Holstein Kiels Jae-sung Lee. © picture alliance/dpa Foto: Swen Pförtner

Holstein Kiel: Der enorme Wert von Jae-sung Lee

Stand: 06.03.2021 10:17 Uhr

Jae-sung Lee wollte Zweitligist Holstein Kiel im Sommer 2020 verlassen. Ein Wechsel kam nicht zustande. Nun darf der Südkoreaner vom Bundesliga-Aufstieg träumen - erst recht, wenn ein Sieg beim Hamburger SV (Montag, 20.30 Uhr) gelingen sollte.

von Christian Görtzen

Zumeist läuft es doch wie folgt: Ragt ein Spieler bei einem Verein heraus, lassen Angebote von finanzstärkeren Clubs nicht lange auf sich warten. Dann werden alle Register gezogen, um den Mann von einem Wechsel zu überzeugen. Stärkere Mitspieler werden in Aussicht gestellt, ein professionelleres Umfeld, bessere Perspektiven im Hinblick auf den Gewinn von Trophäen, Europapokal-Teilnahmen und, natürlich, mehr Geld. Und irgendwann erklärt der Profi der Öffentlichkeit, dass er eine neue Herausforderung gesucht habe und deshalb den Verein wechsle.

Vor diesem Hintergrund ist Jae-sung Lee vom Zweitligisten Holstein Kiel eine Ausnahme dieser scheinbaren Gesetzmäßigkeit. Der südkoreanische Nationalspieler und WM-Teilnehmer von 2018 hält sich noch immer im Kreis der "Störche" auf, ist sogar über den kalten Winter hinweg im hohen Norden der Republik geblieben, obwohl er schon längst woanders hätte sein können.

Dies hat jüngst auch Dirk Schuster, Trainer des FC Erzgebirge Aue, vor dem Gastspiel bei der KSV deutlich gemacht: "Die Kieler haben mit Jae-sung Lee einen Spieler in ihren Reihen, der eigentlich in der Bundesliga spielen müsste."

Kein Mangel an Angeboten von Erstligisten

An Chancen zum Sprung in die deutsche Beletage oder eine europäische Topliga hat es für den Offensivspieler in den vergangenen Monaten nicht gemangelt. Werder Bremen und der TSG Hoffenheim wurde schon lebhaftes Interesse an der Verpflichtung des 28-Jährigen nachgesagt. Auch der englische Premier-League-Club Crystal Palace und der belgische Rekordmeister RSC Anderlecht sollen den Holstein-Profi mit der Trikotnummer 7 auf ihren Zetteln gehabt haben. Und nicht zuletzt: der Hamburger SV, der akuelle Tabellenvierte der Zweiten Liga, bei dem die Kieler am Montagabend (20.30 Uhr, im Livecenter bei NDR.de) im Spitzenspiel zu Gast sein werden.

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Verzicht auf Ablösesumme: Lee zu wichtig für Holstein

Stellt sich nur die Frage, warum Südkoreas Fußballer des Jahres 2017 noch immer das Holstein-Trikot trägt? Es kommen da einige Faktoren zusammen. Zunächst einmal ist die sportliche Führung der KSV zu dem (wohl richtigen) Schluss gekommen, dass der Aufstieg in die Bundesliga als erster schleswig-holsteinischer Verein nur mit Lee zu schaffen sei. Und dafür wurde in der Winter-Transferperiode auf viel Geld verzichtet. Da Lees Vertrag im Sommer ausläuft, wäre dies noch einmal eine Chance gewesen, eine hohe Ablösesumme zu erzielen.

Lee wollte im Sommer 2020 weg aus Kiel

Enorm wichtig sind auch Lees Verständnis von Loyalität und sein Pflichtbewusstsein. Ende 2020 hatte er in seinem auf Koreanisch verfassten Fußball-Tagebuch über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in Kiel räsoniert. Er gab preis, dass er schon im vergangenen Sommer darauf gehofft hatte, den Verein verlassen zu können. "Ich war der Ansicht, dass ein Wechsel für mich als auch für das Team das Beste wäre, schließlich lief mein Vertrag noch ein Jahr lang", schrieb Lee.

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Leider seien die Ergebnisse nicht so verlaufen, wie er es sich gewünscht hatte, erklärte er. Er sei aber "nicht enttäuscht. Weil ich und mein Agent das Beste getan haben, was wir konnten, gibt es kein Bedauern. Das Leben kann nicht immer so sein, wie man es sich wünscht."

KSV auf Aufstiegskurs und im DFB-Pokal-Halbfinale

Lee nahm es klaglos hin, versuchte gar nicht erst, etwas zu erzwingen. "Ich wollte meinem Verein, der mir geholfen hat, in Europa Fußball zu spielen, und seinen Ambitionen nicht im Weg stehen", sagte der Asiate, den Kiel im Sommer 2018 für den Schnäppchenpreis von gut einer Million Euro vom südkoreanischen Erstligisten Jeonbuk verpflichtet hatte.

Und letztlich wird der enorme sportliche Erfolg der Kieler dazu beigetragen haben, dass Lee auch im Winter nicht gegangen ist. Holstein lebt derzeit zwei Träume. Die Mannschaft von Trainer Ole Werner hat nicht nur beste Chancen auf den Aufstieg - erst recht, wenn ein Sieg beim HSV gelingen sollte. Am vergangenen Mittwoch hat sie durch das 3:0 bei Regionalligist Rot-Weiss Essen auch zum ersten Mal das Halbfinale des DFB-Pokals erreicht. In den Runden zuvor waren hochemotionale Triumphe im Elfmeterschießen gegen Bayern München und Darmstadt 98 gelungen. Und nun winkt gar das Endspiel am 13. Mai im Berliner Olympiastadion.

Maßgeblich dazu beigetragen hat ein Duo im offensiven Mittelfeld, das in der Zweiten Liga seinesgleichen sucht: Lee (vier Tore, vier Vorlagen) und der zu Saisonbeginn von Werder zurückgekehrte Fin Bartels. Die beiden Techniker ergänzen sich auf dem Spielfeld exzellent. Womöglich sogar derart gut und erfolgreich, dass Lee vielleicht doch noch seine Pläne vom Abschied aus Kiel über den Haufen wirft. Ein Bundesliga-Aufstieg der "Störche" könnte ihn ja eventuell in seiner Ansicht bestärken, dass Loyalität immer noch ein wichtiges Gut ist.

Dieses Thema im Programm:

NDR 2 Sport | 08.03.2021 | 23:03 Uhr

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