Inklusion in der Kultur: Kunst kennt keine Grenzen
Fast jeder zehnte Mensch in Deutschland hat eine schwere Behinderung, doch in der Kulturszene sind sie fast nicht sichtbar. Woran liegt das?
"Ich wundere mich, warum es so wenig Menschen mit Behinderung in der Kunst und in der Kultur gibt", sagt Tan Caglar. Der Comedian benutzt selbst einen Rollstuhl, macht sein Handicap auf der Bühne zum Thema und setzt sich für Gleichstellung ein. Er hat es geschafft: Ausverkaufte Shows, eine Hauptrolle in der ARD-Serie "In aller Freundschaft".
Doch noch immer haben es viele Künstlerinnen und Künstler mit Handicap schwer, sich durchzusetzen. Rund 7,9 Millionen schwerbehinderte Menschen leben in Deutschland (Stand: Ende 2019), in der Kulturszene sind sie zu selten vertreten. Dabei kann eine Behinderung jeden treffen: Nur drei Prozent aller Menschen mit Behinderung in Deutschland haben ihr Handicap von Geburt an oder im ersten Lebensjahr bekommen. Neun von zehn Behinderungen werden durch eine Krankheit ausgelöst.
Die Kunst soll im Mittelpunkt stehen
"Im Grunde genommen darf das gar kein Thema sein, ob der Künstler eine Behinderung hat oder nicht. Letztendlich kommt es auf das Ergebnis an.", sagt Tan Caglar. Auch Malerin Nora möchte, dass ihre Kunst aufgrund ihrer Qualität gekauft wird und nicht aus Mitleid. Sie arbeitet im Atelier Freistil in Hamburg - und Künstlerin ist ihr Beruf. In ihrer Ateliergemeinschaft entstehen Werke, die auch ausgestellt und verkauft werden. Die Arbeiten sollen im Mittelpunkt stehen, nicht das Handicap derer, die sie erschaffen.
Doch im Kunstbetrieb ist das oft schwer. Bettina Grevel vom Atelier Freistil beklagt, dass die Künstlerinnen und Künstler mit Behinderung oft keinen Zugang haben zu den Kunsthochschulen und Kulturinstitutionen: "Wir müssen zur künstlerischen Qualifikation, Kooperationen entwickeln und langfristig und dauerhaft Möglichkeiten generieren."
Felix Klieser - Hornist ohne Arme
Musiker Felix Klieser war bereits mit 13 Jahren Jungstudent an der Musikhochschule in Hannover. Er wurde ohne Arme geboren und gehört zu den erfolgreichsten Hornisten weltweit. "Eine der lustigsten Fragen, die ich immer wieder höre: Ist es schwerer, mit den Füßen Horn zu spielen? Ich weiß es nicht, das kann ich nicht miteinander vergleichen." Klieser will seine Behinderung nicht in den Vordergrund stellen, und er möchte keine Verallgemeinerungen: "Die Probleme, die ich habe, hat ein Rollstuhlfahrer nicht, die Probleme, die ein Rollstuhlfahrer hat, habe ich nicht. Bei einer geistigen Behinderung ist es wiederum komplett anders. Das ist ein unglaublich individueller Bereich." Die Gesellschaft macht es sich mit pauschalen Schubladen zu einfach.
Keine Begrenzung in der Kunst, ob mit oder ohne Behinderung
"Ich mag das gar nicht, wenn man sagt: Mensch mit Behinderung - und Mensch ohne Behinderung." Schauspielerin Friederike Jaglitz ist der Meinung, dass man diese Begrenzung nicht immer wieder erwähnen muss. Sie spielt bei Meine Damen und Herren in Hamburg, einer festen Gruppe von professionellen Schauspielerinnen und Schauspielern mit sogenannter geistiger Beeinträchtigung. Das Ensemble hat schon mehrfach mit anderen Theatern kooperiert, Friederike Jaglitz hat bei einer Inszenierung im Jungen Schauspielhaus Hamburg mitgespielt. Aber sie beklagt, dass Regisseure oder Dramaturgen zu selten bereit sind, Schauspielerinnen und Schauspieler mit Behinderung zu besetzen.
In der Kultur darf es kein Handicap geben
Inklusion in der Kulturszene ist nach wie vor eine Herausforderung. Dabei ist schon das Wort an sich ein Symptom dafür, dass es noch weit ist bis zur wirklichen Gleichgestellung. "Inklusion ist eigentlich ein Begriff für Menschlichkeit, und es ist ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft, dass wir so etwas erfinden müssen", so Comedian Tan Caglar. "Erst, wenn der Begriff Inklusion nicht mehr gebraucht wird, haben wir sie erreicht." Auch Bettina Grevel vom Atelier Freistil wünscht sich, "dass wir das Wort Inklusion vielleicht irgendwann gar nicht mehr sagen müssen." Unterscheidet sich die Kunst von Menschen mit und ohne Behinderung? Gerade in der Kultur darf es kein Handicap geben.