Collage Leverkusen Stuttgart St. Pauli Wirtz Irvine Mittelstädt © Collage NDR; IMAGO / RHR-Foto, Philipp Szyza, Team 2
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AUDIO: Data-Check: Darum sind Bayer Leverkusen und St. Pauli so stark (5 Min)

Leverkusen, Stuttgart, St. Pauli - Der schöne neue deutsche Fußball

Stand: 15.04.2024 10:00 Uhr

Bayer Leverkusen, der VfB Stuttgart und der FC St. Pauli sind in Deutschland das Maß aller Dinge - in Technik, Taktik und Tempo. Das Spiel der Clubs macht Hoffnung auf einen schönen neuen deutschen Fußball, der auch der Nationalmannschaft bei der EM helfen könnte.

von Tobias Knaack

Fans des schönen Spiels müssen jetzt ganz stark sein: Das vielleicht beste Tor der Saison ist bereits gefallen. Im DFB-Pokal-Halbfinale gegen Fortuna Düsseldorf wurde Leverkusens Innenverteidiger Edmond Tapsoba in der 20. Minute im eigenen Sechzehner von Abwehrkollege Alejandro Grimaldo mit einem Pass von der Eckfahne bedient. In diesem Moment war die Falle zugeschnappt, der Zweitligist ausgespielt. Acht Düsseldorfer standen im Glauben eines hohen Ballgewinns nun am gegnerischen Strafraum und konnten nur noch in Richtung des eigenen Tores gucken und verfolgen, wie sie auseinander gespielt wurden.

Leverkusens 13 Sekunden Fußball-Brillanz

Grimaldos Pass war die erste von 13 Sekunden Fußball-Brillanz, wie sie Leverkusen in dieser Saison immer wieder zelebriert hat. 13 Sekunden purer Präzision und Perfektion. 13 Sekunden ausgeklügelter Automatismen und Abläufe. 13 Sekunden, mit deren Ablauf der Ball hinter Fortuna-Keeper Florian Kastenmeier einschlug.

Tapsoba spielte den Ball über 15 Meter vor den eigenen Sechzehner - der zweite Pass, vor denen hierzulande Generationen von Trainern Generationen von Spielern gewarnt haben. Und weiter warnen werden. Pässe, die im Spiel der Leverkusener mit ihrer Selbstverständlichkeit und ihrer Sicherheit im April 2024 aber ein Stilmittel sind. Florian Wirtz drehte vor dem Strafraum auf, nahm den Ball im Sprint mit, bediente Amine Adli - 2:0, die Vorentscheidung (Endstand 4:0).

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In Technik, Taktik und Tempo überlegen

So wie es der Fortuna - einer der besten Mannschaften der 2. Liga - in dieser Szene passierte, ist es in dieser Saison vielen gegen den designierten Meister ergangen. Sie war schlicht der Technik, der Taktik und dem Tempo des Teams von Trainer Xabi Alonso unterlegen.

Einer Mannschaft, die sich am Sonntag durch das fulminante 5:0 über Werder Bremen nicht nur vorzeitig zum Meister kürte und mit dem "Vizekusen"-Mythos aufgeräumt hat, sondern die nebenbei auch noch das Spiel in der Bundesliga auf ein neues Niveau gehoben hat.

Stefan Beinlich im Trikot von Bayer Leverkusen. © imgao/Ulmer Foto: Ulmer
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Einer Mannschaft, deren Spiel nach Jahren des allgegenwärtigen germanischen Gegenpressing-Gekickes als taktischem Allheilmittel Hoffnung gibt, dass auch hierzulande wieder schöner Ballbesitzfußball gespielt werden kann. Auch und gerade weil er erfolgreich ist.

Denn in dieser 20. Minute am 3. April lockte Leverkusen Düsseldorf im Ballbesitz in die eigene Hälfte, nur um sie - noch immer im Ballbesitz - gnadenlos auszukontern. Neben der Alonso-Elf beherrschen das - in unterschiedlichen Abstufungen - in Deutschland aktuell nur noch zwei Teams: der VfB Stuttgart, der auf Platz drei in Richtung Champions League unterwegs ist, und der FC St. Pauli, designierter Meister der 2. Liga und Bundesliga-Aufsteiger. Drei Mannschaften, die für einen schönen neuen deutschen Fußball stehen.

