VIDEO: Vendée-Globe-Talk mit Experte Tim Kröger - Rück- und Ausblicke (37 Min)

Segel-Experte Kröger zu Boris Herrmann: Viel Pech und folgenreiche kleine Fehler

Stand: 29.01.2025 23:27 Uhr

Boris Herrmann ist in 80 Tagen allein nonstop um die Welt gesegelt und bei der prestigeträchtigen Vendée Globe als Zwölfter ins Ziel gekommen. Nicht zuletzt der Hamburger selbst hatte sich mit der Malizia - Seaexplorer deutlich mehr erhofft. NDR Segel-Experte Tim Kröger zieht im Interview Bilanz.

Tim, Boris Herrmann ist als Zwölfter ins Ziel gekommen. Was ist das erste Wort, das dir dazu einfällt?

Tim Kröger: (überlegt) "Schade"... Es ist nicht das, was sich Boris gewünscht hat und auch nicht das, was sich die Fans gewünscht haben. Und wenn man sich das Projekt anschaut, dann wäre sicher mehr drin gewesen.

Herrmann und das Team Malizia können also nach diesen 80 Tagen auf hoher See nicht mit dem Ergebnis zufrieden sein.

Kröger: Mit dem rein sportlichen Ergebnis nicht. Fairerweise muss man aber auch sagen, dass er schon bis auf 20 Meilen an Platz vier dran und sein Foilbruch bei einer Kollision nicht selbstverschuldet war. Das hat ihn sicher einige Plätze gekostet.

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Andere hatten aber natürlich auch Rückschläge wegzustecken. Ich gehe davon aus, dass Boris mit der Platzierung nicht zufrieden ist. Ich wäre es jedenfalls nicht.

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Boris Herrmann an Bord der Malizia - Seaexplorer © Team Malizia

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Herrmann selbst hatte einen Platz auf dem Podest angepeilt und sicher auch ein bisschen auf den Sieg geschielt. Warum hat er dieses Ziel so deutlich verpasst?

Kröger: Das muss man Boris fragen. Das möchte ich nicht vom Lehnstuhl aus bewerten. Fakt ist zuerst, dass alle Leute, die so ein Rennen gesegelt und beendet haben, wirklich etwas ganz Außergewöhnliches geleistet haben. Alleine um die Welt - das saugt alles aus dir raus. Die Belastungen, die da auf einen Segler einhämmern, sind heftig und hinterlassen Spuren.

Bei so großen Herausforderungen besteht immer die Gefahr, dass man sein persönliches Ziel nicht erreicht. Das habe ich selbst erlebt. Aber für mich gibt es unter den Top Ten eigentlich keine großen Überraschungen. Die Top-Favoriten haben von Beginn an Vollgas gegeben. Boris hat früh Wolkenpech im Atlantik gehabt, hatte aber auch nicht immer ein glückliches Händchen mit seinen Entscheidungen. Wofür er später, als er in anderen Wetterfenstern unterwegs war als die Führenden, sehr hart bestraft wurde.

Bei der Vendée Globe stehen der Abenteuer-Faktor und der sportliche Wettkampf nebeneinander. Aber der sportliche Aspekt wird immer wichtiger. Das haben viele Skipper im Ziel bestätigt. Man muss immer mehr leisten.

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Die Malizia - Seaexplorer auf See © © Jean Marie Liot I IMOCA I Team Malizia

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Charlie Dalin, Yoann Richomme und Sébastien Simon als Top Drei haben beeindruckende Leistungen gezeigt - und hatten auch besonders gute Segelbedingungen. Welchen Anteil hatten Pech, das Boot oder auch Boris Herrmanns seglerische Leistung an seiner Platzierung?

Kröger: Die Gründe sind offensichtlich. Die drei Ersten hat es durch ihre Leistung, ihr insgesamt gutes Bootsmanagement und später im Rennverlauf auch durch die teilweise sehr günstigen Wettersysteme sehr weit nach vorne katapultiert. Das Feld zog sich auseinander, es gab unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichen Bedingungen, die nicht mehr vergleichbar waren. Davon auszugehen, dass die Podiumsboote so viel besser gewesen sind, weil sie eher im Ziel waren, ist Quatsch.

