Computertaste mit der Aufschrift CUM-EX. © picture alliance/chromorange Foto: Christian Ohde

Cum-Ex: Hamburg verließ sich auf zweifelhaften Experten

Stand: 06.01.2022 07:00 Uhr

Hamburg verzichtete 2016 auf 47 Mio. Steuerrückzahlungen der Warburg Bank. Die Stadt verließ sich dabei auf einen Rechtsexperten, der auch für Cum-Ex-Mastermind Hanno Berger arbeitete.

von Oliver Hollenstein und Oliver Schröm

Bei der Entscheidung, auf eine Millionenforderung an die Privatbank M.M. Warburg zu verzichten, verließ sich die Hamburger Finanzverwaltung nach Aussage eines ehemaligen Abteilungsleiters auch auf einen Fachaufsatz aus dem Lager der potenziellen Cum-Ex-Täter. Im Herbst 2016 hatte die Behörde trotz deutlicher Hinweise auf illegales Vorgehen der Warburg Bank dagegen entschieden, 47 Millionen Euro aus Cum-Ex-Geschäften von ihr zurückzufordern. Begründet hatten die Beamten das mit der Sorge, eine Rückforderung werde vor Gericht womöglich nicht standhalten. Grundlage dafür war auch ein Aufsatz des Autors Hartmut Klein, der für Cum-Ex-Mastermind Hanno Berger arbeitete, wie Recherchen von Panorama und "manager magazin" zeigen.

Fachautor Klein kein neutraler Experte

Eingang der Warburg-Bank in Hamburg © Screenshot
Noch 2016 begründete die Hamburger Finanzverwaltung ihre Entscheidung, die 47 Millionen Euro von Warburg nicht zurückzufordern, mit einer angeblich unsicheren Rechtslage.

Das Vertrauen in diesen Experten offenbarte ein Mitarbeiter der Hamburger Finanzbehörde kürzlich im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft zu diesen Cum-Ex-Geschäften. Im November 2021 war mit Michael Wagner der für den Fall Warburg zuständige Abteilungsleiter der Finanzbehörde vorgeladen. Der Verzicht auf die Rückforderung sei eine "knallharte Rechtsentscheidung" gewesen, beteuerte Wagner.

Anders als Finanzverwaltungen in anderen Bundesländern habe er nicht auf ein Urteil des Finanzgerichts Hessen zurückgegriffen, das solche Geschäfte als illegal bewertet hatte. Das Finanzgericht Hessen habe eine "Rechtsposition vertreten", sagte Wagner, die er und seine Kollegen in der Finanzbehörde "so nicht geteilt" haben. Wagner bezog sich dabei ausdrücklich auf "die Fachliteratur, allen voran (von) Hartmut Klein". Insbesondere ein Aufsatz "von Dr. Hartmut Klein hat einen natürlich sehr nachdenklich gestimmt, was die Rechtsprechung des Finanzgerichts Hessen angeht", erklärte er im Untersuchungsausschuss. "Dr. Hartmut Klein ist nicht irgendwer, sondern Dr. Hartmut Klein hat fast 30 Jahre an der Bundesfinanzakademie unterrichtet. Da sind Tausende von Finanzbeamten durchgelaufen, haben Fortbildung gemacht. Der kann also aufgrund seiner Vita nicht irgendetwas in seine Aufsätze reinschreiben, sondern das muss schon Hand und Fuß haben."

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Der Fachautor Hartmut Klein, auf den sich Wagner bei der 47-Millionen-Entscheidung zugunsten der Warburg Bank verließ, war damals allerdings kein neutraler Experte: Er arbeitete schon seit Jahren für den Steuerberater Hanno Berger, der schon damals als Mastermind hinter den Cum-Ex-Geschäften galt und auch die Warburg-Bank bei ihren Geschäften beraten hatte.

Gute Vernetzung

Als die Staatsanwaltschaft 2012 wegen Cum-Ex-Geschäften die Frankfurter Kanzlei von Berger durchsuchte, setzte sich Berger umgehend in die Schweiz ab. Zwischenzeitlich haben Staatsanwaltschaften in Frankfurt und Köln Anklage gegen Berger erhoben und seine Auslieferung beantragt. Seit Sommer 2021 sitzt Berger deswegen in einer Justizvollzugsanstalt im Schweizer Kanton Graubünden und versucht, seine Auslieferung nach Deutschland mit Klagen zu verhindern.

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Hartmut Klein bildete bis 2012 als Dozent an der Bundesfinanzakademie Finanzbeamte aus. Seine gute Vernetzung machte sich dann die Kanzlei von Berger zunutze. Klein sammelte Informationen für Berger, die öffentlich nicht verfügbar waren, berichtete ein ehemaliger Geschäftspartner von Berger der Staatsanwaltschaft. Klein hatte auch nach Bergers Flucht noch intensiven Kontakt zu dem Cum-Ex-Mastermind. Dies geht aus Protokollen der Telefonbewachung durch nordrhein-westfälische Ermittler hervor, die Panorama und dem "manager magazin" vorliegen. Bei einem Telefonat Ende 2014 ging es um einen Fachaufsatz von Klein, den er mit Berger abstimmte. Berger diktiert in diesem Telefonat Klein, er solle "herausarbeiten", dass Cum-Ex "keine Straftat" sei.