"Es geht um Ballkontrolle, strategisches Passspiel und effektives Pressing." GSN-Analyse

Die Clubs legen in ihrer Spielanlage "großen Wert auf Ballkontrolle und ein strategisches Passspiel, zeigen offensive Vielseitigkeit und Durchschlagskraft und verfügen über eine strukturierte Defensive mit effektivem Pressing", wie Analysen des Global Soccer Networks (GSN) zeigen. Es ist die Grundlage ihrer Spielphilosophie - "und entscheidend für die Umsetzung ihrer taktischen Ziele".

Die Fußballwelt blickt zu Brighton & Hove Albion

Denn was sexy aussieht, ist Strategie, eine Schule. Eine Schule, die im Süden Englands beheimatet ist und in deren Richtung auch die in Deutschland tätigen Erfolgscoaches Alonso, Sebastian Hoeneß (Stuttgart) und Fabian Hürzeler (St. Pauli) geschaut haben. Hauptübungsleiter bei Premier-League-Club Brighton & Hove Albion ist Roberto de Zerbi.

Zuvor war der Italiener bei Schachtar Donezk in der Ukraine sowie in seiner Heimat unter anderem in Sassuolo Trainer. Aktuell ist er einer der sofort gehandelten Kandidaten, wann immer bei einem Top-Club eine Vakanz auftritt.

Von Alonso bis Nagelsmann - alle schauen auf de Zerbi

Der 44-Jährige hat es in England in den vergangenen Jahren immer wieder geschafft, seine Mannschaft mit einem "soliden Fundament von Ballkontrolle, räumlicher Intelligenz und strategischem Pressing" in die vorderen Regionen der besten Liga der Welt zu führen, wie die GSN-Experten schreiben. In der vergangenen Spielzeit hat er sich mit dem Team um Nationalspieler Pascal Groß erstmals für den Europapokal qualifiziert.

De Zerbis Philosophie zeichnen - grob zusammengefasst - zwei Faktoren aus: Geduld und Dominanz. Begriffe, die man auch noch von der Entstehung der vorherigen Welle des Ballbesitzfußballs à la Pep Guardiola kennt. Es sind zwei Elemente, die man in dieser Saison in Leverkusen, Stuttgart und Hamburg beobachten kann.

Und die Bundestrainer Julian Nagelsmann nach der Rückkehr von Toni Kroos mit Blick auf die EM auch in der Nationalmannschaft zu implementieren versucht. Insofern überraschte auch die Entscheidung Nagelsmanns nicht, in den erfolgreichen Testspielen gegen Frankreich (2:0) und die Niederlande (2:1) vermehrt auf Spieler aus Stuttgart und Leverkusen und nicht etwa aus München oder Dortmund zu setzen.

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Leverkusen, Stuttgart und St. Pauli zeigen, wie es geht

Leverkusens Spiel ist in der Offensive von dynamischen Angriffen und dem Nutzen von Raumüberladungen geprägt, also dem bewussten Verschieben mehrerer Spieler auf eine Seite. Die Stürmer und offensiven Mittelfeldspieler sind in der Lage, durch präzise Laufwege und schnelle Kombinationen die gegnerischen Abwehrlinien zu durchbrechen.

Der VfB agiert in seinem 4-2-3-1 mit zentralen Durchbrüchen, aber auch mit Flügelangriffen - über ihre linke Angriffsseite (mit den Neu-Nationalspielern Maximilian Mittelstädt und Chris Führich) sind die Schwaben das Beste, was die Liga zu bieten hat. Und auch eine Spielklasse weiter unten nutzt St. Pauli in seiner 3-4-3-Formation die Breite des Spielfelds, um Angriffe zu initiieren. Die Stärke liegt hier in der Fähigkeit, durch schnelles Flügelspiel und zentrale Vorstöße die Defensive des Gegners zu destabilisieren - und die sich so auftuenden Lücken auszunutzen.

