St. Paulis Spieler bejubeln einen Treffer © picture alliance/dpa

Rekordjäger FC St. Pauli: Was das Hürzeler-Team so stark macht

Stand: 08.02.2024 08:36 Uhr

Der FC St. Pauli ist die mit Abstand beste Mannschaft der 2. Liga. Das Team von Trainer Fabian Hürzeler steht auf Rang eins - und kurz vor einem alleinigen Rekord. Was sind die Stärken der Hamburger, was macht ihren Erfolg aus?

von Tobias Knaack und Sebastian Ragoß

Hätte es noch eines Beweises bedurft, dass St. Pauli die beste Mannschaft des deutschen Fußball-Unterhauses ist, man hätte sich wohl eine Begegnung wie die gegen Greuther Fürth ausgedacht. Das 3:2 der Hamburger bediente so ziemlich jede Komponente, um zu dokumentieren, was eine Spitzenmannschaft ausmacht.

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Und der Fairness halber sei gesagt: Auf dem Rasen des Millerntor-Stadions standen am vergangenen Sonnabend zwei Spitzenteams, denn die Franken lieferten ein starkes Auswärtsspiel, kamen nach einem 0:2 zurück und hatten zumindest die Chance, selbst in Führung zu gehen.

Das beste Team der 2. Liga: läuferisch, taktisch, mental

Doch St. Pauli war die nochmal bessere zweier starker Mannschaften, setzte sich durch Elias Saads Treffer zum 3:2 verdient durch, zementierte damit endgültig seine Vormachtstellung in der 2. Liga - und kann deshalb beim 1. FC Magdeburg (Sonnabend, 13 Uhr im NDR Livecenter) den Zweitliga-Rekord von saisonübergreifend 26 ungeschlagenen Partien aufstellen.

Erfolg, sagt man gemeinhin, habe viele Väter - übertragen auf den Fußball also Spieler und Trainer. Er hat aber auch viele Details, die sich im technisch-taktischen und mentalen Bereich abspielen. Und genau an der Stelle lässt sich die Reife des Hürzeler-Teams am besten belegen.

Laufstärke

Die Hamburger sind das mit Abstand laufstärkste Team der Liga. Die Gesamtlaufleistung liegt mit 2.451,60 Kilometern deutlich vor dem Zweiten Fortuna Düsseldorf (2.410 Kilometer). Macht im Schnitt knapp 123 Kilometer pro Partie. Beim 2:1-Sieg gegen die Rheinländer in der Liga waren es sogar 134 - so viel ist seit Beginn der detaillierten Daten-Erfassung noch kein Zweitliga-Team in einer Partie gelaufen.

Spitze ist die Mannschaft aber auch bei den intensiven Läufen: Fast 15.000 waren es an den bisherigen 20 Spieltagen der Saison - 300 mehr als der in dieser Hinsicht Zweite, die SV Elversberg. Bei den Sprints erreicht die Hürzeler-Elf zwar keine Spitzenposition, aber immer noch einen Platz in den Top Ten (8.).

Passstärke und Ballbesitz

Die hohen Laufwerte sind umso erstaunlicher, weil die Mannschaft sich ebenso über Ballbesitz-Fußball und spielerische Dominanz definiert. Ob Passquote, Schlüsselpässe, Offensivpässe, Pässe nach vorne, die Gesamtzahl der Pässe pro Partie oder die Quote der Pässe ins letzte Drittel - den GSN-Daten zufolge erreichen die Kiezkicker in allen relevanten Passstatistiken entweder Platz eins oder zwei im Ligavergleich.

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Kurzum: Das Team spielt nicht nur viele Pässe, diese sind auch noch akkurat - und nach vorne orientiert. Mit knapp 57 Prozent haben die Hamburger zudem den zweithöchsten Ballbesitz der gesamten 2. Liga.