"Es bleibt eine Ausnahmeleistung eines deutschen Seglers. Er ist zum zweiten Mal im Vendée Globe komplett um die Welt gesegelt. Das ist schon ein großer Erfolg per se. Es ist eine der letzten großen Herausforderungen, die wir auf der Erde haben, so ein Rennen zu bestehen." Tim Kröger

Aber einige Skipper haben es geschafft, auch nach schlechten Phasen wieder stark aufzuholen. Auch Boris ist das zwischendurch gelungen. Dann kamen die eine oder andere unglückliche Positionierung und mehr Bruch dazu, als man sich wünschen würde. Aber man muss auch festhalten: Weder verantwortet man einen Blitzeinschlag selbst noch eine Kollision.

Eigentlich sollte die Malizia - im Vergleich zum Rennen vor vier Jahren - mit ihrer robusten Bauweise der große Vorteil werden. Das hat anscheinend nicht geklappt...

Kröger: Jedes dieser Top-Boote ist für die Person gebaut worden, die sie jetzt segeln. Wenn ich einen Stil habe, der sehr tough ist und mich in eine Askese treibt, dann wird das Boot wahrscheinlich sehr brutal und leicht. Wenn ich da aber auf einer anderen Schiene und mehr im zuverlässigen Sicherheitsbereich unterwegs bin, dann baue ich ein völlig anderes Boot.

Auf der Biotherm von Paul Meilhat ist zum Beispiel nichts Komfortmäßiges. Der operiert in einer extremen Ecke. Meilhats Team musste ihn überreden, an Bord nicht auf dem Boden zu schlafen, sondern zumindest so einen Bean Bag zum Schlafen mitzunehmen. Das ist schon eine ziemliche Askese.

Der Erste und der Zweite, Charlie Dalin und Yoann Richomme, haben ihre Boote genau wie Boris auf hohem Niveau auf ihre persönlichen Segelstile und individuellen Bedürfnisse abgestimmt. Richtig ist, dass Boris' Boot eher für rauere Bedingungen ausgelegt ist. Die waren bei seiner ersten Vendée Globe deutlich stärker ausgeprägt als dieses Mal. Auch hier war das Glück nicht auf seiner Seite.

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Boris hat selbst von Fehlern bei seiner Kurswahl gesprochen. Hätte er mehr herausholen können?

Kröger: Das sind zwar nur wenige und kurze Momente im Rennen gewesen. Aber die hatten tatsächlich ärgerliche Auswirkungen. Einmal in der Anfangsphase auf dem Weg zum Äquator und dann beispielsweise auf dem Rückweg nördlich vom Äquator, wo er unglücklich weit auf die linke Seite einer Gruppe geriet und aufgrund der speziellen Windsituation nicht mehr gut zurückkam.

Rückblickend hätte Boris schnell reagieren müssen, als er in diese Situation gekommen ist. Da hätte es nur geholfen zu wenden. So hat es Justine Mettraux (TeamWork), die offenbar mit einer ähnlichen Winddrehung zu kämpfen hatte, auch gemacht. Aber als Boris klar wurde, dass er sich aus dieser Lage so schnell nicht befreien kann, brach auch noch das Foil.

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Gerade nach der Rundung von Kap Hoorn haben sich die Schreckensmeldungen von Bord der Malizia gehäuft: Zweimal musste Boris Herrmann die 29 Meter in den Mast steigen. Dazu gab es den Blitzeinschlag - und zuletzt auch noch die Kollision mit einem unbekannten Objekt, die das Backbord-Foil außer Betrieb setzte. War das noch das normale Maß oder ist insgesamt schon übermäßig viel zusammengekommen?

Kröger: Da ist gemein viel zusammengekommen. Naturereignisse wie Blitzeinschläge oder Kollisionen sucht man sich nicht aus. Da kann man nur demütig sein, wieder aufstehen und kämpfen. Wenn ein Teil an der Segelaufhängung kaputtgeht, das andere gar nicht haben, ist das zwar kein Pech. Aber es wurde zwei Jahre lang erfolgreich getestet, bevor es versagte. Also war es auch schwer vorhersehbar.

