In der "Fernsehrealität" finden Frauen mittleren Alters nicht statt
21 Millionen der Frauen in Deutschland sind über 47 Jahre alt. In Fernsehen und Film wird aber kein zeitgemäßes Altersbild dieser Frauen gezeigt. Die Schauspielerin Gesine Cukrowski will das ändern.
Zusammen mit der Journalistin Silke Burmester hat Cukrowski die Initiative "Let's Change The Picture!" gegründet, die darauf aufmerksam macht.
Frau Cukrowski, welches Bild möchten Sie mit dieser Kampagne verändern?
Gesine Cukrowski: Wir reden immer von einer sogenannten Fernsehrealität. Das, was wir im Fernsehen sehen, sollte sich stärker mit dem abgleichen, was wir in unserem Umfeld haben. Und wir beobachten, dass das nicht so ist. Wir haben eine Analyse vom Teil des Produktionsspiegels 2022 gemacht, und da fällt auf, dass zum Beispiel die Geschichten von Frauen zwischen 40 und 50 gar nicht erzählt werden. Die Frauen, die man im Fernsehen sieht, sind manchmal über 50 - die decken noch Geschichten von Frauen bis Mitte 40 ab. Dann gehen die Figuren erst ab Anfang 60 weiter, als Oma oder demente Frau. Diese Frauen stehen aber sehr selten im Zentrum einer Geschichte. Dieser ganze Lebensbereich Wechseljahre - die Kinder sind aus dem Haus, was macht die Frau dann eigentlich? - kommt als Geschichte gar nicht vor. Über 60 in manchen "Tatorten", aber zwischen 50 und 60 eigentlich nicht.
Ihre Mitinitiatorin Silke Burmester hat sogar gesagt, im Krimi würden ältere Frauen noch nicht mal mehr ermordet, kämen noch nicht mal mehr als Leiche vor.
Cukrowski: Es gibt einzelne ältere Kommissarinnen, was auch ganz erfreulich ist, aber das bildet ja nicht unsere Gesellschaft ab. Wir leben doch in einer ganz anderen Welt. Die Frauen heute sind weit weg von diesen Stereotypen, die uns da immer gezeigt werden.
Werden denn auch gar nicht genug Stoffe dieser Art geschrieben, zum Beispiel Lebensrealitäten von Frauen über 50?
Cukrowski: Das muss man ein bisschen genauer beleuchten. Zum Teil werden sie angeboten, aber die Stoffe werden dann von den Produktionen gleich "runtergeschrieben", weil sie schon die Schere im Kopf haben und wissen, dass sie das gar nicht verkauft kriegen. Und wenn es ein Sender haben will, sagen die Verantwortlichen in den Redaktionen: Schöne Geschichte, aber machen wir die Hauptfigur mal 15 Jahre jünger. Das ist manchmal sehr absurd, vor allem wenn es um Geschichten geht, die wirklich passiert sind. Es ist etwas völlig anderes, ob sich eine Geschichte um eine Frau Mitte 50 dreht oder um eine Frau, die 30 oder 40 ist - das sind völlig andere Lebensrealitäten. Gerade wenn es reale Geschichten sind, kann man nicht einfach sagen: Die machen wir jetzt mal 15 oder 20 Jahre jünger - das verändert eine Geschichte total. Es sollen ja nicht nur noch diese Geschichten erzählt werden, sondern es geht darum, dass man alles beleuchtet. Es gibt eine Verpflichtung im Medienstaatsvertrag, also was die Öffentlich-Rechtlichen angeht, dass man die Gesellschaft in seiner Vielfalt abbildet. Da sagen wir: Dann fangt mal an damit, weil das so nicht stattfindet.
Ist das ein besonders deutsches Phänomen oder gibt es das überall?
Cukrowski: Nein, wir haben weltweit das Patriarchat. Das ist nicht nur ein deutsches Problem.
Aber es tut sich langsam was. Es gibt ein Bewusstsein dafür, dass auch ältere Frauen besetzt und die Lebensrealitäten von älteren Frauen gezeigt werden sollten, oder?
Cukrowski: Das Besetzen ist ja der zweite Schritt. Es müssen erstmal die Geschichten da sein, damit ältere Frauen besetzt werden können. Und dann wäre es wichtig, dass, wenn es eine Figur ist, die Ende 50 oder Anfang 60 ist, man nicht eine zehn Jahre jüngere nimmt und sagt: Die kann das auch. Das Besetzungsverhalten muss man sich auch genauer anschauen. Was die Besetzung angeht, haben wir herausgefunden, dass in fast jedem Film die Mutter um zehn bis 15 Jahre älter ist als die Tochter, weil die Mutter noch ein bisschen attraktiver ist in den Augen der Besetzenden - wer auch immer da die Entscheidung trifft. Aber in unserer Lebensrealität ist es so, dass das Durchschnittsalter einer Frau, die ein Kind auf die Welt bringt, 30 ist. Es gibt mehr Frauen in Deutschland über 50, die Kinder auf die Welt bringen, als Teenager-Schwangerschaften.
Wenn Sie eine Rolle angeboten kriegen, in der Sie diese angesprochenen Stereotype erfüllen sollen - was machen Sie dann? Nehme Sie die nicht an, oder sind Sie nicht auch manchmal darauf angewiesen, damit Sie Geld verdienen können?
Cukrowski: Natürlich sind wir darauf angewiesen, und dann kämpft jede einzeln dagegen an. Klar machen wir das, wir müssen unsere Miete zahlen. Wenn wir das alles ablehnen würden, dann würde keine von uns zu tun haben.
An Weihnachten darf man sich etwas wünschen. Welche Rolle würden Sie sich fürs kommende Jahr wünschen?
Cukrowski: Diese Frage kriege ich oft gestellt. Es geht ja um die Vielfalt. Es gibt nicht die Rolle, wo man sagt: Die eine Frau möchte ich mal spielen. Ich möchte alle Figuren spielen, die spannend sind, die unsere Lebensrealität abdecken. Gerade wenn ich das Gefühl habe, dass wir so etwas noch gar nicht gesehen haben - das ist für mich spannend, das Neue, das, was unsere Gesellschaft bereichert.
Das Interview führte Julia Westlake.