"Ich bin ein Berliner": Die Macht der Reden
Am 26. Juni 1963 ging dieser Satz um die Welt: "Ich bin ein Berliner." Die Rede von US-Präsident John F. Kennedy ist ein gutes Beispiel für die Kraft, die Reden entwickeln können. Doch was macht eine gute Rede aus?
Fest steht: So wie einst Edmund Stoiber bei seiner Rede zu den Transrapid-Plänen im Jahr 2002 sollte man es eher nicht machen. "Wenn sie vom Hauptbahnhof in München, in zehn Minuten…ohne…dass sie am Flughafen noch einchecken müssen…dann starten sie im Grunde genommen am Flughafen. Am Hauptbahnhof in München starten sie ihren Flug. Schauen sie sich mal die großen Flughäfen an. Wenn sie in Paris, Bangkok…" Auch diese Rede ging zwar in die Geschichte ein, allerdings als negatives Beispiel.
Wenig Plattitüden, viel Neues
Eine effiziente Rede sollte fokussiert sein. Sie darf nicht nur aus Plattitüden bestehen, sagt Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda. "Die schlimmste Redegattung ist das Grußwort. Die haben nur drei Sätze. Schön, dass sie da sind, danke, dass ich hier sprechen darf und nun viel Spaß bei der weiteren Veranstaltung." Solche Reden kann man aufwerten, indem man dem Publikum etwas Neues vermittelt. Der Neuigkeitswert ist entscheidend, so wie vergangenes Jahr bei Olaf Scholz (SPD): "Wir erleben eine Zeitenwende."
Brosda: Redenschreiben als intensiver Prozess
Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda (SPD) hat jahrelang Reden für den heutigen Bundeskanzler geschrieben. Er kann sich vorstellen, wie die Zeitenwenden-Rede entstanden ist. "Eher ein sehr intensiver Prozess in der Vorbereitung einer Rede. Am Ende hatte er Texte, die wir gemeinsam erarbeitet haben, die er so auch gehalten hat, aber am Ende sind das immer die Texte des Redners", berichtet Brosda. Ganz anders Franz Müntefering, für den er auch geschrieben hat. Der habe grundsätzlich nichts von der Rede vorgelesen, sondern lieber frei gesprochen.
Überzeugender Auftritt - wie Obama
Eine erfolgreiche Rede hängt auch vom überzeugenden Vortrag ab. "Yes, we can." In den USA wird oft schon an den Schulen in Debattierklubs das öffentliche Reden geübt. Es gibt viele, die sagen, dass sich zum Beispiel Barack Obama zur Präsidentschaft redete, weil er die Menschen fesseln konnte. Bevor er 2004 sagte, dass es kein liberales und kein konservatives Amerika gebe, sondern nur ein vereinigtes Amerika, war er im Grunde unbekannt. "There is no liberal America, there is no conservative America, there are the United States of America."
Missbrauch der Redekunst durch Nazionalsozialisten
In Deutschland sind Reden deutlich seltener so populär. Das liegt daran, dass man in Deutschland die Erfahrung gemacht habe, wie Rhetorik, die Redekunst, missbraucht worden sei, sagt Carsten Brosda. "Wollt ihr den totalen Krieg?", fragte Nazi-Propagandaminister Joseph Goebbels am 18. Februar 1943 - bis heute ein Beispiel für den Missbrauch von Rhetorik. "Es geht um das redliche, rationale Abarbeiten von Dingen. Das ist eine Besonderheit der hiesigen politischen Kultur, dass wir sehr, sehr zurückhaltend und skeptisch sind gegenüber diesen rhetorischen Überwältigungsformen."
Martin Luther Kings Rede für die Ewigkeit: "I have a dream"
Nicht alles an einer Rede kann man planen. Martin Luther King zum Beispiel merkte bei seiner berühmtesten Rede, dass er die Aufmerksamkeit des Publikums verliert. Er wich am 28. August 1963 beim Marsch auf Washington von seinem Manuskript ab, griff eine verworfene Idee für die Rede auf und sprach einen Satz für die Ewigkeit: "I have a dream."
Reden wichtig für Demokratie
In Zeiten, in denen Botschaften auf dem Handy, Nachrichten bei TikTok und ähnlichem immer kürzer werden, haben es Reden und Worte schwer. Einen Gedanken über mehrere Minuten öffentlich darzulegen sei aber wichtig, findet Carsten Brosda. "Dass Rhetorik missbraucht werden kann, zeigt, dass es ein gesellschaftliches Gefühl gibt, angemessen rhetorisch bedient zu werden. Wenn wir diese Aufgabe den Rattenfängern überlassen und nicht als Demokraten demokratische Geschichten erzählen, lassen wir eine Riesenlücke", mahnt Brosda.
Die richtigen Worte zu finden, so wie damals John F. Kennedy in Berlin, es ist nicht leicht, aber wichtig.