Arbeitsbedingungen an Theatern: "Ein historischer Etappensieg"
Die Präsidentin der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger Lisa Jopt setzt sich für bessere Arbeitsbedingungen an Theatern ein: "Grundsätzlich geht es um Geld, Zeit, Teilhabe und Respekt".
Frau Jopt, Sie sind selbst Schauspielerin und kennen die Situation nur zu gut. Was ist Ihr Eindruck, wie geht es aktuell den Bühnenmitarbeiterinnen und -mitarbeitern?
Lisa Jopt: Aktuell dürften die meisten recht müde sein, denn es wird an vielen Theatern gerade das Familienstück gespielt, beziehungsweise das Märchen. An manchen Häusern sogar dreimal am Tag. Ich habe das auch schon oft gemacht, und es macht wahnsinnig viel Spaß - aber es ist auch am Ende des Tages wirklich Höchstleistungssport.
In der Oper werden auch die großen Werke ausgeholt und die Konzerte werden auf den Spielplan gesetzt. Die meisten Beschäftigten merken nicht nur das Jahresende in den Knochen, sondern auch die Hälfte der Spielzeit - diese geht bei uns immer vom Herbst bis zum nächsten Sommer.
In der Regel gehen die Bühnendarsteller*innen zweimal am Tag zur Arbeit: vormittags proben, abends eventuell proben und spielen. Wir arbeiten an den Feiertagen und an den Wochenenden. Dieser zweigeteilte Dienst ist und bleibt eine Belastung, nicht nur für die Leute selber, sondern auch für die Angehörigen, die Familie. Wenn alle beim Adventskäffchen sitzen, stehst du auf der Bühne. Dafür gibt es keine Extra-Zahlungen wie zum Beispiel bei den Kolleg*innen im öffentlichen Dienst.
Innerhalb der Theaterszene wird über diese Arbeitsbedingungen immer wieder debattiert. Wird da nur diskutiert oder bewegt sich auch was?
Jopt: Es bewegt sich tatsächlich etwas. Wir konnten gerade gemeinsam mit unseren Schwestergewerkschaften eine wesentliche Verbesserung in der Bezahlung verhandeln. Bis vor Kurzem hatten wir einen Mindestgage von 2.000 Euro - keine Stufen, nichts. Wer mehr wollte, musste mehr verhandeln - das machen die meisten Künstler*innen nicht so gerne, denn die sind einfach nur dankbar, dass sie engagiert werden.
Die Gage ist im Oktober von 2.000 Euro auf 2.550 Euro gestiegen, und sie wird ab 1. Januar noch mal auf 2.715 Euro steigen. Ab September 2023 wird sogar eine erste Stufe - wir wollten vier - für die Beschäftigten ab dem dritten Jahr wirksam. Die bekommen dann 2.915 Euro. Wir sprechen dann auch - das ist auch neu - von einer Einstiegsgage und einer Mindestgage. Damit ist klar, dass diese Einstiegsgage von 2.715 Euro nur für Beschäftigte im ersten und zweiten Jahr gilt und die Mindestgage für Beschäftigte ab dem dritten Jahr. Sie ist auch dynamisiert.
Eine Sache muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Dieses Ergebnis der Tarifverhandlungen ist ein Sprung von über 35 Prozent und damit ein historischer Etappensieg. Denn in den letzten 30 Jahren ist die Gage um rund 770 Euro gestiegen, und jetzt steigt sie innerhalb eines Jahres um 915 Euro. Das darf man, glaube ich, einen Erfolg nennen.
Das ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung. Wo hapert es noch, wo muss nachgebessert werden?
Jopt: Grundsätzlich geht es um Geld, Zeit, Teilhabe und Respekt. Wir sprechen eigentlich von einer grundsätzlichen Reform unseres Tarifvertrags. Wir brauchen zum Beispiel bei der Bezahlung ein mehrgliedriges Stufensystem, das die Berufserfahrung - ähnlich wie im öffentlichen Dienst - auch monetär wertschätzt.
Wir verhandeln außerdem aktuell mit der Arbeitgeberseite, den Deutschen Bühnenverein, über verschiedene Arbeitszeitmodelle und Ruhezeiten. Aktuell ist es so, dass wir nur eine Nachtruhezeit von elf Stunden geregelt haben. Oder vier Stunden vor der Vorstellung ist Ruhezeit. Wir nennen unseren Vertrag auch gerne mal NV-Flatrate, weil man einmal bezahlt wird und dann bekommt der Arbeitgeber einfach alles.
In puncto Teilhabe müssen wir zum Beispiel die Spartensprecher*innen unter Schutz vor vertraglichen Nichtverlängerungen stellen und brauchen mehr künstlerische Mitsprache, die rechtlich verankert sein muss. Wir wollen rechtlich, verbindlich gestaltete Partizipation. Wir wollen auch Vertreter*innen der Ensembles oder der Belegschaft bei zukünftigen Intendanzfindungsprozessen mit dabei sehen.
Das passiert zwar ab und zu in Deutschland, aber es ist noch nicht verstetigt und aktuell noch eher Zufall. Die Belegschaft muss da mitentscheiden können, sie ist auch sehr kompetent.
Eines unserer wichtigsten Anliegen ist die Nichtverlängerungsregelung. Jedes Jahr können die Verträge aus sogenannten künstlerischen Gründen nicht verlängert werden. Diese künstlerischen Gründe sind nicht nachweisbar, und da muss man nachregulieren.
Bei einem Intendant*innenwechsel können alle künstlerisch Beschäftigten nicht verlängert werden, ohne dass man sich mit ihnen beschäftigen muss, ohne das Nennen von Gründen, ohne das soziale Surrounding der Betroffenen mit in Betracht gezogen zu haben. Das halten wir für total veraltet.
Das wird übrigens gerechtfertigt mit dem Artikel 5, Absatz 3: die Freiheit der Kunst. Aber wir denken nicht, dass die Freiheit der Kunst nur von einer einzigen Person ausgeübt werden sollte, sondern dass sich sie sich mehr auf die künstlerische Zensur innerhalb des Werkes bezieht.
Das Interview führte Friederike Westerhaus.