Ytong-Haus: Geplatzte Bau-Träume und viel Ärger in SH
In Schleswig-Holstein und Niedersachsen wollten Bauherren ihr eigenes Ytong-Haus. Sie beauftragten die Firma "Bausatzhaus Nord Holstein" aus Henstedt-Ulzburg - und blicken nun auf unfertige Häuser und in eine ungewisse finanzielle Zukunft.
"Wir dachten, da steht ein großer Konzern dahinter." Oder: "Ytong kennt man doch." Das sagen Bauherren aus Norddeutschland, die sich ihren Traum vom eigenen Haus erfüllen wollten und jetzt vor enormen Problemen stehen. Sie hatten auf das Bausatzhaus-System gesetzt. Das Prinzip dahinter ist einfach: Je mehr eigene Arbeit Bauherren in ihr künftiges Traumhaus stecken, umso weniger soll es kosten. Die einen mauern Ytong-Steine, die anderen verlegen dazu noch Fliesen oder legen auch die Elektrik selbst.
Hinter Ytong steht Weltkonzern Xella aus Duisburg
Hinter der Marke "Ytong" steht der Weltkonzern Xella aus Duisburg. Der Konzern schließt über die Tochterfirma "Ytong Bausatzhaus GmbH" Franchiseverträge mit Bauunternehmen, die dann vor Ort Ytong-Häuser vertreiben.
Vorteil für Xella: Für die Umsetzung der Baumaßnahmen ist der Konzern selbst nicht verantwortlich. Vorteil für die Bauunternehmen: Sie können mit einer bekannten Marke, die Vertrauen und Sicherheit vermittelt, um Kunden werben. Doch die Kunden sollten genau hinschauen, auf welche Firma sie sich einlassen, wie Recherchen von NDR Schleswig-Holstein ergeben.
Ytong-Partner in SH: "Bausatzhaus Nord Holstein"
In Schleswig-Holstein hatte die Firma "Bausatzhaus Nord Holstein" aus Henstedt-Ulzburg (Kreis Segeberg) den Zuschlag bekommen, als regionaler Ytong-Partner auftreten zu dürfen. Zunächst waren zwei Geschäftspartner an Bord, einer schied aus. Holm Sippel machte 2021 als Geschäftsführer alleine weiter.
Dann nahmen die Probleme auf den Baustellen offenbar zu. Baumängel, unzufriedene Bauherren, die um ihre finanzielle Existenz bangen. Geschäftsführer Sippel meldete Mitte März dieses Jahres Insolvenz für die "Bausatzhaus Nord Holstein GmbH" an.
Marke Ytong war "für uns eine gewisse Sicherheit"
In Bad Oldesloe (Kreis Stormarn) wollte eine junge Familie endlich in die eigenen vier Wände. Friederike Bogen und Eduard Ruf wollten ihre kleine Wohnung in Hamburg hinter sich lassen, rein in das eigene Haus und im Sommer barfuß durch den Garten gehen. Mitte Februar vergangenen Jahres schlossen beide einen Vertrag mit der "Bausatzhaus Nord Holstein".
Ein gutes Gefühl vermittelte die Marke Ytong. "Da war dann auch für uns eine gewisse Sicherheit", dachte das Paar. Geplant war ein Rohbau für ein gut 220 Quadratmeter großes Einfamilienhaus mit Keller, moderner Luft-Wasser-Wärmepumpe und eleganten bodentiefen Fenstern.
Probleme: Fenster und Klinker doppelt bezahlt
Die Probleme begannen, als der Dachstuhl aufgestellt und das Dach gedeckt werden sollte, meint Bauherr Ruf. Am Richttermin war nach seinen Worten weit und breit kein Zimmermann zu sehen. Kein Kran und auch kein Dachstuhl. Auf Rückruf-Bitten reagierte niemand bei der "Bausatzhaus Nord Holstein".
Wenige Wochen vor Weihnachten, deutlich später als angekündigt, kam der Dachstuhl dann plötzlich. "Er wurde an einem Tag aufgestellt", so Bauherrin Bogen. "Dann waren die Zimmermänner aber auch wieder weg".
