Der Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schaut in die Kamera. © picture alliance Foto: Bernd von Jutrczenka

Gebremster Eifer: Staatsanwaltschaft ermittelte 1,5 Jahre gegen Scholz

Stand: 23.02.2022 09:00 Uhr

Die Akte der Hamburger Staatsanwaltschaft im Cum-Ex-Skandal-Vorermittlungsverfahren gegen Olaf Scholz offenbart: Die Behörde ermittelte mit gebremsten Eifer.

von Oliver Hollenstein, Oliver Schröm

Die Akte der Hamburger Staatsanwaltschaft im Vorermittlungsverfahren gegen Olaf Scholz offenbart: Die Hamburger Behörde ermittelte mit gebremstem Eifer. Mitten im Wahlkampf prüfte sie in kleinstem Kreis Ermittlungen gegen den heutigen Kanzler wegen mutmaßlicher Verstrickung in den Cum-Ex-Skandal um die Warburg Bank. Offiziell war Scholz über das Prüfverfahren nicht informiert. Nun tauchen deutliche Briefe von seinem Rechtsanwalt auf.

Der Vorwurf lautet: Untreue. Daneben steht auf dem Deckblatt: "Scholz, Olaf. Geb. 14.06.1958, Osnabrück“. Die Vorermittlungsakte gegen den jetzigen Bundeskanzler umfasst mehrere Bände. Es geht um die Frage, ob er in seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister Einfluss genommen hat auf ein Steuerverfahren über 47 Millionen Euro zugunsten der Privatbank M.M. Warburg.

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Panorama hat Einblick in Ermittlungsakte

Auslöser für das Prüfverfahren der Staatsanwaltschaft Hamburg: eine Reihe von Strafanzeigen, die nach der ersten Panorama-Enthüllung im Februar 2020 über eines der Treffen zwischen Scholz und den beiden Mitinhabern der Bank bei der Behörde eingegangen waren. Eineinhalb Jahre lang führte die Staatsanwaltschaft unter dem Aktenzeichen 5700 Js 1/20 gegen Olaf Scholz Vorermittlungen durch - um sie dann drei Wochen vor der Bundestagswahl klammheimlich einzustellen. Panorama und "Manager Magazin" konnten die Akte der Staatsanwaltschaft exklusiv einsehen. Neben den Anzeigen enthält sie Korrespondenzen mit dem Rechtsanwalt von Scholz, behördeninterne Vermerke sowie einen 36 Seiten langen Einstellungsbeschluss.

Die Prüfung verläuft von Anfang an mit übersichtlichem Elan. Schon fünf Tage nach der Eröffnung des Verfahrens schreibt Ralf Anders, der Leiter der Hamburger Staatsanwaltschaft, dem zuständigen Oberstaatsanwalt eine Mail: Er sehe keinen Anfangsverdacht, man starte nur ein Verfahren mit Aktenzeichen, weil das die Aktenordnung bei Anzeigen gegen bestimmte Personen so vorsehe.

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Zögerliche Ermittlungen

In diesem Geiste geht es weiter: 13 Monate nach dem Start der Vorermittlungen erklärt die ermittelnde Staatsanwältin (laut einem Vermerk eines Kölner Kollegen im März 2021), sie habe sich aufgrund vordringlich zu bearbeitender Verfahren mit dem Inhalt des Vorgangs noch nicht beschäftigt. Die Kölner Ermittler führen schon zu der Zeit Ermittlungen gegen die Warburg-Bank. Die Hamburger Staatsanwältin hatte sie früh eingeweiht und gefragt, ob dort bereits Ermittlungen auch gegen Scholz laufen. Ansonsten ist wegen der Brisanz des Themas der Kreis der Eingeweihten klein. Scholz wird nicht unterrichtet - zumindest nicht offiziell.

Wer informierte Scholz?

Sein Umfeld erfährt trotzdem davon, woher, ist bis heute unklar. Auf Anfrage teilt die Staatsanwalt mit: "Für entsprechende Informationen an Herrn Scholz kommen nach wie vor verschiedene Quellen in Betracht. Valide Anzeichen dafür, dass ein Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft hierfür verantwortlich sein könnte, haben sich im Rahmen einer internen Prüfung nicht ergeben." Ansonsten wolle man sich zu den abgeschlossenen Vorermittlungen nicht äußern. Klar ist: Ebenfalls im März 2021 meldet sich Scholz' Rechtsanwalt Thomas Bliwier bei der Staatsanwaltschaft, erkundigt sich, ob es zutreffe, dass unter besagtem Aktenzeichen gegen seinen Mandanten ermittelt wird - und beantragt Akteneinsicht. Umgehend schickt er eine von Scholz am Vortag unterschriebene Vollmacht.

Für Scholz sind die Vorermittlungen zumindest unangenehm. In wenigen Wochen muss er vor dem Hamburger Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) auftreten. Der Ausschuß untersucht, ob er oder andere Politiker Einfluss genommen haben auf eine Steuerentscheidung über 47 Millionen Euro zugunsten der Warburg Bank. Zudem: Wenn im Ausschuss herauskommt, dass die Staatsanwaltschaft seit mehr als einem Jahr Vorermittlungen gegen den SPD-Kandidaten führt, könnte das die SPD-Kampagne zur Bundestagswahl empfindlich treffen. Diese Sorge treibt offenbar auch Anwalt Bliwier um: Er fürchte, Scholz könne wegen des "außerordentlich sorglosen Umgangs mit dem Gegenstand der Vorermittlungen" im Ausschuss dazu befragt werden, schreibt der Anwalt. Er bitte daher um schriftliche Bestätigung, dass gegen Scholz kein Ermittlungsverfahren geführt werde.

