Verhärtete Fronten zwischen Fans und Polizei - Boll plädiert für Dialog
Die Fronten zwischen Fußball-Fans und Polizei sind verhärteter denn je. Am vergangenen Wochenende kam es erneut zu schweren Auseinandersetzungen, viele Anhänger protestierten gegen das Vorgehen der Einsatzkräfte. St.-Pauli-Ikone und Polizist Fabian Boll plädiert für einen neuen, gemeinsamen Dialog.
"Grote und sein Schlägertrupp machen uns den Sport kaputt." Die Banner, die Fans des Fußball-Zweitligisten FC St. Pauli bei der Partie in Rostock ausrollten, waren unmissverständlich: Die Ereignisse vom jüngsten Heimspiel am Millerntor gegen Hannover 96, als die Polizei bei Tumulten im Gästeblock mit Pfefferspray und Schlagstöcken eingeschritten war, hallen nach.
Fans kritisieren Polizei für Einsatz in Hamburg
Eine lebensbedrohliche Situation, argumentierte die Polizei im Nachgang, ein unverhältnismäßiger Einsatz, erklärten viele Anhänger - und bezogen in ihre Kritik neben den Einsatzkräften auch Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) ein.
Selber Spieltag, anderes Stadion, gleiche Stoßrichtung: Bei der Begegnung von Hertha BSC in Hannover solidarisierten sich Berliner Anhänger mit einem Spruchband mit den 96-Anhängern: "Zur Schlichtung in den Block? Nichts als Aggression im Kopf." Am schärfsten ein Banner in der Kurve der Niedersachsen: "Bullen sind Kriminelle in Uniform & Feind Nummer 1".
Verbale und physische Aggressionen nehmen zu
Nimmt man die Eskalation beim Bundesliga-Spiel Frankfurt gegen Stuttgart mit offenbar knapp 200 Verletzten sowohl bei Polizei und Ordnungsdienst wie auf Fan-Seite dazu, ist nach dem vergangenen Wochenende endgültig klar: Die Fronten von Fußball-Anhängern, Vereinen, Polizei und Politik sind verhärteter denn je, die verbalen und physischen Aggressionen und Auseinandersetzungen immer schärfer.
Die Schuld an der Situation, sie wird jeweils beim anderen gesucht: "Man hätte einen anderen Weg wählen müssen", betont Stefan von der "Braun-Weißen Fanhilfe" (Name geändert) gegenüber dem NDR mit Blick auf den Einsatz am Millerntor vor gut zwei Wochen. "Dieser Weg wäre gegangen über die Ordnungsdienste und die Fanprojekte und eben nicht in der Form, als Polizei in den Block von Hannover 96 reinzugehen."
"Hinterher wird immer gerne post-mortale Klugscheißerei betrieben." Thomas Jungfer, Deutsche Polizeigewerkschaft in Hamburg
Thomas Jungfer, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft in Hamburg, hält dagegen. "Hinterher wird immer gerne post-mortale Klugscheißerei betrieben. Hinterher weiß es jeder besser." Die Polizei sei "gut aufgestellt. Wir haben gute Einsatzkonzepte und auch in diesem Fall, bin ich mir ziemlich sicher, wurde Schlimmeres verhindert."
Die Video-Auswertung läuft, die Abneigung wächst. Dazwischen häufig: die Vereine. St. Paulis Präsident Oke Göttlich sagt: "Wir müssen alle dafür sorgen, dass wir deeskalieren. Alle tragen eine Verantwortung." Es gehe um Kommunikation und Prozesse und "um verbale Abrüstung".
Innensenator Grote sieht Vereine in der Pflicht
Vieles klingt aktuell aber eher nach Aufrüstung. Der von Fans kritisierte Grote hatte in der Woche nach dem Einsatz am Millerntor gesagt, er habe nicht den Eindruck, "dass von Vereinsseite zum Beispiel beim Thema Stadionverbote gegen die bekannten Hooligan-Gewalttäter entsprechend vorgegangen wird. Das wäre aber erforderlich." Man stehe vor einer "Situation, die wir so nicht weiterlaufen lassen können".
Auch Polizei-Gewerkschaftler Jungfer sieht "die Vereine ganz klar in der Pflicht, dass sie auf ihre Fans zugehen und auch mal Maßnahmen ergreifen" - und nimmt das Wort Kollektivstrafen in den Mund. Wenn "so etwas das nächste Mal passiert, dann muss man sagen, wir lassen keine Fans mehr ins Stadion".