Die Familie hat ihr Dach selbst decken müssen, obwohl das nicht vereinbart war. Auf die Fenster und auf die Klinker für den Rohbau wartete das Paar nach eigenen Angaben vergeblich, obwohl Bausatzhaus-Geschäftsführer Sippel die Abschlagszahlungen dafür bereits bekommen hatte. Er hatte das Geld aber offenbar nicht an den Fensterbauer beziehungsweise das Baustoffunternehmen weitergeleitet.
Damit der Hausbau weiter gehen konnte, hat die Familie Fenster und Klinker erneut gekauft. Das Paar spricht insgesamt von einem Schaden von rund 70.000 Euro.
Keine Zweifel in Neetze: "Ytong ist doch ein Begriff für jeden"
Südlich der Elbe in der Nähe von Lüneburg in Niedersachsen liegt der kleine Ort Neetze. Auch dort hat die "Bausatzhaus Nord Holstein" einen halb fertigen Rohbau und finanzielle Herausforderungen hinterlassen. In einem Neubaugebiet wollte Familie Saucke ein Ytong-Haus bauen.
Auch in diesem Fall gab es zunächst gar keinen Zweifel. "Ytong ist doch ein Begriff für jeden", sagt Hilde Saucke. Ebenerdig sollte das Haus sein, ihre Schwester mit Behinderung sollte sich in ihrem künftigen Zuhause wohl fühlen und ohne große Einschränkungen leben können.
Das Problem: Die Bodenplatte, auf dem das Haus steht, wurde viel zu tief eingebaut. Laut Bauherrin Saucke kann das Schmutzwasser aus dem Haus nicht in die Kanalisation fließen, weil das Gefälle fehlt. Ein Baugutachter hat vorgeschlagen, das Haus auf Stelzen zu setzen, um es so zu erhöhen. Darauf hat sich die "Bausatzhaus Nord Holstein" laut Familie Saucke aber nicht eingelassen.
Saucke will jetzt auf eigene Kosten Schmutzwasserpumpen installieren. Außerdem muss unter anderem eine Drainage um das Haus gebaut werden, damit Regen das Haus nicht ständig unter Wasser setzt. Die Bauherren rechnen mit Mehrkosten von 60.000 bis 70.000 Euro.
Weitere Bauherren aus Schleswig-Holstein mit Problemen
Auch im Kreis Herzogtum Lauenburg und im Kreis Rendsburg-Eckernförde haben Familien auf die "Bausatzhaus Nord Holstein" gesetzt. Im Gespräch mit Reportern von NDR Schleswig-Holstein berichten sie von Ärger, Problemen und Baumängeln.
So sollen Treppen in ihren Ytong-Bausatzhäusern nicht wie vorgesehen eingebaut worden sein, Kamin-Züge falsch geplant, Balkone sollen so gebaut worden sein, dass Regenwasser nicht abläuft. Die einen haben den Hausbauvertrag gekündigt, andere waren so versichert, dass sie mit anderen Firmen weiterbauen konnten.
Ehemaliger Bauleiter über Firma: "Chaos, totales Chaos"
In dem Unternehmen von Holm Sippel in Henstedt-Ulzburg ging es offenbar drunter und drüber. Der Hamburger Kaufmann Torsten Zemelka hat dort nach eigenen Angaben für einige Zeit als Bauleiter ausgeholfen, auf freiberuflicher Basis. Er spricht von "Chaos, totalem Chaos. Es gab keine Struktur, man konnte kein einziges Haus, keinen Bauherren richtig betreuen, weil alle nur von Problemen geredet haben. Nichts lief richtig, von vorne bis hinten."
Auch beim Thema Rechnungen, die Subunternehmen oder Zulieferbetriebe geschickt haben, lief es offenbar alles andere als gut. "Nach meinem Verständnis ist es so, dass man für jedes Haus, dass man baut, eine Kostenstelle hat. Das heißt, wenn Rechnungen reinkommen von Dachdeckern, Betonarbeitern oder Fensterbauern, dann muss das zugeordnet werden. Zu welchem Bauobjekt gehören diese Rechnungen? Das gab es aber nicht", sagt Zemelka.
