Segler Boris Herrmann: In Hamburg Kraft sammeln für die Vendée Globe
Der Profi-Segler Boris Herrmann wird auch in diesem Jahr mit seiner Malizia - Seaexplorer an der Vendée Globe, der härtesten Regatta der Welt, teilnehmen. Im Hamburger Hafenkonzert bei NDR 90,3 spricht er darüber.
Am 10. November beginnt die Non-Stop-Weltumseglung für Einhandsegler, die der Hamburger 2021 als bislang einziger Deutscher absolviert hat und auf Rang fünf beendete. "Ich zähle schon die Tage, bin etwas angespannt und im Tunnel", erzählt der 43-Jährige. Er versuche, schon jetzt für seine dreimonatige Abwesenheit, der Zeit auf See, vorab so viel wie möglich an Land zu regeln. Denn schließlich werde er gut 80 Tage unterwegs sein.
Neben den Vorbereitungen für die Vendée Globe sei ihm deshalb jetzt auch erstmal die Familienzeit besonders wichtig. Mit Frau Birte, der vierjährigen Tochter und Hund Lilly steht in diesen Tagen der Familienurlaub an - in Hamburg: "Die Stadt ist relativ leer, es ist ruhig und entspannt. Die Leute sind gut drauf, und wir sind nicht an einem vollen Urlaubsstrand, wo man auch noch stressig hinreisen muss." Doch ganz ausblenden kann Herrmann die Weltumseglung auch im Urlaub nicht. Gemeinsam mit seinem 20-köpfigen Team Malizia laufen die Vorbereitungen weiter.
Die Vendée Globe - 80 Tage allein auf den Weltmeeren
Neben der technischen Seite ist es vor allem die mentale Herausforderung, die den Segler beschäftigt. 80 Tage allein auf den Weltmeeren, Wind und Wetter ausgesetzt und dabei mit wenig Schlaf auskommen zu müssen, diese Erfahrung hat er bereits bei seinem ersten Vendée-Globe-Start vor vier Jahren gemacht. Wichtig sei, sagt er, konstant und auf lange Zeit die eigene Energie aufrecht zu erhalten. Man richte sich nach der Natur. Und wenn der Wind zunehme, müsse man voll da sein.
Das bedeute auch, dass man mit wenig Schlaf auskommen müsse. Theoretisch könne man schon mal drei oder vier Stunden am Stück schlafen. Aber je weiter man im Klassement nach vorne komme, desto seltener sei es, dass man mehr als 60 bis 90 Minuten am Stück ruhen könne.
Der Kampf mit der Einsamkeit
Täglich, stündlich, manchmal minütlich muss Herrmann an Bord der Malizia - Seaexplorer Entscheidungen treffen, die über Erfolg oder Misserfolg bei der Regatta entscheiden. Man muss Wettertaktiker sein, man muss technisch-analytisch immer auf der Höhe sein, aber auch mental: Fahre ich hinter der Flotte her oder entscheide ich mich für meinen Kurs, für den, den ich für den besten halte?
"Die Einsamkeit ist schon eine schwierige Herausforderung für mich." Boris Herrmann im Hamburger Hafenkonzert bei NDR 90,3
Das Regattasegeln hat Herrmann auf dem Zwischenahner Meer im Ammerland gelernt, erste Erfahrungen mit der offenen See sammelte er gemeinsam mit seinem Vater auf der Nord- und Ostsee: "Die beiden Meere sind auch nicht zu unterschätzen mit ihren kurzen kabbeligen Wellen und Strömungen. Das ist durchaus anspruchsvoll. Ich würde sogar sagen, dass die Außenelbe vor Neuwerk zu den schwierigsten Segelrevieren der Welt gehören kann. Wenn der Nordwestwind mit acht Beaufort reinbläst, kann da bei Springtide und ablaufendem Wasser brechende See stehen mitten auf der Elbe, wo man gar nicht mehr rauskommt."
Noch immer in den Gedanken: Die Rettungsaktion von Kevin Escoffier
Noch mehr Gefahren lauern natürlich bei der Weltumseglung. Herrmann hat es selbst erlebt und denkt noch immer an die Such- und Rettungsaktion während der letzten Vendée Globe zurück. Einer der Segler, Kevin Escoffier, hatte Mayday gefunkt. Sein Boot war gesunken, er hatte sich auf seiner Rettungsinsel in Sicherheit bringen können. Vier Boote in der Nähe beteiligten sich an der Suchaktion, darunter auch Herrmanns Malizia - Seaexplorer. Escoffier wurde gefunden und von seinem Konkurrenten Jean Le Cam an Bord genommen.
"Das war natürlich eine große Erleichterung und Freude", sagt Herrmann, gibt aber auch zu, dass er damals heimlich gedacht habe: "Eigentlich hätte ich ihn gerne gerettet, denn ich hätte auch gern jemanden an Bord genommen, mit dem ich ein paar Tage zusammen bin."
2021: Kollision kurz vor dem Ziel
Nach der Rettungsaktion am Rande des Südpolarmeers ging es weiter in Richtung Ziel. In der Nacht vom 27. auf den 28. Januar 2021 verfolgten Tausende von Segelfans hierzulande die letzten Seemeilen der Malizia. Vielen stockte der Atem, als der Hamburger kurz vor Ende auf Rang drei segelnd eine Kollision meldete. Herrmann war mit einem Fischerboot zusammengestoßen. Die Malizia war derart beschädigt, dass Herrmann nur mit reduzierter Geschwindigkeit den Zielhafen erreichen konnte - dank der Zeitgutschrift für die Beteiligung an der Escoffier-Rettung reichte es noch zu Platz fünf.
