Eventreihe nofomo setzt auf Konzerte ohne Smartphones
Ein Lichtermeer von Smartphones gehört bei Konzerten heute zum Bild dazu. Die Hamburger Konzertreihe nofomo setzt darauf, Smartphones direkt zuhause zu lassen. Ein Gespräch mit Initiator Niklas Nieschlag.
Schon vor ein paar Jahren hat sich der US-amerikanische Rocksänger Lenny Kravitz darüber beschwert, dass seine Fans ihn zwar auf Konzerten bewundern können, er andersherum aber nur deren Smartphones zu sehen bekomme. Das Thema Smartphones und Konzerte kocht immer mal wieder hoch. Immerhin drei Viertel der Konzertbesucher - das hat eine globale Ticketplattform mal herausgefunden - sind von den vielen Smartphones vor ihnen genervt. Schaut man sich heutzutage auf entsprechenden Veranstaltungen um, scheint sie das nicht unbedingt daran zu hindern, weiterzufilmen. Dabei gaben 34 Prozent der Befragten an, das Gefühl gehabt zu haben, etwas von der Veranstaltung verpasst zu haben, während sie mit Fotos und Videos beschäftigt waren. Manche Künstler wie Bob Dylan und Jack White fordern von ihren Fans unlängst, ihre Geräte bei Konzerten in der Tasche zu lassen.
Rapper Chris Brown wirft Handy von der Bühne
Anfang März hat sich die Lage bei einem Konzert in Berlin zugespitzt. Der Rapper Chris Brown hatte einen Fan auf die Bühne geholt. Wie auf einem TikTok-Video zu sehen ist, wollte die junge Frau den besonderen Moment offensichtlich auf dem Smartphone festhalten, woraufhin der Rapper ihr es zunächst aus der Hand nahm und auf ihren Schoß legte. Die Frau wagte kurz darauf einen neuen Versuch, sich in der Situation zu filmen, woraufhin der Rapper scheinbar die Fassung verlor und das Handy in hohem Bogen von der Bühne warf. Manch einer wird sich gefragt haben: Warum hat sie nicht einfach diesen Moment genossen, von dem vermutlich jeder Fan träumt? Gleichzeitig hat der Rapper hier natürlich eine Grenze überschritten und Sachbeschädigung begangen.
Anzeige nach Smartphone-Streit auf Konzert
Ganz ähnlich eskalierte es auf einem Konzert des Frankfurter Rappers Finch. Auf einem TikTok-Video ist zu sehen, wie er bei einem Konzert Besuchern die Handys wegnimmt und sie wegwirft. Laut eigener Aussage erhielt er dafür sogar eine Anzeige. Die Dauerfilmer wolle er in Zukunft komplett rausschmeißen, sagte er nach dem Konzert gegenüber Hiphop.de. Ein grundsätzliches Verbot von Smartphones bei Konzerten erscheint untopisch - zu groß ist auch der Marketingeffekt für die Künstlerinnen und Künstler und die Veranstalter.
Veranstaltungsreihe testet Partys ohne Smartphone
Die Hamburger Partyreihe nofomo testet aber genau das aus: Konzerte ohne Smartphones. Nofomo - das steht für: no fear of missing out. Also: Keine Angst davor, etwas zu verpassen und damit das Gegenteil von dem vielmals beschriebenen Phänomen FOMO (Fear of missing out) - das allgemeinhin das Bedürfnis bezeichnet, permanent mit dem in Verbindung zu bleiben, was einem relevant erscheint. Initiator der Veranstaltungsreihe ist Niklas Nieschlag. Der 31-Jährige hat sich das Konzept ausgedacht und kann dabei auf die Unterstützung seiner Freundin Hannah Godde und von Kommilitonen der Hochschule für Musik und Theater Hamburg zählen.
Gespräch mit Inititator Niklas Nieschlag
Was hat dich dazu bewegt nofomo zu gründen?
Niklas Nieschlag: Als Musiker auf der Bühne bin ich auf Video-Material und Verlinkungen bei Social Media angewiesen, weil Reichweite die wichtigste Messgröße in der Branche geworden ist. Trotzdem habe ich mich nach einem fehlerfreundlichen Raum für riskante Soli oder Improvisation gesehnt. Wenn man gefilmt wird, musiziert man defensiver.