Er hat auf Baustellen mitbekommen, dass Subunternehmer darüber geklagt haben, dass sie nicht bezahlt worden sein sollen. Schwierig war es anscheinend auch für die eigenen Kollegen, Geschäftsführer Sippel zu erreichen. "Der war mit anderen Dingen beschäftigt. Ein Beispiel: Wenn Herr Sippel auf einer Finca auf Mallorca sitzt und versucht per Videokonferenz in Norddeutschland etwas zu organisieren, dann haut das nicht hin. Man darf seine Leute nicht im Stich lassen und sich selbst ein schönes Leben machen."
Holm Sippel: Geschäftsführer von verschiedenen Firmen
Neben der "Bausatzhaus Nord Holstein" hat Holm Sippel diverse andere Baufirmen gegründet oder war an ihnen beteiligt. Nach Recherchen von NDR Schleswig-Holstein hatten einige dieser Firmen später finanzielle Schwierigkeiten.
Der Jurist Michael Herte von der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein warnt vor Firmengeflechten wie in diesem Fall. "Das wirkt so auf mich, als hätte man von vornherein eine Strategie entwickelt, um bei Zahlungsunfähigkeit eines Unternehmens mit dem anderen weiterzumachen. Das ist kein gutes Zeichen, keine vertrauensbildende Konstruktion. Man sollte eher die Finger davon lassen, wenn man merkt, dass die einzelnen Unternehmen total austauschbar sind."
Sippel kann keine konkreten Fragen beantworten
NDR Schleswig-Holstein hat über mehrere Wochen versucht, ein Interview mit Geschäftsführer Sippel zu vereinbaren. Das hat nicht geklappt. Auf einen ausführlichen Fragenkatalog antwortet er knapp. Zu einigen Punkten habe er eine andere Auffassung als die Bauherren aus Bad Oldesloe und Neetze. Massive Baumängel seien ihm nicht bekannt, normale Mängel, die behebbar waren, ja. Bei einigen Punkten handele es sich um bauseitige Leistungen, die man ihm nicht vorhalten könne, so Sippel.
Geschäftsführer: Markt ist zusammengebrochen
Darüber hinaus seien die Materialpreise explodiert und der Markt im Einfamilienhausbereich sei zusammengebrochen, sagt Sippel. Das habe dafür gesorgt, dass die "Bausatzhaus Nord Holstein" in Liquiditätsschwierigkeiten gekommen sei. Er habe sich als Geschäftsführer immer korrekt verhalten. Im Moment seien alle Ordner der "Bausatzhaus Nord Holstein" beim Insolvenzverwalter, weshalb er zu einigen Fragen keine Antwort geben könne.
Weltkonzern Xella distanziert sich
Auf Nachfrage von NDR Schleswig-Holstein teilt ein Sprecher des Xella-Konzerns mit, dass die Zusammenarbeit mit der "Bausatzhaus Nord Holstein GmbH" von Holm Sippel Mitte Juni dieses Jahres beendet worden ist. Dem Ytong-Bausatzhauspartner sei außerordentlich gekündigt worden. Mit einer weiteren Firma von Sippel werde der Franchise-Vertrag nicht verlängert: "Ein insolventer Unternehmer, der bewusst private Bauherren unzufrieden oder mit einem unfertigen Bauprojekt zurücklässt, hat keine Zukunft mit einem anderen Unternehmen in einem Xella-Franchise". Gemeint ist Sippels Firma "Haus- und Hallenbau Holstein GmbH", die die weitere Xella-Marke "hebelHaus" vertreibt.
Ein Video mit Sippel als Werbefigur bei Instagram wurde mittlerweile gelöscht. Die Reaktion von Xella ist vermutlich nur ein kleiner Trost für die Familien, die mit der "Bausatzhaus Nord Holstein" ihr Ytong-Traumhaus bauen wollten. Sie müssen sich nun mit viel Aufwand und viel Geld aus dem Alptraum befreien.