Ein Mann lehnt an einer Wand, im Hintergrund ein Raum mit Fenstern. © Inka Reiter/Uni Konstanz

Historiker Achim Landwehr: "Der Planet schlägt gnadenlos zurück"

Stand: 22.02.2025 06:00 Uhr

Der Mensch habe die Klimakrise selbst herbeigeführt, sei nun aber nicht mehr in der Lage sie zu lösen, stellt Achim Landwehr fest. Einfache Antworten auf die Herausforderungen könne es nicht geben, so der Historiker im Gespräch.

Ein Mann lehnt an einer Wand, im Hintergrund ein Raum mit Fenstern. © Inka Reiter/Uni Konstanz
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"Wir leben in der bisher besten aller bekannten Welten", stellt Landwehr in Bezug auf den industrialisierten Teil der Welt fest: ökonomisch, sozial, medizinisch. Doch der unabwendbare Klimawandel verändere alles und mache, so Landwehr, unseren Planeten selbst zum historischen Akteur: "Die Menschheit sieht sich zum ersten Mal in einer Situation, in der sie die Konsequenzen ihres eigenen Handelns nicht mehr selbst in der Hand hat. Diese Veränderungen und der Klimawandel, inklusive Konsequenzen, werden nicht weggehen - und zwar für sehr lange Zeit. Das heißt auch, dass die Unsicherheiten und Unwägbarkeiten nicht weniger werden." Weder Panikmache noch Ignoranz würden helfen: "Ein dritter Weg müsste darin bestehen, Unsicherheit zu einem integralen Bestandteil zu machen."

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Historisch gesehen ging es der Menschheit noch nie so gut - wirtschaftlich, sozial, medizinisch. Trotzdem empfinden viele Menschen bei den aktuellen Entwicklungen ein großes Unbehagen. Warum?

Landwehr: Es ist eine historisch einmalige Situation, die wir haben. Jetzt kommt ein anderer Akteur ins Spiel, der bei diesem historischen Prozess eine Rolle spielt. Dieser Akteur ist der Planet selbst. Bisher haben wir die Geschichte der Menschheit immer erzählt aus einer rein menschlichen Perspektive. Menschen machen ihre Geschichte selbst. Und die Menschheit oder einzelne Gesellschaften formieren ihren historischen Prozess. Die Klimakrise führt uns jetzt in der Form erstmalig vor Augen, dass es nicht nur Menschen sind, die ihre Geschichte selbst machen, sondern jetzt kommt der Planet mit dazu. Jetzt werden Fragen wie Klimakrise, Verlust von Biodiversität, Verlust von Lebensgrundlagen, die Erschöpfung von Ressourcen zu einem massiven historischen Faktor, den wir selbst als Menschheit nicht mehr im Griff haben. Die Probleme sind zwar menschengemacht, aber die Auswirkungen und die Rückkopplungen haben wir nicht mehr im Griff. Insofern gibt es schon Gründe, sich mehr als nur ein paar Sorgen zu machen.

Jetzt steht aber das Thema Klimawandel gar nicht so im Vordergrund für viele Menschen, sondern Wohlstand, Wirtschaft und so weiter. Trotzdem sagen Sie, trägt das zu dem Gefühl bei, dass wir in einer aussichtslosen Welt leben. Wie passt das zusammen?

Landwehr: Das Paradoxe besteht darin, dass in der aktuellen Diskussion Dinge voneinander getrennt werden, die eigentlich zusammenhängen. Man kann nur über Migration und Migrationskrisen sprechen, wenn man auch über die Klimakrise spricht. Denn viele dieser Fluchtbewegungen werden dadurch ausgelöst, dass wir es in bestimmten Regionen der Welt schon mit massiven klimatischen Veränderungen zu tun haben und viele dieser Bewegungen auch Klimafluchtbewegungen sind. Das ist relativ klar, wird aber in der Diskussion häufig auseinandergehalten, und man tut so, als könnte man das Eine vom Anderen trennen. Das funktioniert nicht so richtig.

Der zweite Punkt ist so eine Art Vogel-Strauß-Politik. Wenn man sich europäische, westliche Gesellschaften anguckt, gibt es nicht wenige Bemühungen darum, bestimmte Probleme zu ignorieren. Das betrifft nicht nur Klimaleugner, Fakenews-Verbreiter, und Verschwörungstheoretiker, sondern das geht auch schon ein bisschen niedrigschwelliger. Man kann natürlich bestimmte Probleme dadurch "lösen", dass man sie zunächst mal ignoriert. Die Fragen der Klimakrise gehören da tatsächlich dazu. Das ist eine Gemengelage, aus der sich eine gewisse Schizophrenie ergibt.

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Gab es diese Art von Schizophrenie aber nicht schon immer?     

Landwehr: Es gibt diesen einen ganz klaren Faktor, bei dem man sagen kann, der ist für alle historischen Entwicklungen, die wir bis dato kennen, einmalig. Und das ist der Planet als historischer Akteur. Die Menschheit sieht sich zum ersten Mal in einer Situation, in der sie die Konsequenzen ihres eigenen Handelns nicht mehr selbst in der Hand hat, sondern diese Konsequenzen sind dem Planeten aufgebürdet worden und der schlägt gerade gnadenlos zurück. Diese Veränderungen und der Klimawandel inklusive Konsequenzen werden nicht weggehen - und zwar für sehr lange Zeit. Das heißt auch, dass die Unsicherheiten und Unwägbarkeiten nicht weniger werden.

Das Gespräch führte Verena Gonsch. Das komplette Interview hören Sie oben auf dieser Seite - und in der ARD Audiothek.

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