Alexander Solloch, Shila Behjat und Christina Clemm sitzen auf Stühlen im Halbkreis auf einer Bühne. © ZEIT-Stiftung Foto: Saskia Helin
Alexander Solloch, Shila Behjat und Christina Clemm sitzen auf Stühlen im Halbkreis auf einer Bühne. © ZEIT-Stiftung Foto: Saskia Helin
Alexander Solloch, Shila Behjat und Christina Clemm sitzen auf Stühlen im Halbkreis auf einer Bühne. © ZEIT-Stiftung Foto: Saskia Helin
AUDIO: HörSalon: Frauenhass und Antifeminismus (85 Min)

Frauenhass und Antifeminismus: Ein neuer, alter Kulturkampf?

Stand: 06.04.2025 20:00 Uhr

Die Zahlen sind erschütternd: 2023 wurden nach Angaben des Bundeskriminalamtes in Deutschland 360 Femizide begannen - Morde an Frauen vom aktuellen oder Ex-Partner. Anwältin Christina Clemm und Journalistin Shila Behjat begeben sich beim HörSalon auf Spurensuche.

"Femizid" meint, wenn Frauen getötet werden, weil sie Frauen sind. Ein Wort, mit dem wir etwas Grausames benennen, vor dem viele lieber Augen und Ohren verschließen wollen. Nicht so die Journalistin Shila Behjat: "Dieser Begriff Femizid, wenn ich den höre - hört sich doof an, aber: Da geht mir das Herz auf, dass wir dem endlich einen Namen geben können. Denn ganz lange gab es dieses Wort nicht." 

Aber leider geht es nicht nur vorwärts. Das muss die Anwältin Christina Clemm immer wieder in ihrem beruflichen Alltag erfahren. Seit rund 30 Jahren vertritt sie Opfer von geschlechtsspezifischer und sexualisierter Gewalt: Wenn eine Frau überhaupt den Schritt vor Gericht wage, müsse sie sich auf Marathon-Verhandlungen einstellen, die noch zu selten zu Verurteilungen führen und in denen sie oft respektlos behandelt würde. "Selbst schuld" schwinge immer wieder zwischen den Zeilen mit, so die Juristin. Frauenhass komme wieder zusehends in Mode: "Seit zwei bis vier Jahren gibt es einen unglaublichen Backlash. Den gibt es gesamtgesellschaftlich und auch in der Justiz. Da merkt man, wie so misogyne Erzählweisen wieder einfach Raum haben."

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Christina Clemm und Shila Behjat auf Spurensuche

Christina Clemm versucht dagegen anzuarbeiten, indem sie neben ihrer Arbeit als Anwältin auch Bücher schreibt, um aufzuklären und deutlich zu machen, dass patriarchaler Hass ein gesamtgesellschaftliches Thema ist. Immer wieder höre sie von Männern: "'Großartig, was du machst. Tolle Arbeit!' Aber danach wenden sie sich wichtigeren Dingen zu. Das ist meine Wahrnehmung, dass sie das Gefühl haben, sie seien nicht zuständig - das sei ein Frauenproblem. Dabei ist das ja eine völlig falsche Denke. Wir haben ein Männerproblem und kein Frauenproblem."

Die Journalistin und Autorin Shila Behjat will das Männerproblem bei der Wurzel packen. Als Feministin und Mutter zweier Söhne hat sie die Frage umgetrieben: Wie sorge ich dafür, dass die keine, wie sie es nennt, Arschlöcher werden? Ein inneres Streitgespräch, in dem Shila Behjat ihre eigenen geistigen Schubladen und Schablonen erkennt: Aber ist das nicht das, was ich als Frau absolut von mir weise? Dass jemand sagt, das ist eine Frau, also ist sie so und so. Und ich mache das jetzt mit meinen Söhnen in dem Moment, wo dieses Glied sichtbar wird: Der wird ein Arschloch oder er wird ein Schlappschwanz." Den Weg zum persönlichen Glück zu finden, unabhängig von tradierten Rollenbildern, das wünscht sich Shila Behjat für alle Menschen - und natürlich besonders für ihre Söhne.

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Auch Christina Clemm muss sich als Mutter mit diesen Fragen befassen. Sie hat drei Kinder, allesamt Söhne. "Ich habe schon immer versucht zu sagen: Ihr dürft alles tun, was ihr wollt, wenn ihr nicht grenzüberschreitend seid”, so die Juristin. "Mein Politikverständnis ist gar nicht, dass wir Gleichstellung brauchen, weil ich gar keine Gleichstellung in dieser schlechten Welt haben will. Ich möchte eine bessere Gesellschaft haben, und dafür können wir alle kämpfen - und das eben an verschiedenen Positionen."

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Sonntagsstudio | 06.04.2025 | 20:00 Uhr

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