Anke Stelling: "Was ist das hier für ein Zirkus?"
Die Schriftstellerin Anke Stelling hat für ihren Roman "Schäfchen im Trockenen" den Belletristik-Preis der Leipziger Buchmesse gewonnen. Im Gespräch erzählt sie, warum dies bei ihr widersprüchliche Gefühle auslöst.
Frau Stelling, herzlichen Glückwunsch zu diesem Preis. Ihr Kommentar in Ihrer Dankesrede lautete: Super! Können Sie diesen Gedanken noch etwas ausführen?
Anke Stelling: Es geht dann doch ums Gewinnen, und es ist toll, wenn der eigene Name fällt. Aber gleichzeitig bin ich für den Zweifel, und ich behalte ihn auch. Ich will mich freuen, und gleichzeitig ist mein Kopf wieder voll von: Und was ist mit den anderen? Die sind doch auch super. Und was ist das hier überhaupt alles für ein Zirkus? Aber ich mache ihn mit, ich muss ihn auch mitmachen, und er hat Vor- und Nachteile. Das sind auch hier wieder ganz widersprüchliche Gefühle.
Nun ist es in der Tat so, dass diese Konkurrenzsituation mit vier anderen Schriftstellerinnen und Schriftstellern im Prinzip etwas Hochkapitalistisches hat. Etwas, was auch mit Maßstäben der Gerechtigkeit nicht aufzulösen ist. Wie haben Sie diese Ungewissheit in den letzten Wochen durchgestanden?
Stelling: Es war ganz schön, mit den anderen Vieren zusammen Veranstaltungen zu machen, denn wir saßen ja im selben Boot, und diese Gefühle kann man dann teilen und sich direkt verstehen. Sie haben Recht: Als Kapitalismusgegnerin und -kritikerin ist es schwierig, aber in diesem Zwiespalt stehen wir ja alle die ganze Zeit. Das ist auch so etwas wie Gleichzeitigkeit, die auch Resi, die Protagonistin in meinem Buch, versucht, ihrer Tochter zu erklären. Diese Gleichzeitigkeit war ganz stark spürbar in den letzten Wochen - und auch jetzt gerade. Einerseits die Hoffnung und gleichzeitig die Frage: Wieso lasse ich mich doch von dieser Dramaturgie einfangen? Aber mich freuen will ich auch.
Ihr Roman erzählt von der Schwierigkeit des Künstlers bzw. der Künstlerin, seinen bzw. ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Inwiefern kann Ihnen dieser Preis helfen, sich zu verorten - mit der Aufmerksamkeit, die damit verbunden ist, aber auch mit dem Geld?
Stelling: Die Aufmerksamkeit ist schön. Dass das Buch dadurch zwangsläufig mehr Leserinnen und Leser finden wird, ist toll. Mit dem Geld ist das so eine zwiespältige Sache - darüber habe ich schon vorher meine Protagonistin nachdenken lassen. Das ist kein Witz: Für dieses Jahr wird es schwerig mit dem BuT-Bezug [Leistungen für Bildung und Teilhabe, Anm. d. Red.]. Gleichzeitig muss ich dieses Geld sparen, weil es nächstes Jahr wohl nicht schon wieder einen Preis geben wird. Es muss auch ein neues Buch geschrieben werden. Das prekäre Künstlerinnendasein ist mit so einem Preis natürlich nicht gelöst, aber das finde ich auch richtig. Ich sage im Buch, dass die Schäfchen ins Trockene zu bringen zunächst ein gutes Gefühl ist. Aber gleichzeitig auch: Und dann? In Bewegung zu bleiben - und das gehört ja dazu beim prekären Dasein - hat auch durchaus Vorteile.
Würden Sie sagen, Ihr Roman ist ein Buch der Wut oder letztlich auch eine Art Gelächter über die Absurdität unserer Gesellschaft?
Stelling: Ich hoffe, es ist beides. Wut auf jeden Fall, weil es ist eben nicht alles gut, und das möchte ich auch zum Ausdruck bringen. Gelächter aber auch, weil man sich gerade in diesem Aufklärungsfuror ja lächerlich macht. Denn wenn man denkt, man hätte einen gerechten Zorn, unterliegt man ja trotzdem den sich widersprechenden Wahrheiten.
Das Interview führte Alexander Solloch