Abstürze der Promis: Warum faszinieren uns Skandale?
Was lieben wir so an Skandalen? Und haben sie auch eine positive Funktion? Skandale sind Neusortierungen von "Netzwerken der Macht", erklärt der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen im Gespräch bei NDR Kultur.
Herr Pörksen, was fasziniert uns eigentlich so an dem Thema Skandal?
Bernhard Pörksen: Der Skandal fasziniert uns, weil es sich um ein Empörungsangebot handelt, das wir als Öffentlichkeit, als Gesellschaft annehmen. Man kann diejenigen, die gerade noch oben standen, auf einmal in die Tiefe stürzen sehen. Genau das ist das Faszinosum des Skandals: Empörung, Aufschrei, Normen, die auf einmal wieder gehärtet werden, der plötzliche Absturz, die Neusortierung von Netzwerken der Macht.
Gibt es eine bestimmte Art von Skandalen, die uns ganz besonders fasziniert?
Pörksen: Das ist zum Teil von Kultur zu Kultur unterschiedlich, darüber gibt es ganz interessante Untersuchungen: Finanzskandale, die im deutschsprachigen Raum für besonderes Aufsehen sorgen; Sexskandale, die den USA einen Politiker ganz unmittelbar zu Fall bringen können - in Italien hingegen, denken Sie an eine Figur wie Berlusconi, nicht. Skandale sind bis zu einem gewissen Grad kulturspezifisch, weil sie von den Normen handeln, die in einer Gesellschaft, in einer Öffentlichkeit, in einem bestimmten geschichtlichen Moment gelten oder gelten sollten.
Es gibt noch eine weitere Entwicklung, die in diesem Zusammenhang zu nennen ist: Wir beobachten, dass unter den Bedingungen vernetzter Kommunikation ein Aufbrechen des klassischen Skandalschemas stattfindet. Jeder mit einem Smartphone in der Hand kann heute zum Publizisten eigenen Rechts werden, kann selbst Empörungsangebote unterbreiten, kann die Öffentlichkeit direkt, barrierefrei erreichen, ohne dass es eine Vorsortierarbeit von Journalistinnen und Journalisten gibt, die prüfen, ob das, was da berichtet oder publiziert wird, interessant, relevant oder skandalös ist.
Das heißt, es sind nicht nur die Medien alleine, die Skandale groß machen?
Pörksen: Absolut. Das ist die neue Dimension. Es gibt längst auch so eine Art Agenda-Setting des Publikums. Damit findet eine Umkehrung der klassischen Skandalisierungsrichtung statt. In der alten Medienepoche, vor der publizistischen Ermächtigung des Publikums, gab es eine Normüberschreitung oder etwas, was jemand für eine solche hielt, und dann entschieden Journalistinnen und Journalisten am Tor zur öffentlichen Welt, ob das interessant oder relevant ist, ob es als publikationswürdig gilt. Wenn dem so war, konnte das Publikum damit konfrontiert werden und - das war unvermeidlich - entscheiden, ob man auf dieses Skandalisierungsangebot einsteigt oder nicht. Dieser Prozess lässt sich jetzt von der Richtung her umkehren. Diejenigen, die man früher das "Publikum" genannt hätte, sind es jetzt selbst, die Skandalisierungsangebote in der vernetzten Welt unterbreiten und die dann manchmal von den klassischen Massenmedien aufgegriffen werden.
Also kann ich mir vorstellen, dass heute Skandale viel schneller entstehen können als früher, weil viel mehr Menschen sie verbreiten können. Ebbt so eine Empörung heutzutage auch schneller wieder ab?
Pörksen: In der Tat. Es gibt ganz interessante Untersuchungen, dass kollektive Aufmerksamkeit ein bedrohtes Gut ist, dass wir uns einer Halbkultur nähern, dass die öffentliche Aufmerksamkeit sich nur sehr schwer stabilisieren lässt. Traditionell hält sich ein Skandal unter gewissen Bedingungen im Bewusstsein der Öffentlichkeit sechs bis acht Wochen. Heute ist der Austausch von Empörungsangeboten sehr viel schneller geworden.
So ein Skandal kann auch etwas Reinigendes haben, es treten oft Veränderungen nach Skandalen ein. Ist das das Positive daran?
Pörksen: Das kann das Positive sein. Es kommt darauf an. Wir haben übertriebene Skandalisierung, Herden- und Meuten-Verhalten, die entsetzliche Attacke, die sich dann als furchtbares Unrecht erweist und Menschen nachhaltig beschädigt. Aber wir haben auch den Skandal als eine Form der Wertedebatte in einer offenen Gesellschaft. Man verständigt sich darüber, dass etwas definitiv nicht gelten soll, und es werden Netzwerke der Macht mit einer einzigen investigativen Veröffentlichung zerstört. Das ist dann unter Umständen eine gute Nachricht.
Gibt es auch Skandale, über die Sie sich so richtig amüsieren können?
Pörksen: Eigentlich nicht. Denn dieses Amüsement würde voraussetzen, dass man die Menschen übersieht, die da involviert werden. Was immer man von denen hält - und es gibt Leute, die zurecht skandalisiert werden, die Schlimmes getan haben -, die Skandalisierung schlägt unvermeidlich tiefe Wunden. Und das Amüsement hieße, diese Menschen zu vergessen.
Das Interview führte Julia Westlake.