Positionsspiel

Ein weiterer Indikator für die Qualität des "Hürzeler-Fußballs": St. Pauli hat die zweitkürzeste Passdistanz mit durchschnittlich 18,74 Metern pro Pass. Eine kürzere Distanz steht - grob gesagt - für eine höhere Erfolgsquote im Passspiel. Es zeigt den hohen Anspruch, den der Coach mit seinem System an die Spieler hat - und stellt die Verbindung zur hohen Laufleistung seines Teams her.

Denn je nach Spielsituation müssen die Spieler ihre Position verändern. Offensiv, um Räume vor oder hinter Ketten des Gegners zu schaffen, dessen Kompaktheit aufzubrechen und dem ballführenden Mitspieler Passoptionen anzubieten. Defensiv, um Räume zu verengen.

Als Einheit abgestimmt und gemeinsam Räume zu schaffen und die des Gegners zu verkleinern, ist eine fußballerische Kunst, die oftmals unterschätzt und übersehen wird. Der FC St. Pauli ist in dieser Kategorie konkurrenzlos in der 2. Liga und wohl auch manchem Erstligisten überlegen.

Beispiel "Restverteidigung" - ein Lieblingsbegriff von Hürzeler: Was machen Spieler, die den Ball ins letzte Drittel bringen, wenn der Ball dort ist? Hürzelers Antwort, die er im Podcast "Millernton" Ende Dezember gegeben hat: "Bereit sein für Ballverluste, um die Räume zu verteidigen, in die der Gegner spielen kann." Für einen Innenverteidiger bedeutet dies beispielsweise: Wenn er nicht mehr anspielbar ist, muss er sich sich einen Gegenspieler suchen, um bei einem Ballverlust sofort ins mannnahe Gegenpressing gehen zu können.

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Hürzeler erwartet also die Fähigkeit, Situationen zu antizipieren und "prophylaktisch" Wege zu machen. Diese intensiven ballfernen Läufe sind aber auch aus einem anderen Grund wichtig. Denn St. Paulis Abwehrkette steht im Schnitt 31,18 Meter vor dem eigenen Tor - höher steht kein Team in der Liga. Und Abwehrchef Eric Smith regelmäßig noch viel höher als seine beiden Mitspieler.

Pressing und Balleroberungen

Es bestünde also die Gefahr, dass St. Paulis Anwehrreihe gnadenlos überrannt würde, wenn es kein funktionierendes gesamtmannschaftliches Gegenpressing gäbe. Doch sowohl individuell als auch auch im Verbund ist kein Team in der Liga so gut darin, Bälle zu gewinnen, wie St. Pauli.

Bei Balleroberungen und abgefangenen Bälle in der gegnerischen Hälfte steht die Mannschaft auf Rang eins, bei Balleroberungen im Mitteldrittel sowie im letzten Drittel jeweils auf Rang drei.

Doch ohne Risiko ist das weite Aufrücken nicht - Düsseldorf hebelte die Abwehr in der Liga mit einem Steilpass aus und traf zum 1:2. Und auch im Pokal gelang mit einem schnellen Pass zwischen die Innenverteidiger ein entscheidender Durchbruch, der zum Elfmeter vor dem 1:0 führte.

Taktik

Defensiv agieren die Hamburger im 5-2-3. Unmittelbar nach Ballverlusten setzt intensives Gegenpressing ein, um den Ball zurückzugewinnen oder Zeit für das Umgruppieren in die defensive Formation zu gewinnen - ähnlich der Spielweise von Atletico Madrid. In der zweiten Phase des Defensivverhaltens stellt die Hürzeler-Elf auf mannorientiertes Pressing um, insbesondere wenn der Gegner auf die Außenbahn spielt.

Offensiv gibt Hürzeler den Spielern Prinzipien vor, innerhalb derer sie sich frei bewegen, kreativ sein und eigene Entscheidungen treffen können. Inspiriert von Bundesligist Eintracht Frankfurt oder Premier-League-Team Brighton & Hove Albion hat St. Pauli verschiedene Weisen, das Spiel offensiv aufzubauen - häufig aus einem 2-3-5 oder 2-4-4 heraus. Das Ziel: Räume zu besetzen und den Gegner zu Fehlern zu zwingen.

