Polizisten werden im Millerntorstadion aus dem Gästeblock mit Stangen und Bechern beworfen, setzen in Folge dessen Reizgas ein. © picture alliance/dpa | Axel Heimken

Fans und Polizei im Dauerkonflikt: Wer ist Schuld an Gewalt auf St. Pauli?

Stand: 12.11.2023 19:34 Uhr

15 verletzte Fußball-Fans und 17 verletzte Polizisten. Für diese Bilanz rund um die Zweitliga-Partie zwischen dem FC St. Pauli und Hannover 96 am Freitag machen sich Polizei und Fan-Vertreter gegenseitig verantwortlich. Der DFB ermittelt, die Fronten sind verhärtet. Aber gibt es eine Lösung im Dauerkonflikt zwischen Fans und Polizei?

Anlass für die erneute Eskalation im Dauerkonflikt zwischen Fans und Polizei sind die Vorfälle im und am Hamburger Millerntorstadion, die das Zweitliga-Spiel zwischen dem FC St. Pauli und Hannover 96 am Freitagabend überschatteten. Der DFB kündigte am Sonntag an, dass der Kontrollausschuss Ermittlungen einleiten wird. Sowohl im Fanblock der Niedersachsen als auch später bei einem Fanmarsch von nach Polizeiangaben rund 300 Anhängern des FC St. Pauli war es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen. Beide Seiten geben sich gegenseitig die Schuld dafür.

Fanhilfe Hannover: Einsatz "unverhältnismäßig"

Als "unverhältnismäßig" bezeichnete die Fanhilfe Hannover den Einsatz der Sicherheitskräfte im Millerntor-Stadion, zumal sich nach ihren Angaben die Lage zuvor bereits wieder beruhigt habe. Auch einige Anhänger des Gegners solidarisierten sich mit den 96-Fans und stimmten Gesänge gegen die Beamten an. Hannover 96 kündigte am Sonntag an, der Kritik an der Verhältnismäßigkeit des Polizeieinsatzes im und um den Gästeblock über die Fanbeauftragten nachzugehen.

Der Verein schloss sich "der Einordnung des FC St. Pauli an, dass insbesondere der Einsatz von Reizgas aus dem Innenraum in Richtung des Blockes, der auf zahlreichen Videos in den sozialen Medien dokumentiert ist, einer Aufarbeitung bedarf". Es seien "verstörende Eindrücke, die Fußball- und Fankultur schwer beschädigen und hoffentlich nicht zu weiteren Eskalationen führen", hatte am Sonnabend St. Paulis Präsident Oke Göttlich gesagt.

Polizeipräsident: Nicht "Fankultur", sondern "Gewalttäter"

Die Polizei sieht das anders. "Für das Verhalten der Randalierer fehlt mir jedes Verständnis. Wir haben es hier nicht mit Fankultur zu tun, sondern mit Gewalttätern, die zur Rechenschaft gezogen werden müssen", sagte Hamburgs Polizeipräsident Falk Schnabel. Nach Spielende seien die Einsatzkräfte aus einem Fanmarsch heraus angegriffen worden, sodass es mehrere Verletzte gab, darunter einen schwerverletzten Polizisten, so Schnabel.

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Polizisten werden im Millerntorstadion aus dem Gästeblock mit Stangen beworfen. © Witters

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Unsere Kurve: "Eskalation vorprogrammiert"

"Ich kann mir nicht vorstellen, unter welchen Bedingungen es eine kluge Idee sein soll, in einen vollen Block mit Fußballfans zu stürmen. Da ist Eskalation vorprogrammiert", sagte Fan-Vertreter Dario Minden vom Bündnis "Unsere Kurve", dem vereinsübergreifenden Zusammenschluss der organisierten Fußballfans in Deutschland. "Eine derartige Gewaltorgie seitens der Polizei bei Fußballspielen haben wir so noch nicht erlebt", erklärte ein Sprecher der Fanhilfe Hannover.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) Hamburg kritisierte hingegen die "Gewaltattacken" gegen die Beamten "auf das Schärfste". Klemens Burzlaff, 1. Stellvertretender Landesvorsitzender der DPolG forderte "die Hamburger Fußball-Vereine HSV und FC St. Pauli auf, sich endlich an den Polizeikosten für Hochrisikospiele zu beteiligen".

Fan-Polizei-Dialog "realitätsfern"

Der Konflikt zwischen Polizei und Fans scheint schwer zu lösen zu sein: "Die Situation ist festgefahren, eine Lösung in einer Art Fan-Polizei-Dialog ist leider realitätsfern", sagte Minden. "Auf Fanseite gibt es gar nicht die Vertretungsstrukturen und sicherlich oft auch überhaupt kein Interesse an einem Dialog, während auf der anderen Seite eine Polizei steht, die oft rechtswidrig handelt."

Den Einsatz im Gästeblock am Millerntor hatte die Polizei damit begründet, dass "offensichtlich eine männliche Person erheblich attackiert" worden sei. Sie gab an, in den Block gegangen zu sein, um "Schlimmeres zu verhindern". Daraufhin waren die Einsatzkräfte von 96-Fans angegriffen worden. Teils waren Prügeleien, Becher- und Stangenwürfe zu sehen. Die Einsatzkräfte setzten Pfefferspray gegen Gästefans ein, was später für Kritik sorgte.

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Fan-Forscher Pilz: Mehr Polizei provoziert auch mehr Gewalt

Schon nach den gewaltsamen Ausschreitungen beim Niedersachsen-Duell zwischen Hannover und Eintracht Braunschweig vor einer Woche, bei denen ein Polizist schwer verletzt worden war, hatte Fan-Forscher Gunter Pilz den Sinn des massiven Auftretens der Polizei bezweifelt. "Mehr Polizei sorgt nicht für mehr Sicherheit. Im Gegenteil: Mehr Polizei provoziert auch mehr Gewalt", hatte der 78 Jahre alte Sportsoziologe der "Braunschweiger Zeitung" gesagt. Fan-Forscher Jonas Gabler hatte bereits im März mit Blick auf Gewalt in Stadien von "Wellenbewegungen" gesprochen. Das massive Auftreten der Polizei hinterlasse bei Fans das Gefühl, dass die Polizei nicht differenziert vorgehe.

Fan-Vertreter Minden geht in eine ähnliche Richtung: "Ja, es gibt ein Problem mit Gewalt bei Fußballspielen. Ein vielschichtiges Problem, bei dem es leider keine einfachen Lösungen gibt. Leider bekommt man als aktiver Fußballfan oft das Gefühl, dass die Polizei hier nicht als Teil der Lösung, sondern als Teil des Problems auftritt."

Nächstes St.-Pauli-Heimspiel gegen den HSV

Der Fanladen St. Pauli appellierte bei NDR 90,3 nicht zuletzt mit Blick auf das nächste Heimspiel am 1. Dezember gegen den HSV an beide Seiten, also an Fans und Polizei: "Wir fänden es sehr erfreulich, wenn alle Seiten deeskalieren." Gerade vor dem Stadtderby gebe es noch einmal "eine besondere Anspannung". Es würden auch vorab Gespräche mit Fan-Vertretern geführt.

Auch Hannover 96 plädierte am Sonntag dafür, dass die "Bilder, die für alle Beteiligten unschön sind, nun als Anstoß betrachtet werden, um gemeinsame Lösungen für die Zukunft zu erarbeiten".

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Sportplatz | 12.11.2023 | 18:00 Uhr

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