Eine verbale Steilvorlage bekamen beide vor Wochen schon von DFB-Vizepräsident Ralph-Uwe Schaffert. "Mir macht die ständig steigende Gewaltspirale große Sorgen", hatte der Präsident des Niedersächsischen Fußball-Verbandes (NFV) der "Braunschweiger Zeitung" nach dem Niedersachsenderby Hannover gegen Braunschweig gesagt. Die meisten Vereine zeigten laut Schaffert zu wenig Änderungswillen, sich mit gewaltbereiten Anhängern anzulegen. "Die Clubs sind macht- und lustlos gegenüber diesen Problemfans."
Boll: "Am schönsten wäre es natürlich ohne Polizei"
Gibt es eine Lösung für den Konflikt? Miteinander reden, wenn es nach Fabian Boll geht. Der ehemalige St.-Pauli-Profi, der als Kriminalbeamter selbst Polizist ist, wünscht sich ein präventives Vorgehen und einen gemeinsamen Dialog. Er selber sei "kein Freund von Kollektivstrafen, dass gar keine Gästefans mehr anreisen dürfen", wie es beispielsweise vor Jahren in Italien der Fall war.
Der 44-Jährige sieht einen gestiegenen öffentlichen Druck sowie "mittlerweile eine Dynamik und Aufgeregtheit in der Diskussion". Er spricht sich dafür aus, die Vorfälle ins Verhältnis zu setzen: Am vergangenen Spieltag sei es in 27 Partien in den ersten drei Ligen bei 24 ruhig gewesen.
"Wenn man den gesunden Menschenverstand einschaltet, dann ist schon viel getan." Fabian Boll, Ex-St.-Pauli-Profi und Polizist
Boll plädiert für mehr Kommunikation und dafür, sich "gemeinsam an einen Tisch zu setzen", um ein "Verständnis für die Gegenseite" zu entwickeln. Er, der auch während seiner aktiven Zeit als Profi weiter als Polizist gearbeitet hatte, habe immer den Austausch mit den Fans gesucht und damit positive Erfahrungen gehabt: "Ich bilde mir schon ein, da das eine oder andere Vorurteil auch abgebaut zu haben", sagte die Vereinsikone der Braun-Weißen.
Mit Blick auf die aktuelle Situation "blutet mir das Herz" - als Polizist, aber auch als Fußball-Fan. "Am schönsten wäre es natürlich ohne Polizei."
Hamburg-Derby St. Pauli - HSV am Freitag
Von Bolls Wunschvorstellung scheint man sich in den vergangenen Wochen allerdings stetig weiter entfernt zu haben. Mit dem Hamburger Stadtderby steht am Freitag (18.30 Uhr, im NDR Livecenter) bereits das nächste Hochrisikospiel an. Der neue Polizeipräsident der Hansestadt, Falk Schnabel, appelliert vor der Partie an die Zuschauer: "Es gibt auch in Stadien keine rechtsfreien Räume. Und wenn die Polizei eine Maßnahme durchführt, dann die dringende Bitte: Lasst uns das auch machen", sagte er dem NDR.
Die Erinnerungen an das jüngste Duell am Millerntor im Herbst 2022 sind mit Blick auf das Verhältnis von Fans und Polizei keine guten: Einsatzkräfte hatten rund um das Spiel gut 150 maskierte St.-Pauli-Anhänger abgehalten, zu HSV-Fans zu gelangen.
Diskussionen um Polizei-Einsatz beim jüngsten Derby am Millerntor
Der Einsatz sorgte allerdings für reichlich Diskussionen, nachdem ein Video bei X, ehemals Twitter, hochgeladen worden war. Darin: Schläge der Polizei gegen einen am Boden liegenden Fan - in die Seite und Richtung Kopf. Der FC St. Pauli hatte damals sehr schnell nach der Verhältnismäßigkeit gefragt und Aufklärung gefordert. Diskussion und Austausch über den Einsatz verebbten nach einigen Tagen aber wieder.
Heute, rund 14 Monate später, scheint der Gesprächs- und Klärungsbedarf zwischen Vereinen, Fans, Polizei und Politik größer denn je.