Provenienzforschung: Eine moralische Verpflichtung
Bei Raubkunst wird meistens an Kunstwerke gedacht, die Nazis jüdischen Opfern abgepresst oder direkt entwendet haben. Spätestens seit der Diskussion um das Humboldt-Forum in Berlin sind aber auch die Sammlungen in ethnologischen Museen ins Visier geraten. In Hamburg setzt sich Barbara Plankensteiner damit intensiv auseinander. Als sie vor eineinhalb Jahren antrat, übernahm sie noch die Leitung des Völkerkundemuseums - mittlerweile heißt es MARKK (Museum am Rothenbaum für Kulturen und Künste) und verkündet auf der Internetseite: "Das neue, alte Museum am Rothenbaum. Das Museum, bei dem sich nichts ändert, bis auf den Namen, die Inhalte und das Denken".
Frau Prof. Plankensteiner, Namen sind Schall und Rauch. Aber die Inhalte, das Denken: Was hat sich in den vergangenen eineinhalb Jahren geändert?
Barbara Plankensteiner: Es hat sich nicht nur in den letzten eineinhalb Jahren etwas geändert, sondern dieser Prozess dauert schon länger an. Wir legen viel mehr Fokus auf unsere Sammlungen selbst und auf die Forschung, die Umstände, wie sie überhaupt nach Deutschland gelangt sind, in unserem Fall nach Hamburg. Man spricht heute von Provenienzforschung. Das heißt nicht, dass solche Forschungen in der Vergangenheit nicht geschehen sind - da hieß das Sammlungsgeschichte und hatte eine etwas andere Ausformung. Der große Unterschied ist, dass wir nun dieses erschlossene Wissen in unseren Ausstellungen mit berücksichtigen und inkludieren und damit auch an unser Publikum gehen. Früher wurde das vielleicht in einem wissenschaftlichen Aufsatz veröffentlicht, aber jetzt ist es für uns ganz wichtig, dass wir auch diesen Teil der Geschichte der Objekte öffentlich machen.
Wie geht diese Provenienzforschung bei Ihnen vonstatten? Wie findet man heute überhaupt noch heraus, wo die Objekte ursprünglich herkommen?
Plankensteiner: Wir haben Einträge in unseren Inventaren von den damaligen Sammlerinnen und Sammlern, also Personen, von denen wir diese Objekte erhalten haben. Dort gibt es in der Regel Angaben zur Herkunft - manchmal aber auch nicht. Man kann dann die Objekte aufgrund ihres Stils oder ihres Erscheinungsbildes zuordnen. Diese Grundinformationen sind schon in den Inventaren vorhanden. Ein Wissen, das wir generieren müssen, und was in der Regel nicht festgehalten wurde, ist: Wie war der Umstand des Erwerbs? Wie sind diese Personen zu diesen Objekten gekommen? Oft wissen wir auch gar nicht mehr, wer diese Personen waren.
Generell geht es darum, in der jetzigen Provenienzforschung zu erschließen, ob es einen Unrechtssachbestand gibt: Sind diese Objekte nicht rechtmäßig erworben worden? Waren sie Teil einer Kriegsbeute? Sind sie vielleicht gestohlen worden? Das lässt sich manchmal nicht sehr eindeutig feststellen, und da muss man sehr viel Kontextforschung betreiben. Es ist auch unglaublich wichtig zu wissen, was die Personen vor Ort gemacht haben. Das sind sehr aufwendige Forschungen, die man im alltäglichen Museumsbetrieb nicht leisten kann, weshalb es ab dem nächsten Jahr die Möglichkeit geben wird, im Zentrum für Kulturgutverluste in Magdeburg Förderungen einzureichen. Wir haben im Moment noch keine Stelle zu diesem Thema bei uns besetzt - das sind Themen, mit denen sich die Kuratorinnen nebenher befassen.
Können Sie sich die Restitution, also die mögliche Rückgabe vorstellen?
Plankensteiner: Im Prinzip ist das nicht ausgeschlossen. Nach der jetzigen Gesetzeslage sind natürlich umfassende Vorarbeiten notwendig, denn die Sammlungen gehören ja nicht uns, sondern der Stadt Hamburg. Wenn es einen Fall gäbe, wo etwas restituiert werden müsste, dann muss man den Beweis dafür erbringen. Es braucht eine Rückforderung von den ehemaligen Eigentümern, und dann muss das von der Bürgerschaft beschlossen werden - das ist der Stand der Dinge.
Können Sie sich erklären, warum wir erst seit wenigen Jahren über Provenienz und Restitution sprechen? Es liegen viele Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, hinter uns, hinter den Deutschen, wo wir solche Dinge gesammelt, sie aber überhaupt nicht hinterfragt haben.
Plankensteiner: Es gab bereits in den 70er-Jahren eine erste Bewegung und eine erste Auseinandersetzung zu diesem Thema. Das ist interessanterweise alles wieder im Sand verlaufen, vor allem auch deswegen, weil es keine gesetzlichen Rahmenbedingungen für Kulturgut aus kolonialen Kontexten gab. Dementsprechend gab es keine rechtliche Handhabe, und die Beweisführung ist so kompliziert. Deswegen ist das nicht weiter verfolgt worden. Außerdem hat man das damals nicht als so wichtig erachtet.
Heute ist es für uns als Museen eine moralische Verpflichtung, uns mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Es ist auch eine Grundlage für unsere Zusammenarbeit mit Menschen aus den Herkunftsgesellschaften, aber auch mit deren Diaspora-Gemeinschaften hier in Deutschland. Denn nur auf dieser Basis können wir hier zu einer guten Zusammenarbeit kommen, wenn wir diese Fragen, die dem im Wege stehen, klären. Ich glaube, für die deutsche Gesellschaft hat das einen viel höheren Stellenwert als vor 40 Jahren.
Das Interview führte Jürgen Deppe