Evangelischer Kirchentag in Nürnberg: Fröhlichkeit und Kerngeschäft
In Nürnberg ist heute der Evangelische Kirchentag zu Ende gegangen. Mit einem Aufrechthalten der seelsorgerischen Qualität kann die Kirche ihrem Schrumpfen etwas entgegensetzen, meint NDR Redakteur Florian Breitmeier in seinem Kommentar.
Über Nürnbergs schöner Altstadt thront seit Jahrhunderten die mächtige Burg. Sie ist Wahrzeichen und Symbol für einstige Stärke und Schutz. Aber in verrückten Zeiten wie diesen sind Traditionen erschüttert, alte Gewissheiten bröckeln wie Steine in alten Gemäuern. Doch um im Burg-Bild zu bleiben: Die Zugbrücke zum Selbstschutz hochgezogen hat dieser Kirchentag nicht. Den schwierigen aktuellen Herausforderungen hat er sich größtenteils gestellt. Ein gesteigertes Publikumsinteresse im Vergleich zu früheren Treffen konnte er gleichwohl nicht verzeichnen.
Trotz Kirchenkrise: Viele Veranstaltungen gut besucht
Ja, deutlich zurückgegangene Teilnehmerzahlen sind auch Ausdruck der Kirchenkrise. Zur Wahrheit gehört aber auch: Viele Hallen, Kirchen und Marktplätze waren in Nürnberg sehr gut besucht. So prägte diesen Kirchentag eine besondere Stimmung: Kein tiefgründiges Bohren im Weltschmerz, kein moralinsaures Festkleben an vermeintlich alternativlosen Positionen, auch kein frömmlerisches Abgehobensein, sondern vielmehr eine bodenständige Fröhlichkeit kennzeichneten die Tage von Nürnberg.
Wenn sich etwas von dieser Atmosphäre mitnehmen ließe in den kirchlichen Alltag, wo die kommenden Jahre auch stark von quälenden Strukturfragen geprägt sein werden, dann wäre das für die Kirche nicht das Schlechteste. Denn weder hilft bei den anstehenden Zukunftsdebatten ein verdruckstes Beklagen des vermeintlich steten Niedergangs, noch ein strategischer Positivismus, der berechtigte Sorgen einfach ausblendet.
Aufrechthalten von diakonischer Nächstenliebe ist notwendig
Das Entscheidende, was Strukturdebatten in der Kirche rechtfertigt und angesichts zukünftiger finanzieller Engpässe zugleich notwendig macht, ist das Aufrechthalten von seelsorglicher Qualität und diakonischer Nächstenliebe. Ein Handeln also, welches das eigene Ich übersteigt, gezielt auf andere schaut und gemeinschaftlich in etwas Größerem aufgeht - damit könnten die Kirchen der bitteren Wahrheit der Verluste und des Kleiner-Werdens hoffnungstrotzig begegnen.
Dafür bedarf es des konkreten sozialen Engagements. Aber eben auch besonderer Seelenorte, die Räume öffnen zur persönlichen Reflexion und für gemeinschaftliche Resonanz. Beim Kirchentag in Nürnberg war dies zum Beispiel das Spirituelle Zentrum in der Altstadt. Der häufig von konservativer Seite erhobene pauschale Vorwurf, der Kirchentag sei mittlerweile mehr eine politische Gesinnungsveranstaltung denn ein religiöses Ereignis, läuft größtenteils ins Leere angesichts des starken Publikumsinteresses an genau diesen spirituellen Angeboten.
Klimakrise: Robert Habeck argumentiert hoffnungsvoll
Bemerkenswert war, dass auf großen Podien, zum Beispiel beim Thema Krieg und Frieden, einzelne Politikerinnen und Politiker in ethischen Fragen oft klarer argumentierten als bezahlte Hauptamtliche in der Kirche. In theologischer Hinsicht ist das kein Ruhmesblatt. Denn es zeigt sich mit Blick auf die prophetische Erzählkraft von Kirche eine Lücke, die zunehmend andere füllen.
Stichwort: Klimaschutz. Da wurde auf einem Podium der engagierten und zugleich stark apokalyptisch argumentierenden Klimaaktivistin der Letzten Generation das Narrativ entgegengesetzt, dass es besser sei, hoffnungsvoll zu argumentieren und an die Möglichkeit von Veränderungen zu glauben, weil dies die Menschen nicht abschrecke, sondern mitnehme. Erstaunlich war gleichwohl, dass kein evangelischer Geistlicher so sprach, sondern der aus der evangelischen Kirche ausgetretene grüne Wirtschaftsminister. Es wäre nicht nur in der Klima-Debatte spannend gewesen, dezidiert konservative Stimmen zu hören. In dieser Hinsicht bleibt bei Kirchentagen weiterhin viel Luft nach oben.
Kirchentage werden künftig kompakter und hoffentlich kontroverser
Eine Prognose nach dem Christentreffen in Nürnberg: Die Kirchentage dürften künftig auch aus Finanzgründen kompakter werden, mit weniger Veranstaltungen, dafür inhaltlich hoffentlich kontroverser. Zudem könnten weitere geistliche Angebote helfen, in verrückten Zeiten wie diesen die Suche von Menschen nach Sinn zu unterstützen. So dass daraus auch konkretes Engagement entstehen kann. Nach der Feierstimmung von Nürnberg gilt: Jetzt ist die Zeit für das kirchliche Kerngeschäft.