Eigentümer unbekannt: Wenn Investoren Wohnungen kaufen
Kaum eine Debatte wird derzeit so heftig geführt wie die um Wohnraum. Selbst von Enteignung ist die Rede. Dabei ist nach Recherchen von Panorama und NDR Info oft noch nicht mal klar, wem die Wohnungen überhaupt gehören. Offenbar wechseln zahlreiche Immobilien in Deutschland ihre Besitzer, ohne dass Mieter und deutsche Behörden etwas davon mitbekommen.
Ein Schweriner Wohnungskomplex mit mehr als 1.000 Wohnungen, ein maroder Hannoveraner Betonkoloss mit verwaisten Geschäften und ein Hochhaus in Dortmund, das seit mehr als einem Jahr leer steht - sie alle haben eines gemeinsam: ratlose und wütende Bewohner. Wer Eigentümer der Häuser ist und damit auch verantwortlich für ihre Probleme, ist kaum herauszufinden. Bei all diesen Immobilien trat derselbe Mann als Investor auf: Amir Dayan, ein israelischer Geschäftsmann, der Teil einer weltweit operierenden Unternehmerfamilie ist.
Doch wer besitzt die Immobilien wirklich? Auf dem Papier gehören die Schweriner Plattenbauten einer GmbH namens "Projekt Wohnen Schwerin". Eigentümer dieser GmbH war zwar tatsächlich kurzzeitig Amir Dayan. Inzwischen aber gehören die GmbH und damit die Immobilien keinem einzelnen Menschen mehr, sondern zwei Firmen auf Zypern: der "Retzian Limited" und der "Livenio Limited".
Die Suche führt nach Zypern
Auch das Ihme-Zentrum, das einmal eine "Stadt in der Stadt" Hannover sein sollte und auf einem riesigen Betonfundament steht, gehört größtenteils einer solchen Firmenstruktur. Es befindet sich im Besitz der "Projekt IZ Hannover GmbH". Deren Eigner war bis Ende 2018 wiederum ein zyprische Firma: die "Petherola Limited". Genauso ist es auch beim Hannibal-II-Komplex in Dortmund. Das Hochhaus, das Ende 2017 wegen gravierender Brandschutzmängel geräumt wurde, ohne dass die Bewohner seitdem wieder dort einziehen konnten, gehört der "Lütticher 49 Properties GmbH". Und auch hinter dieser steht wieder kein Mensch, sondern eine Firma - die "Fanrouge Limited" auf Zypern.
Noch etwas haben alle drei Immobilienkomplexe gemeinsam: ihre zyprischen Besitzer-Firmen werden von der gleichen Anwaltskanzlei verwaltet: der "KKPLaw Group". Die gibt an, all dies sei rechtlich einwandfrei und transparent gegenüber den relevanten Behörden.
Doch ein Branchen-Insider auf Zypern, der unerkannt bleiben will, erklärt, wozu die Firmengeflechte dienen können: "Wenn man als Investor nur einen kleinen Anteil an einer deutschen Immobilie verkaufen möchte, dann geht das über eine Holdingfirma auf Zypern leichter." Und es gibt noch einen Vorteil: "In Deutschland bekommt niemand etwas von diesen Verkäufen mit."
Komplexes Immobiliengeflecht
Genau dies, so zeigen es die Recherchen von Panorama und NDR Info, ist in Schwerin passiert. Die heutige "Projekt Wohnen Schwerin GmbH" geht schon kurz nach dem Kauf der Immobilien in den Besitz einer Aktiengesellschaft in Luxemburg über - die "Grand City Properties SA". Ausgerechnet das Unternehmen, gegen das sich die städtische Wohnungsgesellschaft WGS damals beim Verkauf der Wohnungen entschieden hatte. Außerdem sollten die Bestände eigentlich zehn Jahre lang nicht weiter verkauft werden. Zwar gehören die Wohnhäuser noch immer der deutschen Immobiliengesellschaft. Doch die Besitzer dahinter haben gewechselt, ohne dass es in Schwerin jemand mitbekommen hat.