Spannend wird zu erfahren sein, was es mit den Problemen an Boris' Foil auf sich hat. Bei Sébastien Simon wurde das Foil bei einer Kollision richtig abgerissen. Das war für den Franzosen im weiteren Verlauf des Rennens einfacher zu handhaben. Bei Boris brach es "nur" an. Er konnte es mit Bordmitteln nicht absägen, sonst hätte er es getan. So hat ihn das Foil gebremst und sein Leben schwer gemacht - unglücklich.

Aber natürlich hatten neben Simon auch noch andere große Probleme: Zum Beispiel der Chinese Jingkun Xu, der nur einen Arm hat und ebenfalls für Reparaturarbeiten in den Mast klettern musste. Bei Clarisse Crémer waren nach einem Wassereinbruch beide Rechner, die sie zum Navigieren benutzt, beschädigt. Ihr ist es gelungen, aus zwei Rechnern einen zu bauen, um weiterfahren zu können. Das muss man sich mal vorstellen auf einem Boot, auf dem es schaukelt und wackelt, es feucht und nass ist. Das ist ja schon zu Hause am Schreibtisch schwierig.

Boris Herrmann hat seine Fans und alle Segelfreunde während der Vendée Globe sehr an seinem Seelenleben teilhaben lassen: Einsamkeit, Frust und Freude, aber auch seine Höhenangst waren regelmäßig Teil seiner Meldungen von Bord. Lenkt das vielleicht auch ab?

Kröger: Je härter der Wettkampf wird, desto weniger schwingt die Abenteuer-Komponente noch mit. Auf der einen Seite finde ich es großartig und auch wichtig, wenn die Segler in der Lage sind, die Menschen zu unterhalten und ihnen diesen besten Sport der Welt näherbringen. Boris ist es in besonderer Weise gelungen, eine völlig neue Fangemeinde für den Segelsport zu erschließen. Die Leute haben mitgefiebert und sind auch an seinem Seelenheil interessiert.

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Andererseits muss aber der sportliche Wettkampf im Fokus stehen. Und es ist ja auch nicht so, dass die drei Ersten irgendwelche emotionslosen Roboter sind. Aber ihr Fokus lag darauf, dieses Rennen maximal erfolgreich zu segeln.

Du bist selbst zweimal um die Welt gesegelt. Was hat dich überrascht bei dieser Vendée Globe?

Kröger: Mich haben schon die hohen Geschwindigkeiten der Boote überrascht. Die Durchschnittsgeschwindigkeiten der beiden Ersten von fast 18 Knoten sind gigantisch. Das Abenteuer-Thema weicht dem sportlichen Wettkampf nicht, aber es hängt hinten dran. Es ist herausragend, wie schnell dieses Rennen geworden ist.

Positiv überrascht hat mich auch die überschaubare Ausfallquote. Ich hätte bei 40 Teilnehmern mit einem Drittel Ausfall gerechnet. Aber bisher sind es nur sechs Boote gewesen. Die meisten haben sehr gut durchgehalten; und das daran gemessen, dass die teilweise viel härter getreten wurden. Das zeigt das Niveau, auf dem in der ersten Flottenhälfte operiert wird und wie die Männer und Frauen in der Lage sind, auf Rückschläge zu reagieren.

Was kann und sollte Boris Herrmann aus seiner zweiten Vendée Globe lernen - auch mit Blick auf eine weitere Teilnahme?

Kröger: Mit Ratschlägen aus der Ferne ist das so eine Sache. Aber eines ist auf Kurs Zukunft immer hilfreich: sich ehrlich zu hinterfragen und jeden Stein umzudrehen. Waren die Entscheidungen, die getroffen wurden, sinnvoll und zielführend?

Das kann im Rahmen eines solchen Projekts auch ein schmerzvoller Prozess sein. Aber für Erfolg in der Zukunft muss man das angehen. Sich schlaumachen, über den Tellerrand schauen und studieren, was bei anderen Leuten besser funktioniert hat.

Alles in allem muss und wird Boris sicher sein Rennen sportlich und technisch sehr genau debriefen, wie wir die Analyse nach der Regatta nennen. Das wird die Grundlage für eine erfolgreiche dritte Solorunde um die Welt sein.

 

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Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 29.01.2025 | 13:00 Uhr

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