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Scholz: "Es ist ganz klar, dass da nichts ist"

Am 30. April 2021 sagt Scholz im Untersuchungsausschuss aus. Nach den Ermittlungen wird er nicht gefragt, die Opposition weiß nach eigenen Angaben nichts von dem Verfahren der Staatsanwaltschaft, Scholz erwähnt es auch nicht. In einem Statement für die Fernsehkameras betont er anschließend: "Es ist ganz klar, dass da nichts ist." Es sei gut gewesen, "alles" darlegen zu können. "Es ist gut, dass sich nichts Neues herausgestellt hat, sondern alle wissen: Dies ist eine Sache, wo sich die Hamburger Verwaltung, der Bürgermeister und der Finanzsenator völlig korrekt verhalten haben."

Im Ausschuss hatte er den Verdacht einer Einflussnahme auf das Finanzamt zuvor als "Schauermärchen" abgetan. Seine allumfassende Darstellung hatte allerdings erneut deutliche Lücken. An die Treffen mit den Bankern sowie an ein weiteres Telefonat kann er sich nach eigenen Angaben weiter nicht erinnern. Er sei aber sicher, hatte Scholz betont, sich nicht eingemischt zu haben.

Scholz-Anwalt drängt auf Schließung des Verfahrens vor der Wahl

Nach Scholz‘ Auftritt im PUA versucht sein Anwalt mehrfach mit deutlichen Worten, die Staatsanwaltschaft noch vor den Bundestagswahlen zum Ende der Prüfung zu bringen. Am 5. Juli schreibt er an die Staatsanwältin, die Vorermittlungen gegen seinen Mandanten hätten nie eingeleitet werden dürfen. Der Vorgang sei umgehend zu schließen, das Verfahren sofort einzustellen.

Aus den Presseartikeln in der Akte sei kein Fehlverhalten seines Mandanten ableitbar, schreibt Bliwier. "Es wäre wünschenswert gewesen, wenn sich die Ermittlungsbehörde Gedanken gemacht hätte, worin denn eigentlich eine tatbestandsmäßige Handlung oder ein Unterlassen des Mandanten gelegen haben sollte." Zudem sei auch kein Schaden entstanden, das Geld habe die Bank inzwischen zurückgezahlt.

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Am 5. August, es sind noch sieben Wochen bis zur Bundestagswahl, schreibt Bliwier erneut an die Staatsanwaltschaft. Es sei nun ein weiterer Monat vergangen, ohne dass er inhaltlich etwas in der Sache gehört habe. Er habe mehrfach versucht, die Staatsanwältin telefonisch zu erreichen. Das sei nicht gelungen. Sie habe auch nicht zurückgerufen. Die Dinge seien völlig klar. Er erwarte eine zeitnahe Antwort, schreibt Bliwier, die Sache dulde keinen weiteren Aufschub.

Mitte August antwortet die Staatsanwältin, der Fall sei rechtlich komplex, die Vorwürfe würden sich gegen weitere Personen richten, daher dauere die Prüfung noch an. Der Abschluss des Verfahrens werde aber forciert betrieben.

Verfahren wird drei Wochen vor der Wahl eingestellt

Am 7. September, also drei Wochen vor der Bundestagswahl, verfügt die Staatsanwältin schließlich die Einstellung des Verfahrens. Ohne eigene Ermittlungen anzustellen, etwa Zeugen zu vernehmen oder die umfangreichen Unterlagen aus dem Untersuchungsausschuss beizuziehen, kommt die Staatsanwältin zu dem Ergebnis: Es hätten sich keine zureichenden Verdachtsmomente für Straftaten ergeben.

Im Wesentlichen folgt die Staatsanwältin Argumenten des Finanzamts und des Scholz-Anwalts: Zeuginnen aus dem Finanzamt hätten im Untersuchungsausschuss bestätigt, dass es keinen politischen Einfluss, sondern sachliche Gründe für eine Rücknahme gegeben habe. Das hätten auch die Finanzbeamten bestätigt.

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Hamburger Anwalt stellt neue Anzeige

Vergangene Woche hat nun der renommierte Hamburger Rechtsanwalt Gerhard Strate sowohl gegen Olaf Scholz als auch gegen den amtierenden Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher erneut Strafanzeige gestellt. Anders als die bisherigen Anzeigeerstatter hat Strate dies auf 38 Seiten begründet. Strate erhebt darin auch neue Vorwürfe gegen den Bundeskanzler. Er wirft Scholz eine Falschaussage vor dem PUA vor. Scholz habe angegeben, sich an die Treffen mit den Bankiers im Rathaus nicht zu erinnern. Dies sei nicht annähernd glaubhaft. Die Hamburger Staatsanwaltschaft teilt mit, die Strafanzeige werde noch geprüft.

 

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