Pyro: Fanforscher rät von "Law- and Order-Mentalität" ab
Wer Pyrotechnik dabei hat, soll bestraft werden. Das will zumindest Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und lässt nach NDR Informationen eine Gesetzesverschärfung prüfen. Doch es ist fraglich, ob solch ein Verbot überhaupt Wirkung zeigen würde.
Ob am Millerntor oder Maschsee, Volkspark oder Ostseestadion: In Fußball-Fankurven wird immer mehr Pyrotechnik gezündet. Laut des aktuellen Berichts der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) der Polizei sind die Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit Pyrotechnik im Vergleich zum Vor-Corona-Zeitraum um das zehnfache angestiegen. Auch deshalb lässt Bundesinnenministerin Feaser aktuell eine Gesetzesverschärfung prüfen. Die SPD-Politikerin möchte schon das Mitführen eines bengalischen Feuers unter Strafe stellen.
"Wenn Frau Faeser eine innovative Innenministerin sein möchte, dann könnte sie den Dialog mit den Fans wieder anstoßen." Julian Einfeldt, Fanladen St. Pauli
Für Julian Einfeldt vom Fanladen auf St. Pauli eine wenig durchdachte Maßnahme. "Erstmal würde ich der Innenministerin in den kommenden Tagen vor Silvester wirklich herzlich viel Spaß wünschen! Denn da hat ja jeder zweite Jugendliche Pyrotechnik dabei", sagte Einfeldt und warnte mit Blick auf den Fußball: "Wenn das eingeführt wird, dann kann das ein weiteres Mittel sein, um Fußballfans auf Verdacht hin festhalten zu können und um einen weiteren Grund für Kontrollmaßnahmen zu haben."
Der Konflikt zwischen Fans, Vereinen und Sicherheitsbehörden sei so nicht lösbar. "Wenn Frau Faeser eine innovative Innenministerin sein möchte, dann könnte sie den Dialog mit den Fans wieder anstoßen", so Einfeldt.
Schwelender Machtkampf
Harald Lange sieht das ähnlich. "Das ist so eine Law- and Order-Mentalität", sagte der Fanforscher von der Universität Würzburg. Nach seiner Einschätzung würde es genau zum Gegenteil führen. "Je härter die Strafen, je rigoroser die Sanktionen gegen Pyrotechnik, desto interessanter wird es für Fans, Pyrotechnik zu zünden und damit anzuzeigen: 'Das Stadion, das Spiel, das gehört uns!'"
Für den langjährigen Beobachter der Fanszenen ist das verstärkte Abbrennen von Pyrotechnik eher ein Zeichen eines schwelenden Machtkampfes als die pure Lust am Verbotenen.
Einen Eindruck, den auch Einfeldt vom Fanprojekt beim FC St. Pauli teilt. "In der Pandemie hat der Fußball den Fans mit den Geisterspielen das Signal gegeben: Im Zweifel geht es doch auch ohne euch." Verbände und Vereine seien aber auch auf die Fans zugegangen und hätten im Gegenzug Verbesserung in puncto Transparenz und Kommerzialisierung versprochen: "Aber dieser Prozess ist zu null Prozent eingetreten", meint Einfeldt. Deshalb fühlten sich manche Fangruppen heute auch nicht mehr an alte Absprachen gebunden.
Österreich als Vorbild?
Dabei war man in der Diskussion vor zehn Jahren schon einmal weiter gewesen. Damals hatten sich DFB und Fanvertreter an einen Tisch gesetzt und Kompromisse diskutiert. Lösungen, die heute beispielsweise in Österreich gelten: ausgewiesene Zonen und klar definierte Sicherheitsmaßnahmen für das kontrollierte Abbrennen von Pyrotechnik. Aus Sicht der Fans wurde diese Diskussion aber damals einseitig abgebrochen.
Kritik an Gleichsetzung von Pyrotechnik und Gewalt
Als nun am Mittwoch die niedersächsische Innenministerin Daniela Behrens (SPD) mit Vertretern von Hannover 96 und Eintracht Braunschweig vor die Presse trat, sollte es eigentlich um die Gewalt beim jüngsten Derby gehen. "Wir müssen eine neue Kultur entwickeln", sagte 96-Mehrheitsgesellschafter Martin Kind. "Es muss gewaltfrei sein, wenn möglich mit wenig oder keiner Pyrotechnik."
Dass Kind gewalttätige Fans und Pyrotechnik immer wieder auf eine Stufe stellt, wird im Fanlager sehr kritisch wahrgenommen. Dabei bestreitet keiner das Risiko vom Abbrennen einer rund 2.000 Grad heißen, mit Wasser nicht löschbaren Fackel. Ihr Farben- und Lichterspiel kann auf der anderen Seite eine besondere Atmosphäre schaffen, die viele Fans offenbar schätzen. Nur bislang ist eben jeder Kompromiss gescheitert. Wie zum Beispiel die "kalte Pyrotechnik", dessen Flamme kälter als eine Tischkerze brennt.
600.000 Euro Strafe für das Abbrennen von Pyrotechnik
Nun haben sich viele der Nordclubs offenbar mit der Situation arrangiert. Auch wenn Kind die 600.000 Euro Strafe für das Abbrennen von Pyrotechnik in der vergangnenen Saison als schmerzliche, "außerordentliche Verluste" für Hannover 96 bezeichnet, so entsteht der Eindruck, dass die meisten Vereine die Geldstrafen mittlerweile im Budget grob einplanen.
Insider berichten zudem, dass die Kontrollen auf Pyrotechnik mancherorts bewusst nicht ausgeweitet werden. Ein Hinweis, der zu den stark gestiegenen Zahlen der Pyroverstöße passt. Offen will das aber niemand sagen.