Stand: 25.09.2014 14:02 Uhr

Fracking: Die Angst der Politik vorm Bürger

von Thomas Berbner & Johannes Jolmes

Es ist eine Technologie, die die Meinungen spaltet: Fracking. In den USA ist sie zur Gewinnung von Schiefergas weit verbreitet, in Deutschland ist die Technologie dagegen sehr umstritten und stößt in der Bevölkerung auf große Ablehnung. Aber sie spaltet nicht nur Kontinente, sondern auch Politik und Wissenschaft. Panorama hatte in der vergangenen Sendung darüber berichtet, dass die führenden Geowissenschaftler in Deutschland die Technologie für beherrschbar halten - und die Bundesregierung das Fracking im Schiefergas dennoch mindestens bis 2021 verbieten will.

VIDEO: Fracking: die Angst der Politik vor dem Bürger (9 Min)

Antworten für alles und jeden?

Und an dieser Haltung der Bundesregierung hat sich auch nach der Panorama Berichterstattung offenbar nichts geändert: Angesprochen auf den Widerspruch vieler namhafter Wissenschaftler, entgegnet der zuständige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel: "Sie finden ja zu jeder Frage hinreichend viele Wissenschaftler, die diese Frage mit unterschiedlichen Antworten versehen."

Hans-Joachim Kümpel, Präsident der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (GBR), in einer Nahaufnahme. © NDR Foto: Oliver Gressieker
Prof. Hans-Joachim Kümpel wünscht sich mehr Sachverstand im gesamten Gesetzgebungsverfahren.

Wissenschaftler, die dem Fracking im Schiefergas zumindest eine Chance geben wollen, hat Gabriel sogar in seinem eigenen Geschäftsbereich. Die werden offenbar nur unzureichend in den Gesetzesprozess mit einbezogen. So beklagt der Präsident der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hans-Joachim Kümpel, gegenüber Panorama, dass das Fachwissen seiner Behörde beim derzeitigen Gesetzesprozess nicht genügend gehört werde. Die Bundesanstalt ist die zentrale geowissenschaftliche Beratungseinrichtung der Bundesregierung. "Wir wünschen uns, dass mehr von unserem Wissen im gesamten Gesetzgebungsverfahren aufgenommen wird“, betont Prof. Hans-Joachim Kümpel im Interview.

Umstrittener Begriff: "Risikotechnologie"

Maria Krautzberger, Präsidentin des Umweltbundesamts, bei einer Pressekonferenz in Berlin am 30. Juli 2014 © dpa Bildfunk Foto: Daniel Bockwoldt
Spricht von einer "Risikotechnlogie": Maria Krautzberger, Präsidentin des Umweltbundesamts.

Wie die Politik mit wissenschaftlichem Sachverstand beim Thema Fracking umgeht, hat Panorama bereits gezeigt: Die Leiterin des Umweltbundesamtes (UBA), Maria Krautzberger, sprach bei der Vorstellung des UBA-II-Gutachtens zum Fracking Ende Juli 2014 von einer "Risikotechnologie", deren "Risiken nicht sicher beherrschbar" seien. Der wissenschaftliche Leiter der Studie, Uwe Dannwolf, sagte gegenüber Panorama, dies stehe so nicht in der Studie. Er halte Fracking durchaus für beherrschbar.

Das Umweltbundesamt und das Bundesumweltministerium verteidigten sich. Man habe diese Risikobewertung auf Basis eines anderen Fracking-Gutachtens aus dem Jahr 2012 getroffen. Panorama hat nun auch mit beteiligten Professoren dieses Gutachtens gesprochen, unter anderem mit Professor Ingo Sass, Geologe an der TU Darmstadt. Auch er sagt: "Ich bin zutiefst davon entfernt, Fracking als unbeherrschbare Risikotechnologie" zu bezeichnen. Das könne man auch nicht aus dem Gutachten herauslesen.

Faktencheck Fracking

Fracking ist für viele Menschen ein angstbesetzter Begriff. Panorama hat Experten gebeten, zu den wichtigsten Fragen Stellung zu nehmen und daraus einen Faktencheck zum Thema Fracking erstellt.

Umweltbundesamt bleibt bei seiner Haltung

Panorama hat das Umweltbundesamt und auch das Bundesumweltministerium mit dieser Einschätzung konfrontiert. Das Bundesumweltministerium bleibt dabei, Fracking sei eine Risikotechnologie. Die Höhe der Risiken würde von Wissenschaftlern unterschiedlich eingeschätzt. Das Umweltbundesamt bleibt trotz des erneuten Widerspruchs eines Wissenschaftlers aus einer eigenen Studie der Behörde bei seiner Position.

Welche Risiken beherrschbar und damit tolerabel seien, sei immer eine Abwägungsentscheidung. Außerdem gebe es künftig die Möglichkeit zu wissenschaftlich begleiteten Probebohrungen. Die Einschätzung des Umweltbundesamts könne sich ändern, "wenn neue belastbare Erkenntnisse vorliegen, dass die Technik sicherer geworden ist."

Geologen: Wir werden nicht gehört

Die führenden geologischen Dienste Europas haben sich nun mit einem gemeinsamen Aufruf an die Regierungen gewandt. Sie fordern, dass sie in der Debatte um Fracking endlich gehört werden. Ansonsten könne das "letztendlich zu nachteiligen Entscheidungen für die Gesellschaft führen." Die geologischen Dienste aus Großbritannien, den Niederlanden sowie Dänemark und Norwegen finden, dass ihr Sachverstand von Politik und Medien nicht ausreichend genutzt wird.

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Hans-Joachim Kümpel, Präsident der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (GBR), in einer Nahaufnahme. © NDR Foto: Oliver Gressieker

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Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 25.09.2014 | 21:45 Uhr

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