Individuelle Qualität und kollektive Spielintelligenz

Allen Spielweisen gemein ist der Mix aus individueller Qualität und kollektiver Spielintelligenz, um Spielsituationen zu lösen. Im Millernton-Podcast brachte Hürzeler das im vergangenen Dezember auf die Formel, dass Akteure bei ihm eher Räume als Positionen spielen - und er ihnen Freiheiten beim Erfüllen dieser Aufgabe zugesteht.

Die Hamburger setzen unter dem 31-Jährigen in der Abwehr auf eine Dreierkette aus Eric Smith, Hauke Wahl und Karol Mets - unterstützt durch ein Mittelfeld, das aktiv an der Verteidigungsarbeit teilnimmt. Das Gegenpressing nach Ballverlust zielt darauf ab, den Gegner unter Druck zu setzen und den Ballbesitz schnell zurückzuerlangen.

Es sind Merkmale, die sich auch in Alonsos System in Leverkusen wiederfinden, in dem die zentrale Abwehr um Tapsoba und Nationalspieler Jonathan Tah das Fundament bildet, von dem aus schnelle Gegenangriffe eingeleitet werden.

Anfälligkeit für Gegenstöße

Der VfB unter Hoeneß kombiniert physische Präsenz mit taktischer Intelligenz in der Defensivarbeit. Die beiden defensiven Mittelfeldspieler Atakan Karazor und Angelo Stiller spielen eine Schlüsselrolle, indem sie die Räume vor der Verteidigung schützen und den Übergang von Verteidigung zu Angriff herstellen.

Funktioniert das nicht, wird die größte Schwäche des Systems offengelegt: die Möglichkeit für Gegner, schnelle Gegenstöße zu fahren, wenn das eigene Pressing ins Leere läuft oder Ball aufgrund technischer Fehler verloren geht - insbesondere gegen gut organisierte Konterangriffe.

Auch deshalb setzen alle vier Clubs - Brighton, Leverkusen, Stuttgart und St. Pauli - auf technisch starke und taktisch intelligente Spieler in allen Mannschaftsteilen. So können sie "das Spieltempo kontrollieren, indem sie den Ball geduldig in den eigenen Reihen halten und sorgfältig aufgebaute Angriffe initiieren", erklären die GSN-Analysten. "Dieses kontrollierte Aufbauspiel ermöglicht es ihnen, die gegnerischen Mannschaften zu zermürben und Räume für durchdachte Angriffe zu schaffen."

Enorme taktische Flexibilität

Was die vier Teams zudem auszeichnet, ist "eine bemerkenswerte Fähigkeit, ihre taktischen Pläne während des Spiels anzupassen". Es ist diese Flexibilität, die es ihnen erlaubt, auf Veränderungen im Spielverlauf und unterschiedliche Herausforderungen des Gegners zu reagieren.

Besonders gut zu sehen war das bei Leverkusens Last-Minute-Sieg über Stuttgart im DFB-Pokal-Viertelfinale Anfang Februar (3:2) - dem bisher besten Spiel der Saison. Es waren 90 Minuten voll Technik, Taktik und Tempo, die ihren Höhepunkt in Tahs Treffer in der Nachspielzeit fanden.

St. Pauli wird die Bundesliga bereichern

"Die beiden besten Mannschaften der Liga, in Deutschland, haben gerade gegeneinander gespielt", resümierte der gleichermaßen ausgepumpte wie enttäuschte VfB-Stürmer Deniz Undav nach der Partie. Was auf manche vermessen gewirkt haben mag, war auch damals schon vor allem eines: wahr.

Und so dürfen sich die Fans des schönen Spiels freuen, dass es dieses Duell in dieser Saison noch einmal gibt. Am 27. April empfängt Leverkusen den VfB an selber Stelle wie im Februar. Und noch mehr dürfen sie sich freuen, dass St. Pauli nicht zuletzt laut KI-Analyse sicher aufsteigen und es in der kommenden Spielzeit noch mehr schönen neuen deutschen Fußball in der Bundesliga zu sehen geben wird.

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Dieses Thema im Programm:

Sport aktuell | 05.04.2024 | 11:17 Uhr

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