Zeitreise: Als Kiel das Weltzentrum der Astrophysik war
Das Radioteleskop der Christian-Albrechts Universität hat einst geholfen, das Weltall zu vermessen und den Kosmos zu verstehen. Jetzt wollen Wissenschaftler das Technik-Denkmal vor dem Vergessen retten. Und seine Geschichte erzählen.
Wenn man auf der Veloroute 10 in Kiel Richtung Norden fährt, kommt man auch an der Christian-Albrechts-Universität vorbei, der größten Hochschule Schleswig-Holsteins. Nach der Brücke über die Olshausenstraße kommt zur Rechten eine große Baustelle. Mittendrin erregt ein merkwürdiges Gebilde die Aufmerksamkeit der Radfahrer - ein Backsteingebäude mit einem großen Gebilde darauf: ein Parabolspiegel. Jeder, der hier vorbeifährt, überlegt sicher für einen Augenblick, was es mit diesem Gebäude auf sich hat, das hier etwas verloren in einer großen Baustelle herumsteht.
Das Kieler Radioteleskop: "Ohr" ins Weltall
Eine Frage, die sich auch der Industrie-Archäologe Fritz Jürgens stellte, wenn er an dem Teleskop mit dem Fahrrad vorbeifuhr. Er wollte schließlich wissen, was es damit auf sich hat. Stellte Fragen, schaute in Berichte und schrieb einen wissenschaftlichen Aufsatz. Jürgens kam so einer Geschichte auf die Spur, mit der Kiel über mehrere Jahrzehnte in der ganzen Welt berühmt war. Weil eines der ersten radioastronomischen Teleskope, die in Deutschland nach dem Krieg gebaut wurden, das Kieler Radioteleskop war.
In Kiel hat man mit dem Teleskop "das Ohr an die Milchstraße" gehalten. Mit ihm haben Wissenschaftler Signale aus dem Weltraum empfangen. Dort, wo die Astronomen mit ihren optischen Teleskopen nichts mehr sehen können, fangen die Radioastronomen an, ins All zu horchen. Auch in Kiel haben sie elektromagnetische Wellen eingefangen, die bis zu acht Milliarden Lichtjahre weit aus dem Kosmos kommen.
Die "Kieler Schule" der Sternenphysiker
Untrennbar ist das mit dem Namen Albrecht Unsöld verbunden, erzählt Fritz Jürgens. Unsöld ist bereits mit 26 Jahren in Kiel Professor geworden und hat die Physik der Universität lange geprägt. Seine Forschungen im Bereich der Sternatmosphäre machte ihn in der ganzen Welt berühmt. Es entstand die "Kieler Schule". Wissenschaftler, die bei Unsöld studiert hatten und weltweit als herausragende Experten gesucht und geschätzt wurden.
Unsöld setzte auch durch, das ab 1956 auf dem Gelände der Kieler Universität ein eigenes Radioteleskop gebaut wurde. Vor allem, um damit die Wellen zu messen, die von der Sonne ausgehen, denn sie stand damals im Mittelpunkt der Kieler Forschungen. Was wir heute über die Sonne wissen, beruht auch auf den Kieler Forschungsergebnissen von damals. Auch davon erzählt das Gebäude mit der Parabolantenne.
Das Radioteleskop sollte vor dem Vergessen gerettet werden
Heute sieht das Radioteleskop mitgenommen aus. Der Parabolspiegel hat Korrosionsspuren, die Empfangsanlage ist an vielen Stellen deformiert. Auch der Backsteinbau, der das Teleskop trägt, hat Schäden. Fritz Jürgens meint, es würde sich für die Universität auf alle Fälle lohnen, das Gebäude und das Radioteleskop zu erhalten. Denn es ist nicht nur eines der ersten Radioteleskope in Deutschland, sondern auch ein wichtiges Stück Geschichte der Universität. Aus der Zeit, als Kieler Wissenschaftler halfen, das Weltall besser zu verstehen.