sollte es eigentlich wert sein, dass man das machen darf und machen kann.

Das Gespräch führte Friederike Westerhaus.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 03.12.2024 | 17:15 Uhr

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