Ann Cotten © picture alliance / Stephan Goerlich
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AUDIO: Autorin Ann Cotten wird neue Poetikdozentin in Hannover (6 Min)

Autorin Ann Cotten wird neue Poetikdozentin in Hannover

Stand: 30.08.2023 15:00 Uhr

Die Autorin Ann Cotten übernimmt die Poetikdozentur an der Leibniz Universität Hannover. Ihre Aufgabe: Neue Schreibweisen in einer diversen und postmigrantischen Gesellschaft entwickeln. Ein Gespräch.

Poetikdozentur - was bedeutet das genau? Ist das eine Gastprofessur, eine Reihe von Seminaren?

Ann Cotten: Es ist beides: Es ist sowohl ein Poetik-Vortrag im klassischen Sinn als auch eine Arbeit mit Studentini, die als eine Art von Seminar oder Gespräch stattfinden soll, soweit ich das verstanden habe.

Wer kann da teilnehmen?

Cotten: Im Prinzip ist es für Studentini. Sie bekommen auch Credits im Rahmen der Universität dafür. Zu öffentlichen Veranstaltungen kann natürlich jeder kommen.

Das Literaturhaus ist auch dabei. Was wird es da für Veranstaltungen geben?

Cotten: Zunächst einmal eine Poetikvorlesung. Das heißt, ich werde einen schönen Text vorbereiten, in dem in aller Klarheit und Subtilität die wichtigen Punkte meiner Poetik in diesem Kontext dargelegt werden. Danach gibt es auch Gelegenheit für Fragen, um ins Gespräch zu kommen. Im Anschluss daran finden die studentischen Formate statt.

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Es gibt einen Auftrag, der mit dieser Hannoverschen Poetikdozentur verbunden ist: eine gegenwärtige Sprache in einer postmigrantischen Gesellschaft zu finden. Wie nähern Sie sich diesem Auftrag?

Cotten: Es geht um Mehrsprachigkeit. Mich interessieren besonders die Schatten, die Abbildungen von einer Sprache in anderen Sprachen. Außerdem die verschiedensten, für mich sehr faszinierenden Phänomene, die im Rahmen von Mehrsprachigkeit stattfinden. Ob das jetzt Leute sind, die schon seit Kindheit mit mehreren Sprachen unterwegs sind, die die Sprachen beim Sprechen mischen; ob es grammatische Strukturen von der einen Sprache sind, die sich in einer anderen Sprache zeigen, und ob das bewusst gemacht wird als poetisches Mittel, oder sich im Laufe eines Lebens unbewusst von einer Situation zu einer Poetik wandelt. Das sind sehr interessante Fragen, was Sprache und ihre Struktur anbelangt und was die Schönheiten der Sprache betrifft. Darüber hinaus interessiert mich eine materialistische Poetik als der Verweis oder der Blick auf den gemeinsamen Grund verschiedener, auch ganz unverwandter Sprachen. Weil ich seit langem Japanisch lerne, ist es für mich besonders faszinierend, da es keinen ideologischen gemeinsamen Background gibt. Aber es gibt die physikalische Welt, in der wir leben. Insofern komme ich, glaube ich, auf eine materialistische Poetik, die für mich auch in dieser Vorlesung eine wichtige Rolle spielen wird.

Die Vorlesung ist die eine Seite. Sie haben auch erzählt, Sie würden Studierende bei deren Arbeit betreuen. Wie würden Sie das beschreiben? Ist das ein Coaching-Prozess, ein Begleiten?

Cotten: Betreuen geht ein bisschen zu weit. Es ist ein Gespräch, in das wir eintreten und in dem wir über Erfahrungen auf beiden Seiten sprechen werden. Oft ist das Sprechen über Sprache immer wieder etwas Neues: über das zu sprechen, was man schon die ganze Zeit tut. Das ist beim Sprechen über Sprache und beim Genre der Poetik immer ganz faszinierend. Es ist ja ein ganz kurzer Besuch von mir an der Uni. Es ist nicht so, dass ich semesterlang Studentini betreue, sondern es ist eher ein Fenster, gegenseitig ins Gespräch zu kommen.

Sie sagen "Studentini" - das ist eine eigene Form des Genderns, "polnisches Gendern". Warum heißt das so?

Cotten: Erst einmal, um sich gegen den Vorwurf der Political Correctness abzusichern, damit es möglichst unkorrekt klingt. Es hat aber auch den Hintergrund, dass es sogenanntes polnisches Coding gibt, wo die Reihenfolge egal ist, ob das für Menschen lesbar ist oder nicht. Das bezeichnet ein bisschen genauer die Technik, die darin besteht, alle Gender-notwendigen Buchstaben in einer sogenannten gefälligen Reihenfolge ans Wortende zu stellen. Das hat für mich so einen ästhetischen Schillerfaktor, wie ein bisschen Glitzer auf diesen Wörtern. Insofern ist es eine Darstellung des Problems, die mir aber ästhetisch noch Freude macht. Es ist auch definitiv ein Statement gegen den Vorwurf, dass es darum ginge, etwas zu korrigieren, was man in der Sprache nicht korrigieren kann, sondern in Wirklichkeit korrigieren muss. Trotzdem kann man in der Sprache darauf hinweisen, dass da einiges im Argen liegt.

Das Gendern, das Sie anwenden, hat auch einen schönen Rhythmus.

Cotten: Ja, absolut. Ich finde, man muss in jeder Protestform leben können. Es geht nicht darum, sich selbst und andere zu quälen.

Sie kommen aus einer mittlerweile etablierten Szene des Poetischen, unter anderem der Poetry-Slam-Szene. Was umarmen Sie als Poetin und wo grenzen Sie sich eher ab?

Cotten: Für mich war Poetry-Slam ein Jahr lang wichtig als allererste Bühne und Möglichkeit, Texte ausprobieren. Aber ich fand die Professionalisierung, wenn Leute möglichst grobe Witze produzieren, die möglichst laute Leute lustig finden, eher abstoßend. Ich bin da schnell wieder weg. Aber Hip-Hop finde ich nach wie vor ein extrem spannendes Genre. Die jetzt nachkommenden Generationen verbinden damit schon mehrere Schichten Ironie und begreifen tatsächlich den Ernst. Sie betrachten Hip-Hop tatsächlich als eine Kunstform. Das sind extrem fein ausgebildete ästhetischen Mittel, auf die ich mit einer kontinuierlichen Aufmerksamkeit schaue.

Was wird das größte Abenteuer an dieser Poetikdozentur im nächsten Semester für Sie sein?

Cotten: Ich denke, wie immer die Formulierung. Die Arbeit mit Sprache ist ein Abenteuer, aber sicher auch die Begegnung mit verschiedenen Generationen von Menschen, die aus verschiedenen Gründen die Güte haben, sich dafür zu interessieren - oder Credits brauchen. Das Sprechen mit Leuten und das Sprechen mit Sprache.

Das Interview führte Mischa Kreiskott.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal Gespräch | 30.08.2023 | 17:15 Uhr

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