Alltag in einer Schule in SH: "Von der Politik im Stich gelassen"
Ursula Köhler ist Schulleiterin an einer Grundschule in Sankt Margarethen in der Nähe von Brunsbüttel. Mit Schulbegleitungen und Praktikant*innen kämpft sie gegen den Lehrkräftemangel. Von der Politik fühlt sie sich im Stich gelassen.
Weil an ihrer Schule notorisch zu wenig Lehrkräfte sind, leitet Rektorin Ursula Köhler zusätzlich eine 1. Klasse. Die 20 Schülerinnen und Schüler haben sehr unterschiedliches Vorwissen. Durch die Einführung der Inklusion und die Abschaffung der Förderschulen ist es Alltag in den Grundschulen, dass in einer Klasse Kinder mit sehr unterschiedlichen Lernständen sind.
Einige Kinder bekommen im Unterricht Zusatzmaterial ausgeteilt, weil sei gefordert werden müssen, erklärt Ursula Köhler. Andere Kinder seien "im sprachlichen Bereich noch nicht auf dem Stand und brauchen entsprechend noch Sprachhilfen - sowohl geflüchtete Kinder als auch deutsche Kinder." In Zeichensprache unterhält sie sich mit Maryam, die vor drei Monaten aus Afghanistan nach Deutschland kam. "War das leicht", fragt Köhler und zeigt einen Daumen nach oben, "Oder schwer?" und dreht den Daumen nach unten.
Schulbetrieb funktioniert nur noch durch Notkonstrukte
Lehrkräftemangel kennt Ursula Köhler schon seit zehn Jahren - solange leitet sie die Grundschule in Sankt Margarethen. "Wir müssen Schulbegleitungen beauftragen zu beaufsichtigen. Wir müssen Praktikantinnen bitten, ob sie bei uns oben Aufsichten führen. Also es ist nie Unterricht, den sie selber vorbereiten und es ist immer auch eine Lehrkraft im Hintergrund. Aber im Grunde brauchen wir diese Menschen, um den Unterricht zu gewährleisten", schildert die Rektorin. "Das ist etwas, das nicht gerne gehört wird, weil es sich natürlich in einer Grauzone bewegt."
Auszubildende als Unterstützung
Amy ist eines von zwei Kindern in der Klasse, die eine Schulbegleitung haben. Es gibt große bürokratische Hürden, um eine Schulbegleitung genehmigt zu bekommen. Doch Amys Betreuung ist heute krank, die Praktikantin hat übernommen. Allein könnte Ursula Köhler es in dieser Klasse aber nicht schaffen. "Dann würde ich hier im Spagat sein. Dann müsste ich hier helfen, dort schlichten, dem anderen Kind, das jetzt den Raum verlassen hat, hinterherrennen und dem anderen Kind dort vorn noch tröstende Worte entgegenbringen, weil ich mich momentan nicht kümmern kann", schildert sie. Sobald nur eine Person im Kollegium ausfällt, was im Grunde jeden Tag passiert, hat Ursula Köhler ein Problem. Um die dünne Personaldecke irgendwie abzufedern, nimmt die Grundschule viele junge Menschen in Ausbildung zur Unterstützung.
Die Probleme mit nach Hause nehmen
Dass die Politik den Lehrermangel mit größeren Klassen lösen will und Teilzeitarbeit erschwert, entsetzt Ursula Köhler. Fast am Ende ihrer Kräfte wendet sie sich an ihren Vorgesetzten. "Wir sind extrem belastet und er hat mir den sehr platten Tipp gegeben, ich solle mich abgrenzen. Von was soll ich mich denn abgrenzen? Das ist unsere tägliche Arbeit. Ich habe oben 20 Kinder. Soll ich mich von denen abgrenzen?", fragt sie. "Das ist nicht meine Mission. Dann kann ich gleich gehen. Soll ich mich von meinen Lehrkräften abgrenzen? Soll ich mich von den Problemen abgrenzen? Das geht nicht."
Pädagogische Fachkräfte fehlen
Mit Quereinsteigerinnen zu arbeiten, ist schwierig. Christiane Balzereit kam vor sieben Jahren an die Schule - ist allerdings nie richtig qualifiziert worden und bekommt immer nur einen Halbjahresvertrag. Es sei nicht so einfach, die Schülerinnen und Schüler "ruhigzustellen, weil ein unglaublicher motorischer Bedarf da ist", sagt sie. "Das liegt sicherlich auch daran, dass im letzten Jahrzehnt der Medienkonsum so stark angestiegen ist, so dass dieses echte Erleben eigentlich fehlt."
"Kinder haben es verdient, dass man sich um sie kümmert"
Wieder ein Ausfall: Morgen muss Ursula Köhler die Bundesfreiwilligendienstlerin im Vertretungsplan für den Mathematik-Unterricht einsetzen. Für die Kinder eher Aufbewahrung als Unterricht. "Die müssen dann schon Aufgaben lösen, aber Hilfen kriegen sie nicht", sagt Köhler. "Es ist nichts vertiefendes, besonders Schwieriges, sondern sie machen einfach noch mal Übungen, die sie im Grunde beschäftigen."
Wenn die Schulleiterin unqualifizierte Kräfte einsetzt, hilft das in dem Moment. Es geschieht aber auf ihre Verantwortung, frustriert alle und ist niemals eine Lösung des Grundproblems. "Wenn ich jetzt konkret hier einzelne Lehrer fragen würde, keiner würde sagen, er fühle sich gehört", sagt Köhler. "Man kann nur verstehen, wenn man hinhört und nachfragt und das wird definitiv nicht gemacht. Diese Kinder haben es verdient, dass man sich um sie kümmert und sie haben es auch verdient, dass die Politik sich um sie kümmert. "