"Kant ist die Norm": Philosoph Manfred Geier im Gespräch
Am Montag jährt sich der Geburtstag von Immanuel Kant zum 300. Mal - dem Philosophen der Aufklärung, der unser Bild vom Menschen und von der Welt geprägt hat wie kaum ein Zweiter. Der Hamburger Kant-Biograf Manfred Geier erläutert die wegweisende Bedeutung Kants.
Kants "kategorischer Imperativ" ist fast sprichwörtlich. Auch wenn längst nicht allen klar sein dürfte, was damit gemeint ist. Für den Philosophen Geier hat der Mann aus Königsberg jedenfalls Maßstäbe gesetzt und dem kritischen Menschen seine Mündigkeit gegeben. Einen Auszug des Interviews lesen Sie hier, das ganze Gespräch hören Sie am 21. April ab 13 Uhr bei NDR Kultur und vorab bereits online.
Herr Geier, welche Bedeutung hat Immanuel Kant für das menschliche Denken und dessen Selbstbewusstsein?
Manfred Geier: Das ist eine unglaubliche Selbstermächtigung. Und zwar nicht des Menschen, der irgendwas glaubt oder von irgendjemandem abhängig ist, der Staatsbürger ist, weil ihm der Staat was vorschreibt, sondern das ist eine ungeheure Aufwertung menschlicher Fähigkeiten. Selbstgesetzgebung, ein freier Wille, den der Mensch verfolgen kann, eine eigene Moralität, für die er selbst verantwortlich ist. Eigene Fragen, die er an die Welt stellt.
Natürlich nicht als bloßes Einzelwesen. Auch in Kooperation mit anderen Menschen. Man spricht, man liest, man reflektiert, man setzt sich miteinander auseinander. Es ist eine unglaubliche Ermächtigung menschlicher Fähigkeiten gegenüber allen anderen Vormächten, die vorher galten: die Natur, der Instinkt, der Feudalstaat, der einem vorschreibt, was man zu tun hat. Die Glaubensgewissheit einer theologischen Dogmatik, die über die kirchliche Macht durchgesetzt wird. All das wird zurückgedrängt gegenüber der menschlichen Souveränität. Das ist modern.
Ist Kant also von der Physik, der Wissenschaft der Dinge zu dem gelangt, was der Mensch und das Gehirn vermag?
Geier: Kant sagt, der menschliche Verstand stellt die Fragen an die Welt, und versucht, zu verstehen und zu erkennen, was in der Welt tatsächlich der Fall ist. Das ist eine Autonomisierung. Der Mensch wird in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt mit seinen Fähigkeiten. Die Welt gibt nur Antworten auf das, was der Mensch wissen will.
Ist Kant für uns wirklich "die Norm"?
Geier: Kant ist nicht nur der vernünftige Mensch, sondern er ist auch der kritische Mensch. Er ist ein Mensch, der das, was als wahr behauptet wird oder als Glaubenssicherheit gilt, auf den Prüfstand der Nachprüfbarkeit stellt. Er möchte wissen, ob das wirklich einer Überlegung, einer rationalen Nachkonstruktion standhält. Und insofern ist er natürlich ein scharfer Kritiker auch von Dogmen, von Glaubensgewissheiten, die nur behauptet werden.
Und er führt also auch das kritische Denken ein. Und in dieser Beziehung ist er tatsächlich, glaube ich, eine unverwechselbare Figur des 18. Jahrhunderts. Und die Bücher heißen nicht zufälligerweise "Kritik der Vernunft", "Kritik der praktischen Vernunft" und "Kritik der Urteilskraft". Das sind kritische Arbeiten, um zu zeigen, wozu der Mensch als nachdenkliches Wesen in der Lage ist.
Das Gespräch führte Jens Büchsenmann.