Immer wachsam - selbst im Schlaf
Doch wie wirkt diese Kollision bei ihm nach? Wie kann man dieses Risiko beim nächsten Mal minimieren? Boris Herrmann erzählt, dass er natürlich noch ab und zu daran denke, sagt aber auch, dass man die Angst vor einem erneuten Malheur dieser Art ausblenden müsse. Technisch hat er auf jeden Fall aufgerüstet: Mittlerweile gibt es in der Koje, in der er schläft, etwa 20 Zentimeter über seinen Augen einen Bildschirm. Dort kann er jederzeit, wenn er die Augen aufschlägt, sehen, was rundherum passiert. Außerdem wird bei der Ausstattung im Schiff großes Augenmerk auf die Anti-Kollisionstechnik gelegt.
Unterwegs auch in Sachen Klimaschutz
Auf dem Segel der Malizia - Seaexplorer steht für jeden weithin sichtbar: "Climate Action Now - A race we must win". Herrmann macht nicht nur Werbung für einen weltweiten Schutz der Ozeane und des Klimas, er wird auch bei dieser Vendée Globe wieder Daten aus dem Meer liefern: "In den Ozeanen liegt unsere Zukunft, was den Klimawandel angeht", meint der Segler.
An Bord der Malizia hat er dafür ein von Kieler Wissenschaftlern entwickeltes Labor. Das hat die Größe eines Reisekoffers und wiegt etwa 20 Kilogramm. Dort werden die Daten gesammelt, die anschließend von den Wissenschaftlern ausgewertet werden. Das Besondere daran: Die Daten kommen aus den Bereichen der Ozeane, wo sonst keine anderen Schiffe unterwegs sind. Vor allem aus der Antarktis liefert er einen großen Datensatz.
Seine Erfahrungen gibt der Hamburger gerne weiter. Er möchte Bewusstsein dafür schaffen, wie wichtig die Weltmeere für das Klima sind. Gemeinsam mit seiner Frau Birte arbeitet er in einer Bildungs-Kampagne, die mit der Kombination aus Abenteuer und Wettbewerb Schülerinnen und Schüler in aller Welt ansprechen und begeistern soll: "Eigentlich müsste es aus unserer Sicht ein Schulfach Ozeankunde geben, weil die Meere so wichtig für unser Leben auf diesem Planeten sind."
Die Segel-Träume des Boris Herrmann
Er habe noch unheimlich viele seglerische Träume und schon neue Projekte für die nächsten Jahre in der Planung, sagt Herrmann im Hamburger Hafenkonzert bei NDR 90,3. Konkretes verrät er nicht. Doch vor allem die Arktis und die Antarktis interessieren ihn. Da wäre er auf den Spuren eines seiner Vorbilder: Arved Fuchs.
Dessen Beobachtung, dass die Hälfte des arktischen Eises bereits abgeschmolzen sei, habe er selbst nachvollziehen können, als er Fuchs' Fahrt durch die Nordost-Passage zehn Jahre später selbst vornahm: "Ich habe mit Schrecken festgestellt, wie aus einer schwierigen Expedition gegen das Eis eine einfache, wenn auch kalte, Segelfahrt durch die arktischen Gewässer geworden war. Vermutlich kann man bald zum Nordpol segeln." Und noch ein Ziel hat Herrmann: Patagonien. "Ich bin so oft rund Kap Hoorn gesegelt und habe das Land gesehen, aber noch nie dort angehalten."
Mit Feuer und Flamme für Olympia - auch in Deutschland
Die Olympischen Spiele in Paris begeistern den Segel-Profi. Wenn Zeit ist, verfolge er gemeinsam mit seiner Tochter zum Beispiel die Wettkämpfe der Street Skater und fiebere mit. "Ich glaube an die tolle Wirkung von solchen Sportveranstaltungen", sagt Herrmann. Gerade aktuell in Paris sehe man, welche Kraft Olympische Spiele entfalten könnten.
"Man kann ein Land durch Olympische Spiele ganz toll repräsentieren." Boris Herrmann
"Ich sehe da eine ganz positive Entwicklung bei Olympia. So, wie das jetzt in Frankreich gemacht wird, ist das noch mal ein großer Schritt nach vorne gegenüber vorherigen Spielen. Und warum nicht auch in Deutschland oder in Hamburg?" Für eine Hamburger Kampagne würde sich Herrmann - Träger des Bundesverdienstkreuzes - auch als Olympiabotschafter zur Verfügung stellen: "Ich bin ein Riesen-Olympiafan und sehe darin eine große Chance."
Volksfeststimmung in Les-Sables-d'Olonne
Der zweite Start bei der Vendée Globe wird für den Hamburger Segler noch einmal eine ganz neue Erfahrung werden. Während die Regatta 2020 unter Pandemie-Bedingungen und ohne Publikum stattfand, werden in diesem Jahr wieder Tausende von Segelfans erwartet. Rund um den Start der größten Segelregatta der Welt ist dann wieder Volksfeststimmung angesagt.
Mit vielen guten Wünschen im Gepäck geht der Hamburger auf die etwa 80 Tage dauernde Reise um die Welt. Im Januar wird er zurück sein. Im Ziel in Les Sables-d'Olonne an der französischen Atlantik-Küste. Auch dann werden wieder viele begeisterte Fans die Seglerinnen und Segler erwarten.