Der Hamburger Finanzbeamte Michael Wagner kennt wiederum Klein persönlich - seit 1987, wie er bei seiner Anhörung vor dem Ausschuss aussagte. Allerdings sei ihm nicht bekannt, dass der Steueranwalt Geschäftsbeziehungen zu Cum-Ex-Mastermind Berger hatte.

Finanzbehörde: "Wussten nichts von Zusammenarbeit Klein-Berger"

Auf Anfrage von Panorama und "manager magazin" äußerte sich Klein zu dem Thema nicht. Der kurz nach seiner Aussage in den Ruhestand getretene Wagner war für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Sein früherer Arbeitgeber teilte auf Anfrage mit, die Finanzbehörde gehe davon aus, dass Mitarbeiter von der Finanzverwaltung nichts von einer "wie auch immer gearteten Zusammenarbeit" von Klein und Berger gewusst haben. "Es ist davon auszugehen, dass dies auch für den inzwischen pensionierten Kollegen gilt. Aufgrund der mittlerweile vorliegenden Erkenntnisse und der ergangenen Rechtsprechung zu den Cum-Ex-Geschäften dürften die inhaltlichen Aussagen der Aufsätze allerdings erheblich an Bedeutung verloren haben."

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Kein seriöses Geschäft

Den tatsächlichen Motiven der Hamburger Steuerverwaltung, die Millionen von Warburg nicht zurückzufordern, geht der Untersuchungsausschuss "Cum-Ex Steuergeldaffäre" seit mehr als einem Jahr nach. Die Kölner Staatsanwältin Anne Brorhilker, federführend für die Aufklärung der Cum-Ex-Geschäfte in Nordrhein-Westfalen zuständig, erklärte im Ausschuss: "Es waren völlig dubiose Umstände. Dass hier Scheinrechnungen von Privatbank zu Privatbank geschrieben werden, das kenne ich sonst nur aus dem Baugeschäft." Sie könne die Argumente der Hamburger Finanzverwaltung nicht nachvollziehen: "Ich kann mir nicht vorstellen, wie man annehmen kann, dass es sich hier um ein seriöses Geschäft handelt."

Rechtliche Unsicherheit

Aus Hamburger Sicht bestand damals große rechtliche Unsicherheit. Tatsächlich gab es im Herbst 2016 noch kein höchstrichterliches Urteil zu Cum-Ex-Geschäften. Man habe allerdings auf eine Reihe erstinstanzlicher Urteile zurückblicken können, die alle ziemlich einheitlich waren, erklärte der Ulmer Steuerrechtsprofessor Heribert Anzinger als Sachverständiger dem Ausschuss.

Richtschnur für viele Steuerbehörden in Deutschland war damals ein Urteil des Finanzgerichts Hessen: Im Zweifel müssen die Steuerpflichtigen bei Cum-ex-Geschäften beweisen, dass die Steuern, die sie zurückerstattet bekommen möchten, vorher überhaupt gezahlt wurden. Renommierte Kanzleien warnten daraufhin ihre Klienten, dies sei die neue Linie der Finanzämter.

Urteil angegriffen

Neben seinen mit Berger abgestimmten Fachaufsätzen hat Hartmut Klein 2014 auch anderweitig Stimmung gegen das Urteil gemacht. Bei Steuerseminaren für Doktoranden und Beamten der Finanzverwaltungen hatte Klein das Urteil angegriffen und "aggressive Steuerplanungen" wie Cum-Ex als "legal" dargestellt, wie aus einem Seminarprotokoll hervorgeht, das Panorama und "manager magazin" vorliegt.

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2016 begründete die Hamburger Finanzverwaltung ihre Entscheidung, die 47 Millionen Euro von Warburg nicht zurückzufordern, mit einer angeblich unsicheren Rechtslage. Neben Steuerchef Wagner gaben weitere mit dem Fall Warburg befasste Finanzbeamte dies im Untersuchungsausschuss als Begründung an, das Geld nicht zurückzufordern. In Sorge waren die Beamten der Finanzbehörde zudem wegen einer möglichen Pleite der Bank. Die zuständigen Beamten mussten im Ausschuss allerdings einräumen, dieses Szenario gar nicht näher geprüft zu haben. Die Bank habe das so dargestellt, erläuterte die zuständige Finanzbeamtin im Untersuchungsausschuss. "Ich habe das dann geglaubt."

Keine politische Einflussnahme laut Scholz und Tschentscher

Auslöser für die Einsetzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschuss war die Berichterstattung von Panorama sowie der "Zeit" und  der "Süddeutschen Zeitung" im September 2020. Nach Recherchen von Panorama hatte sich Scholz vor der Entscheidung der Finanzverwaltung, die Millionen nicht zurückzufordern, mehrfach mit den Inhabern der Warburg-Bank getroffen.

Sowohl der damalige Bürgermeister Hamburgs, Olaf Scholz, wie auch der damalige Finanzsenator Peter Tschentscher (beide SPD) haben stets erklärt, politisch keinen Einfluss genommen zu haben. Im "Jahresabschlussgespräch" mit der NDR-Sendung Hamburg Journal sprach Tschentscher wie sein einstiger Steuer-Abteilungsleiter Wagner von einer "knallharten Rechtsentscheidung". Der Vorwurf der politischen Einflussnahme sei im Untersuchungsausschuss "durch Zeugenvernehmung klipp und klar widerlegt worden". Der Ausschuss wird voraussichtlich noch bis Ende 2022 arbeiten und eine Reihe weiterer Zeugen vernehmen, darunter auch Tschentscher und Scholz.

 

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