Amir Dayan hält über sein "Dayan Family Office" zwar noch Anteile an den Immobilien in Schwerin, doch die sind sehr gering. Das Sagen darüber, was und wie saniert wird, hat die Aktiengesellschaft. Auch für das Ihme-Zentrum in Hannover und für das Hannibal-Hochhaus zeigen die Recherchen ähnliches: Der Hannibal-Komplex gehörte von 2015 bis zum Jahr der Räumung 2017 ebenfalls mehrheitlich der Aktiengesellschaft "Grand City Properties". Und das Ihme-Zentrum wechselte für ein Jahr, von 2015 bis 2016, mehrheitlich in den Besitz eines weiteren Aktienkonzerns mit Sitz in Luxemburg: "Aroundtown SA" - heute ein Immobilienriese und Aufsteiger an der Frankfurter Börse. Das Hin- und Hergeschiebe der Eigentumsverhältnisse geschah auch in diesen Fällen unbemerkt von der Öffentlichkeit, denn stets wurden nur Anteile an der zyprischen Mutterfirma verkauft. Warum dies geschah, bleibt offen.
Die Verflechtungen enden hier jedoch nicht: Auch die beiden Aktiengesellschaften sind untereinander vernetzt: "Grand City Properties" gehört mehrheitlich Aroundtown. In ihrem Geschäftsbericht verweist die Grand City Properties extra darauf, dass das Immobilienvermögen der Aktiengesellschaft hauptsächlich über sogenannte "Zweckgesellschaften" gehalten wird, die einen Verkauf durch "Share Deals" ermöglichen. Das birgt enorme Steuervorteile. Denn dadurch, dass nur Firmenanteile und keine ganzen Immobilien verkauft werden, entfällt die Grunderwerbssteuer. Das hessische Finanzministerium schätzt, dass sich die Steuerausfälle der Bundesländer durch "Share Deals" auf eine Milliarde Euro belaufen. Für die Unternehmen ist die Steuerersparnis ganz legal.
Vor allem Hotels auf modernes Niveau saniert
Die deutsche Verwaltungsfirma des Dayan-Family-Office, die früher für Bewohner und Kommunen als "Intown" bekannt war und heute "Lianeo Real Estate" heißt, gibt an, "keine Steuerverkürzungen in Deutschland" vorzunehmen und in den vergangenen vier Jahren mehr als 100 Millionen Euro Steuern hierzulande gezahlt zu haben. Überprüfen lassen sich diese Angaben nicht. Auch den Vorwurf der Intransparenz will man nicht gelten lassen. Neben Aktiengesellschaften wie "Aroundtown" und "Grand City Properties" arbeite man mit institutionellen Investoren wie israelischen Versicherungen und Pensionsfonds und einer amerikanischen Investmentgesellschaft zusammen. Gemeinsam mit diesen Partnern entwickle man Immobilien mit Leerstand und Sanierungsstau weiter. Man verwalte oder besitze 200 Immobilien in ganz Deutschland. Allerdings nennt "Lianeo" nur sechs Objekte unter anderem in Leipzig, Berlin, Dresden und Chemnitz, die nachweislich auf ein modernes Niveau saniert wurden. Dabei handelt es sich vor allem um Hotels.
Vor Ostern machten Gerüchte die Runde, dass das ganze Wohnimmobilienportfolio des Dayan-Family-Offices verkauft werden soll. Dies bestreitet die Verwaltungsfirma zwar und spricht von "gezielten Markttests" mit unterschiedlichen Immobilien, "von denen tatsächlich aber nur eine Auswahl wirklich verkauft werden soll". Aber welche Gebäude das sind und wann sie den Besitzer wechseln werden, dazu schweigt das Unternehmen.