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Smith schiebt in beiden Formationen auf die Sechserposition vor und schafft im Zentrum weitere Passoptionen. Die Eröffnung kann über "Chipbälle", aber auch über die Außen ausgelöst werden. Generell ist die Offensive gekennzeichnet durch tiefe Läufe und dynamische Bewegungen.

Kein Wunder, dass nicht nur Marcel Hartel im offensiven Mittelfeld, sondern auch Mittelstürmer Johannes Eggestein mit 12,76 sowie 11,98 Kilometern pro Partie sehr hohe Laufwerte erzielen. Eggestein hat ohnehin eine für einen Mittelstürmer ungewohnte Rolle: Er lässt sich tief fallen, dient so als zentrale Anspielstation und Ballverteiler, was ihn sehr wertvoll macht, auch wenn seine Torquote für einen Angreifer eher durchschnittlich ist.

Beide Formationen zielen darauf ab, den Gegner herauszulocken und zu Fehlern zu zwingen. Dabei ist die Eröffnung nicht nur ein Mittel zum Angriff, sondern trägt auch zur defensiven Stabilität bei, indem sie die Gegner in bestimmte Bereiche des Feldes lockt und Überzahl-Situationen schafft.

Kommunikation und Beteiligung der Spieler

Hürzeler gibt den taktischen Rahmen, das Gerüst und die Philosophie vor. Der 30-Jährige kommuniziert viel - vor allem mit den Führungsspielern, die die Anweisungen weitertragen.

Hürzeler fragt die Spieler aber auch, wo sie ihre Stärken sehen und entwickelt Ideen und Lösungen gemeinsam. Er beteiligt sie und vertraut ihnen, dass sie selbst Anpassungen auf dem Feld vornehmen, wenn sie erkennen, dass etwas nicht funktioniert. "Spielkompetenz" nennt er das.

Zwischen Trainer und Spielern hat sich so eine Symbiose entwickelt, lobte Hürzeler im "Millernton": "Die Mannschaft hat eine intrinsische Motivation, wie ich sie selten erlebt habe. Die wollen besser werden."

Resilienz

Spielerisch und taktisch ist die Mannschaft über Vieles in der Liga erhaben. Was sie aber besonders stark macht, ist ihre Resilienz, eine mentale Stärke, die sie schon an mehreren Stellen der Saison unter Beweis gestellt hat. Zuletzt eben auch gegen Fürth - und da gleich zweimal.

Einerseits in der Art und Weise, wie die Mannschaft nach dem bitteren Pokal-Aus nur vier Tage zuvor gegen Fortuna Düsseldorf - dem vielleicht schlechtesten Saisonspiel - in die Partie startete: hochkonzentriert, zweikampfstark, lauf- und spielfreudig. Als hätte es die zehrenden 120 Minuten und das Drama im Elfmeterschießen gegen die Rheinländer nicht gegeben.

Andererseits in der Phase nach dem Fürther Ausgleich. Die Franken waren rund 20 Minuten das bessere Team. Doch die Hürzeler-Schützlinge schafften es, sich ab der 65. Minute zurück in die Partie zu kämpfen - physisch und mental. Stück für Stück verschoben sie das Spiel wieder in die Hälfte der Gäste und erzwangen so das 3:2 und den Sieg. Ähnliches war ihnen schon beim 5:1 gegen Kiel gelungen, aktuell immerhin Tabellendritter.

Fürth und Kiel sind zwei Beispiele - es gäbe mehr. Es sind Beispiele dafür, warum St. Pauli auf dem Weg zum alleinigen Zweitliga-Rekord von 26 ungeschlagenen Partien ist - und auf dem Weg zurück in die Bundesliga.

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Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 04.02.2024 | 22:50 Uhr

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