Eine Frau mit langen Haaren sitzt vor einem Mikrofon an einem Tisch. © NDR Foto: Jan Wiedemann

Hebamme Kareen Dannhauer: "Man schuftet sich in den Burnout"

Stand: 05.05.2022 12:45 Uhr

Kareen Dannhauer ist Hebamme, Podcasterin, Buchautorin und Influencerin. Auf Instagram hat sie mehr als 62.000 Followerinnen und Follower. Die in Berlin lebende Hamburgerin erzählt von einem Traumberuf mit Burnout-Potenzial.

Seit drei Jahrzehnten arbeitet die aus Hamburg stammende Kareen Dannhauer als Hebamme. Sie hat nach eigenen Schätzungen etwa 3.000 Frauen unter der Geburt begleitet. "Es ist ein besonderer und existenzieller Moment einer Familie und als Hebamme ist man Teil davon und ich habe mich immer besonders privilegiert gefühlt, in diesem besonderen Moment, ein Teil dieser Biografie sein zu können", sagt die heute 50-Jährige über ihre Arbeit. Zurzeit ist die Mutter zweier Töchter nicht mehr aktiv in der Geburtshilfe, sondern betreut Frauen und Familien vor und nach der Geburt.

Außerdem schreibt Kareen Dannhauer Bücher wie den Ratgeber "Baby.leicht" und sie hat in der Corona-Zeit angefangen, einen wöchentlichen Podcast zu produzieren. Unter dem Titel "Hebammensalon" gibt sie dort gemeinsam mit ihrer Kollegin Sissi Rasche Ratschläge und Informationen rund um die Themen Schwangerschaft, Geburt und Baby. Auch auf Instagram ist sie für ihre Followerinnen unter anderem mit einer Online-Sprechstunde da. Bei NDR Kultur hat Kareen Dannhauer von ihrer vielseitigen Arbeit als Hebamme berichtet, Hörer*innen-Fragen beantwortet, mit einigen Baby-Mythen aufgeräumt, aber auch die Schattenseiten ihres Berufs thematisiert:

Der Hebammen-Beruf ist ein Beruf mit aktuell vielen Herausforderungen. Corona ist nur eine. Hebammen stehen sehr unter Druck. In Berlin gab es im Herbst 2021 einen Hebammen-Streik an großen Krankenhäusern. Was genau war da los?

Kareen Dannhauer: Es geht uns Hebammen berufspolitisch schon lange um die Aufstockung des Personals in den Kliniken. Es wird immer so schnell missverstanden, dass es im Wesentlichen darum geht, dass wir alle nicht so gut bezahlt sind im Gesundheitswesen. Für uns Hebammen und auch auf den Intensivstationen und in allen anderen Bereichen war das ja letztlich lange schon vor Corona so. Und wenn wir sagen, wir brauchen mehr Personal, dann geht es im Wesentlichen darum, die uns anvertrauten Frauen oder die Patienten generell im Krankenhaus gut betreuen zu können.

Wir aus dem medizinischen Bereich erklären uns diese Berufsflucht so, dass die Frustration so groß ist. Es ist einfach so, dass wir jeden Tag in unserer Arbeit erleben, dass wir wissen würden, wie gut es sein könnte, wie gut wir uns um unsere Patientinnen und um unsere Frauen im Kreißsaal kümmern könnten unter optimalen Bedingungen. Und das bedeutet im Wesentlichen Personal. Und da gibt es einfach diese permanente moralische Herausforderung, gegen sein inneres Wissen zu handeln. Also sprich: zu wissen, es könnte besser sein, wenn ich nur mehr Zeit hätte. Und das ist einfach unglaublich frustrierend. Man kommt zum Dienst morgens um sechs, zum Frühdienst. Und dann ackert man durch und hat noch nicht mal Zeit, aufs Klo zu gehen. Oder frühstücken, da kann ich mich kaum erinnern, dass es jemals überhaupt drin war.

In einer Studie dazu vom Bundesgesundheitsministerium aus dem vergangenen Jahr haben lediglich zwei Prozent der Hebammen angegeben, dass sie ihre gesetzlich vorgeschriebene Pausen nehmen.

Ja, das muss man sich mal vorstellen: zwei Prozent.

Und was hat das denn für Folgen? Geben dann viele den Beruf auf und sagen, ich suche mir etwas anderes, und dadurch wird es nur noch schlimmer?

Kareen Dannhauer: So ungefähr kann man sich das tatsächlich vorstellen. Man macht das eine gewisse Zeit engagiert und motiviert. Wir lieben ja alle unseren Beruf. Das ist, glaube ich, das, was uns Hebammen auszeichnet, dass wir wirklich mit Herzblut dabei sind und dann einfach nach zwei, drei, fünf, acht Jahren merken: Man schuftet sich in den Burnout. Und das geht so nicht. Außerdem ist es ja in erster Linie ein Frauenberuf. Da ist es oft mit der Geburt eigener Kinder so, dass man sich erst einmal in eine berufliche Pause verabschiedet, weil ja zum Beispiel Schichtdienste relativ schwierig mit kleinen Kindern zu vereinbaren sind.

Oder man macht dann eben andere Dinge innerhalb des Berufes, also die Wochenbettbetreuung zum Beispiel. Und dann überlegt man sich dreimal, ob man jemals wieder in den Kreißsaal zurückgehen will unter diesen Bedingungen. Der Beruf an sich, der ist immer anstrengend. Das ist immer Blut, Schweiß und Tränen. Und es bedeutet immer Überstunden. Und es heißt immer, am Wochenende zu arbeiten. Und es bedeutet immer, Heiligabend auszuwürfeln, wer da arbeiten muss. Das ist alles überhaupt nicht das Problem. Das kennen wir und das wissen wir in dem Moment, wo wir uns für diesen Beruf entscheiden. Aber dieses permanente gegen das eigene Wissen Handeln, das ist einfach unglaublich zermürbend.

Das Interview führte Jan Wiedemann.

Das Gespräch mit Kareen Dannhauer in voller Länge:

Kareen Dannhauer im Porträt © Ilka Maria Schneemann I Milch & Liebe
AUDIO: Kareen Dannhauer weiß, was Babys und Eltern brauchen (55 Min)

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NDR Kultur à la carte | 15.12.2021 | 13:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Sachbücher

Gesundheitsvorsorge

Gesundheitspolitik

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Roboterhand auf Klaviatur (Montage) © Fotolia Foto: Sergey

Urheberrechte verletzt: Gema klagt gegen KI-Unternehmen

Gema-Chef Tobias Holzmüller erläutert, warum sein Unternehmen zwar klagt, aber dennoch "partnerschaftliche Lösungen" sucht. mehr