Bachs Weihnachtsoratorium: Was macht es so besonders?
Das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach verströmt Jubel und Freude wie kaum eine andere Musik. Für viele ist das Oratorium fest mit dem Weihnachtsfest verbunden.
"Jauch-zet, Froh-lo-cket!" - dieser Unisono-Ausruf des Chores ist für viele Menschen das Startsignal für die festliche Stimmung. Er erklingt zu Beginn des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach und bündelt die Vorfreude auf die Geburt des Christkinds in einer prägnanten musikalischen Geste. Einer Geste, deren tänzerischer Schwung schon die Einleitung des Orchesters grundiert, mit Pauken und Trompeten.
Gute Stücke neu verwertet
Vor fast 300 Jahren, am 25. Dezember 1734, erlebt das Stück seine Uraufführung mit dem Thomanerchor, in der Leipziger Nikolaikirche. Bach hat seine Musik für den Gottesdienst geschrieben. Das "Oratorium zur Heiligen Weihnacht" besteht aus sechs Kantaten von jeweils etwa einer halben Stunde Dauer. Jede Kantate gehört zu einem der sechs christlichen Festtage zwischen dem ersten Weihnachtstag am 25. Dezember und dem Dreikönigstag am 6. Januar.
Wie im 18. Jahrhundert üblich hat Bach sein groß angelegtes Werk nicht komplett neu komponiert, sondern früher entstandene Stücke recycelt - etwa indem er sie mit einem anderen Text versieht. Knapp ein Drittel der Nummern aus dem Weihnachtsoratorium stammt ursprünglich aus anderen Zusammenhängen. Darunter auch der so beliebte Chor aus der ersten Kantate, den er zuvor mit dem Titel "Tönet, ihr Pauken! Erschallet Trompeten!" in einer Glückwunsch-Kantate zum Geburtstag von Maria Josepha, Kurfürstin von Sachsen, verwendet hat.
Das Geniale daran: Bachs Musik wirkt trotzdem keine Sekunde lang wie zweitverwertet. Sie passt perfekt zu den Affekten und Bildern der Weihnachtszeit. Sie findet einen Ton, der Tausende Menschen Jahr für Jahr aufs Neue begeistert, ob als Sängerinnen und Sänger oder im Publikum. Deshalb ist das Weihnachtsoratorium von Bach das mit großem Abstand meistaufgeführte Klassik-Werk der Advents- und Weihnachtszeit, zumindest in Deutschland.
Weihnachtsoratorium im Michel - ein Publikumsmagnet
Auch an St. Michaelis, Hamburgs bekanntester Hauptkirche, steht das Stück wieder auf dem Programm. Jörg Endebrock, seit Anfang 2020 Kantor am Michel, leitet am 16. und 17. Dezember nicht weniger als fünf Konzerte: drei mit den Kantaten eins bis drei, und zwei mit den Kantaten vier bis sechs. "Ich finde, es gibt keine andere Weihnachtsmusik, die so viel Fröhlichkeit verströmt, soviel Jubel und Freude, und gleichzeitig Wärme", sagte Endebrock dem NDR im Dezember 2022. "Deshalb kann für viele Leute gar nicht Weihnachten werden ohne dieses Stück. Das merken wir auch an der Nachfrage."
Große Bandbreite der Kantaten
Die ersten drei Kantaten und die sechste sind die bekanntesten. Nummer vier und fünf werden dagegen etwas seltener aufgeführt. "Die vierte Kantate rückt die Beschneidung und die Namensgebung Jesu ins Zentrum, sie erzählt keine wirkliche Handlung, das ist eher eine Art Meditation. In der fünften und sechsten geht es dann um die Heiligen Drei Könige."
Die sechs Kantaten umspannen eine große Bandbreite an musikalischen Formen und Stimmungen. Trotz dieser wechselnden Affekte sieht Jörg Endebrock eine Konstante für seine Interpretation. "Bach muss schwingen, Bach muss tanzen. Auch die getragenen Sätze haben oft einen tänzerischen Duktus. Und natürlich möchte ich es gern durchsichtig haben." Für diese Ideen vereint der Kantor rund 80 Sängerinnen und Sänger vom Chor St. Michaelis, ein professionelles Instrumental-Ensemble mit Mitgliedern Hamburger Orchester und ein erstklassiges Quartett aus Solistinnen und Solisten.
Das Weihnachtsoratorium im Norden
Mit ihrem Raum für rund 2.500 Sitzplätze zählt St. Michaelis zu den größten Kirchen im Norden. Aber natürlich ist sie bei Weitem nicht die einzige, in der das Bachsche Weihnachtsoratorium zu hören ist: Hier eine Auswahl von Aufführungen im Norden.
Weitere Oratoriums-Alternativen
Wer zu Weihnachten etwas anderes als Bachs Oratorium hören möchte, kann natürlich auch zu einer Aufnahme greifen. Zum Beispiel von Hector Berlioz‘ Kantate "L‘enfance du Christ", eins der beliebtesten Werke des Komponisten, mit reizvollen Farben und Melodien. Spannend auch das Weihnachtsoratorium von Nicola Porpora, in dem allegorische Figuren wie der Frieden und die Gerechtigkeit auftreten und sich um einen Platz an der Krippe drängeln.
Eine der jüngsten großformatigen Weihnachtskompositionen ist das im Jahr 2000 uraufgeführte Stück "El Niño" von John Adams. Es verbindet die biblische Geschichte mit aktuellen politischen Themen.
Dagegen gilt die "Historia der Geburt Christi" von Heinrich Schütz als eines der frühesten Beispiele einer musikalischen Weihnachtserzählung. Es ist um 1660 entstanden und fesselt seine Hörerinnen und Hörer mit einer abwechslungsreichen Vertonung des Evangelienberichts. Wie Bachs späteres Meisterwerk hat auch die Weihnachts-Historie von Schütz bis heute ihre Faszination bewahrt.