"Der Andere Advent": Alternativer Adventskalender aus Hamburg
Für viele Menschen in Norddeutschland ist "Der Andere Advent" ein verlässlicher Begleiter. Es ist ein Adventskalender, dessen Reiz und Geheimnis gerade im Unspektakulären liegt.
Nun ist es amtlich: Morgen beginnt die besinnliche Zeit, jedenfalls für die Haushalte, in denen noch Kekse gebacken werden, Kerzen angezündet und Türchen im Adventskalender geöffnet werden. Auch wenn es immer schwerer fällt, innezuhalten in diesen hektischen und unruhigen Zeiten. Da hilft der "Der Andere Advent" - ein Adventskalender, dessen Erfolgsgeschichte vor ziemlich genau 30 Jahren begann und der auch in diesem Jahr schon wieder Tage vor dem 1. Dezember ausverkauft ist. Und zwar die komplette Auflage von annähernd 700 Tausend Exemplaren. Es ist ein Kalender ohne Türchen, stattdessen eine bild- und textreiche Broschüre zum An-die-Wand-hängen, eher unspektakulär in immer gleicher, eher schlichter Aufmachung. Und genau deshalb so außerordentlich erfolgreich!
Geschichten liefern Impulse für den Tag
Die Redaktion sitzt im Hamburger Stadtteil Altona: Ein verträumt wirkender Hinterhof, durch die großen Fenster im Parterre der historischen Remise sieht man Leute um einen großen Tisch versammelt - die Redaktionssitzung geht gerade zu Ende. Man plant bereits den nächsten Advent, 2024. "Ganz oft ist die Frage, die wir uns in solchen Redaktionskonferenzen stellen: Trägt das denn - reicht das überhaupt?" Iris Macke, die Chefredakteurin, betont, dass sie ihre Themen hier nicht allein suchen und finden. "Die Erfahrung, die wir von den Rückmeldungen unserer Leser und Leserinnen machen, ist, dass die klaren Geschichten die besten sind, oder die, die am besten ankommen. Die, bei denen man sagt, das ist eine ganz einfache Wahrheit. Da wird ein ganz kleiner Moment beschrieben. Dass das die Geschichten sind, die Impulse für den Tag geben."
Impulse wie diesen: Der Text " Angstfrei" von Herbert Grönemeyer ist über dem Foto einer atemberaubenden Landschaft in Island abgedruckt: ein einsamer Kletterer hoch oben auf der Felsspitze - Text und Bild als Motto für den 12. Dezember: Angstfrei. Neben dem Grönemeyer-Song gibt es einen Comic der Peanuts, eine kleine Bastelarbeit zum Nikolaus. Ein kurzes Gedicht von Martin Walser regt am 4. Dezember zum Nachdenken an. Am 23. fabuliert der Kolumnist Axel Hacke über weihnachtliche Liedtexte und die kindliche Verwirrung, ob es nun eine Rose war oder ein Ross, das entsprungen ist aus einer Wurzel zart.
Vor 30 Jahren wurde der "etwas andere" Kalender erfunden
"Das Besondere an unseren Texten ist, dass wir sie in den Kontext des Advent stellen und dass wir sagen, das hat von sich aus eine so tiefe Zeit, dass ich auch Augen für etwas ganz anderes hab. Die sind bei Weitem nicht alle christlich diese Texte, aber sie bekommen eine besondere Tiefe dadurch, dass sie auf dem Weg in den Advent gelesen werden … oder zu Weihnachten hin", so Iris Macke. Sie ist nicht nur Redakteurin und Journalistin, sie ist auch Theologin. Macke war dabei, vor 30 Jahren, als Pastor Hinrich Westphal den "Anderen Kalender" erfunden hat. Hinni, wie alle ihn nannten, hat damals sehr fröhlich und lebensnah die Öffentlichkeitsarbeit der evangelischen Kirche gemachte, und dabei Menschen im Sinn, die sich eher sporadisch mit Glaubensfragen beschäftigen.
"Die Menschen in den Vorhöfen der Kirchen. Das trifft es sehr gut wir möchten Menschen ansprechen, die vielleicht mal mit dem Glauben verbunden waren, vielleicht mal in der Kindheit den Gottesdienst besucht haben, denen er aber auch vielleicht abhandengekommen ist und die einen neuen Zugang suchen - die Fragen haben, und sich gemeinsam mit anderen auf den Weg machen wollen", erzählt Macke.
In diesem Jahr steht der Advent im Zeichen der Kriege
Dieser Advent, das ist allen klar, hier im beschaulichen Altona wie überall auf der Welt, steht im Zeichen eines weiteren Krieges, wo erneut über Antisemitismus nachgedacht wird. Der Redaktionsschluss ist für ganz aktuelle Bezüge zu lange her, aber das Porträt einer Holocaust- Überlebenden war ohnehin vorgesehen. Am 26. führt uns ein QR-Code zu einer Frau, die im Video einen gelben Judenstern in die Kamera hält. Francine Christophe, geboren 1933, dem Jahr, als Hitler die Macht übernommen hat, wie die Jüdin aus Frankreich erklärt: "Je m'appelle Francine Christophe. Je suis née l’année 1933. L’année où Hitler a pris le pouvoir. Voilà."
Die Geschichte, die sie dann erzählt, hat eine Pointe, in der ein Stück Schokolade eine Rolle spielt - eine Adventsgeschichte am Ende dieses Kalenders, die ebenso berührend ist, wie sie auch Mut macht. "Es gibt ja Botschaften die bleiben, wie 'Verliert die Hoffnung nicht', wie eben dieses 'Fürchtet euch nicht'. Das sind Botschaften, die weiter tragen und die auch über das hinaustragen, was politisch passiert", sagt Macke.