Wie werden wir unabhängiger vom Gas? Eine Reise durch den Norden
Fast die Hälfte aller deutschen Wohnungen hängt noch am Gasnetz - wie können wir unabhängiger werden? Nahwärmenetze, Wärmepumpen, erneuerbare Energien: Panorama 3 sucht nach den Alternativen und zeigt, wie viel schon im Kleinen möglich ist.
"Wir müssen uns definitiv anstrengen", sagt Georg Zachmann. Beim Brüsseler Thinktank Bruegel macht er sich seit vielen Tagen Gedanken darüber, wie die Abhängigkeit Europas von russischem Gas minimiert werden kann. "Vor dem nächsten Winter dürfen wir nicht erpressbar sein von russischem Gas. Das wäre absolut dramatisch." Georg Zachmann rät daher zum Gassparen, wo immer es möglich ist. Dann könnten zumindest die Speicher rechtzeitig aufgefüllt werden. Doch eigentlich müsste die Devise lauten: so schnell wie möglich weg vom Gas. Weil das noch viele Jahre unmöglich ist, soll übergangsweise Flüssiggas (LNG) eingekauft werden. Laut Bundeswirtschaftsministerium soll frühestens Ende 2022 ein erster von insgesamt vier angemieteten Flüssiggasterminals in Betrieb gehen. Für die Terminals stehen Haushaltsmittel in Höhe von 2,94 Milliarden Euro zur Verfügung.
Krieg sorgt für Zeitenwende auf dem Energiemarkt
Die Folgen des Krieges sorgen sowohl in der Industrie als auch auf politischer Ebene für starken Rückenwind beim Ausbau der erneuerbaren Energien, um Gas langfristig zu ersetzen. In der Industrie und bei Energieversorgern wird auch darüber nachgedacht, was passiert, wenn Wladimir Putin tatsächlich den Gashahn zudreht. Frank Meier, Vorstandschef der Stadtwerke Kiel, sieht bis zum Winter ernsthafte Probleme auf uns zukommen: "Ich glaube, das Risiko ist nicht gering, dass es eine Gasmangellage geben wird." Aus Sicht des erfahrenen Managers ist dies für den Energiemarkt eine absolute Zeitenwende. Denn Russland lieferte seit Jahrzehnten zuverlässig und vor allem günstig Gas. Darauf bauten nicht nur die deutsche Industrie und die Energieversorger, sondern letztendlich auch Millionen Privathaushalte.
Billiges Gas aus Russland als Innovationshemmer?
Ein Großteil des Erdgases sorgt hierzulande für warme Wohnungen und warmes Wasser. Laut Branchenverband BDEW werden 49,5 Prozent der Wohnungen mit Gas geheizt, hinzu kommen noch viele Fernwärmekunden, deren Wärme zum Teil aus Gaskraftwerken stammt. Wie abhängig alle von russischem Gas sind, wird daran deutlich, wie sich der Preis entwickelt. "Der Erdgaspreis auf dem Großhandelsmarkt hat sich also mehr als verfünffacht", erklärt Georg Zachmann. Wie viel davon beim Verbraucher ankommt, steht noch nicht fest. Mit deutlichen Preiserhöhungen ist aber zu rechnen.
Das Vertrauen auf dauerhaft billiges Gas aus Russland hat aber in Deutschland im Wärmebereich auch Innovationen verhindert. Bis heute werden Gasleitungen in Neubaugebiete gelegt. "Neubaugebiete mit Gasleitung auszustatten ist ökonomisch und ökologisch gesehen absoluter Blödsinn", meint Michael Sterner, Professor für Energiesysteme an der Ostbayerischen Technischen Hochschule in Regensburg. "Im Neubau könnten wir ohne Weiteres technisch auf Erdgas verzichten". Erst ab 2024 ist der Einbau einer reinen Gasheizung nicht mehr möglich, allerdings auch in Bestandsgebäuden. Mittlerweile setzt aber bei den Gasnetzbetreibern ein Umdenken ein. EWE will beispielsweise ab 2023 keine Gasleitungen mehr in Neubaugebiete verlegen.
Bessere Alternative: Wärmepumpen
Jetzt wird in Deutschland fieberhaft nach Alternativen zum Gas gesucht. Dabei wären im Wärmebereich schon lange bessere Alternativen verfügbar gewesen, die sogar weniger CO2-Emissionen verursachen. Erst in den vergangenen Jahren hat sich die strombetriebene Wärmepumpe zumindest im Neubau als Standard durchgesetzt. Doch insgesamt werden bislang laut BDEW nur 2,8 Prozent der Wohnungen mit diesen Anlagen beheizt. Strom war lange Zeit im Verhältnis zu Gas viel zu teuer, um die Wärmepumpen für die Bürger attraktiv zu machen.
Dänemark hat schon lange einen anderen Weg beschritten. Dort sind laut dem Verband Dansk Fjernvarme 67 Prozent der Haushalte an ein Fernwärmenetz angeschlossen. Langfristig sollen es noch mehr werden. In Deutschland hängen nur rund 14 Prozent der Wohnungen an den Heißwasserrohren, vorwiegend in Ballungsräumen. Im Unterschied zu Dänemark ist in Deutschland Fernwärme zu mehr als 70 Prozent Abwärme von fossilen Kohle- oder Gaskraftwerken. Die Dänen haben dagegen bereits frühzeitig auf grüne Wärmequellen in ihren Fernwärmenetzen gesetzt. Großwärmepumpen oder große Solarthermieanlagen sind in Deutschland in diesem Zusammenhang noch immer eher eine Seltenheit.
Photovoltaik und Wind lange vernachlässigt
Michael Sterner bemängelt, dass in Deutschland der Ausbau von Photovoltaik und Wind in den vergangenen Jahren viel zu langsam vorangegangen ist. Technologisch wäre auch im Wärmebereich vieles jetzt schon möglich, meint er. Doch es wäre politisch viel zu lange nicht richtig beachtet und gefördert worden. "Und es fällt uns jetzt auf die Füße, weil wir uns einfach auf das günstige russische Gas verlassen haben", sagt er. Ähnlich klingt es mittlerweile aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Der Ausbau der erneuerbaren Energien gilt dort nun als "eine Frage der nationalen und europäischen Sicherheit".