Als passionierter Konzertgänger habe ich außerdem die Perspektive des Publikums. Seit meiner Kindheit beobachte ich, wie Musiker:innen, egal in welchem Genre, mit der Energie im Publikum umgehen und dabei magische Momente entstehen können. Seit Jahren haben Volksparkstadion, Elbphilharmonie oder Clubtour jedoch eines gemeinsam: Mehrere Smartphones im Sichtfeld holen mich sofort in die Realität zurück und kappen diese starke Verbindung zum Geschehen auf der Bühne.
Mitten in der Pandemie durfte ich dank eines Stipendiums der Claussen-Simon-Stiftung an dieser - damals aufgrund der Beschränkungen - abwegigen Idee arbeiten und ging Anfang 2022 mit nofomo vol.1 im "UWE" auf der Reeperbahn an den Start.
Was ist das Konzept der Veranstaltungsreihe?
Nieschlag: Nofomo erlaubt Vergänglichkeit. Die Besucher:innen dürfen schräg mitsingen, neben dem Beat tanzen und verschwitzte Shirts tragen. Was bleibt, sind Erinnerungen und vielleicht ein Polaroid-Foto. Konkret bedeutet das: Nach der Ticketkontrolle schalten die Besucher:innen ihre Smartphones aus. Kein Flugmodus. Ganz aus. Manche wissen bei ihren Geräten gar nicht mehr, wie das geht. Für die nächsten drei Stunden sind sie also mit mehr als 200 anderen Menschen offline und genießen die Live-Show. Wer ans Handy muss, geht freiwillig vor die Tür. Keine Ablenkung, pure Energie im Publikum, offene Gespräche an der Bar. Und das in Hamburg.
Wie stellt ihr sicher, dass nicht doch jemand ein Smartphone zückt?
Nieschlag: Glücklicherweise haben wir diesen Ernstfall noch nie erlebt. Das Konzept basiert auf Freiwilligkeit, die gut funktioniert. Menschen, die sich für nofomo interessieren, kommen aus verschiedenen Gründen, aber verstehen das Grundprinzip "gemeinsam offline erleben" sofort. Wir treffen da offenbar einen Nerv bei Menschen, die ihr eigenes Medien-Verhalten schon kritisch sehen. Ein erhobener Zeigefinger und "Zwang" würden vermutlich nicht funktionieren.
Welche Rückmeldungen erhältst du von deinen Gästen?
Nieschlag: Das Feedback ist überwältigend und die Auslastung der Konzerte - häufig ausverkauft - lässt auf hohen Bedarf schließen. Geeint im Moment, kommen jedoch ganz unterschiedliche Motivationen zusammen: Manche mögen die außergewöhnlichen HipHop-Pop-Arrangements, einige genießen schlichtweg, gemeinsam mit Freund:innen offline zu sein, wiederum andere trauen sich wieder, zu tanzen. Die Weiterempfehlungsquote ist außerdem mächtiger als alle meine sonstigen Marketing-Maßnahmen.
Glaubst du, Konzerte ganz ohne Smartphone kann es auch in größerem Stil noch mal geben?
Nieschlag: Ganz sicher. Ein entscheidender Faktor für die ohnehin kriselnde Live-Event-Branche sind große Marken, die bald den Mehrwert von "Offline-Marketing" sehen werden. Eine Platzierung, die nicht konkurriert mit dem gleich nächsten Werbebanner im Instagram-Feed oder im Google-Suchergebnis, bleibt eher hängen. Die ersten Marketing-Abteilungen erkennen das und trauen sich zurück in den analogen Raum. Ohne diese nötigen finanziellen Mittel bleiben Ideen wie nofomo ein gutes Konzept mit Potenzial. Mit Förderung und Sponsoring wird daraus ein Bestandteil einer Konzertkultur von morgen, die für einen gesunden Umgang mit digitalen Medien wirbt und wieder die Momente von Live-Musik in den Vordergrund stellt.
Das nächste Konzert von nofomo findet am 30. Juni im UWE in Hamburg statt.