Unsicherheit und Scham: Jugendliche werden mit Pornokonsum alleingelassen
Pornos zu schauen, ist erst mit 18 Jahren erlaubt. Dennoch kommen viele Jugendliche früh mit Pornografie in Kontakt - oft auch unfreiwillig. Deshalb fordern Experten aus SH mehr "Pornokompetenz" bei Erwachsenen.
Online an Pornos zu kommen, sei gar kein Problem, sagt Lukas: "Man wird gefragt, ob man 18 ist, klickt 'ja' und ist drauf." Sein Klassenkamerad Hannes erzählt, dass auch er heimlich schon viele Pornos geguckt habe. "Mit 13, 14 Jahren. Heute finde ich die nicht mehr so ansprechend."
Lukas, Hannes, Leon und Sina gehen in eine der zehnten Klassen der Geschwister-Prenski-Schule in Lübeck, sind 15 und 16 Jahre alt. Sie waren bereit, mit NDR Schleswig-Holstein über ihre Erfahrungen mit Pornos zu sprechen. Dabei wollen sie unerkannt bleiben, eigentlich heißen sie anders.
Pornografische Inhalte landen oft in Gruppenchats
Mit 13 Jahren kommen Schätzungen zufolge Jugendliche zum ersten Mal mit Pornografie in Kontakt. "Ein großer Prozentteil wird ungewollt mit den Inhalten konfrontiert", sagt Dr. Johanna Degen. Die Sexualtherapeutin und Sozialpsychologin lehrt und forscht an der Europa-Universität Flensburg zu Beziehungen, Sex und Liebe im Zusammenhang mit digitaler Entwicklung. Die wenigsten suchten gezielt nach Hardcore-Pornos, sagt die Wissenschaftlerin. Videos und Bilder würden eher über Chats geteilt oder von anderen auf Smartphones herumgezeigt.
Schülerin Sina erinnert sich: "In der siebten Klasse fanden das einige Jungs extrem cool. Dadurch bin ich eher unfreiwillig damit in Berührung gekommen." Noch heute würden ihr hin und wieder pornografische Inhalte unter die Nase gehalten: "Manchmal sagen Jungs aus meinem Freundeskreis: 'Guck mal, das habe ich in meinem ausgeblendeten Album.' Ich verstehe das nicht so richtig, mich fasziniert das einfach nicht." Ihre Lehrerin Jana Ting bekommt immer mal wieder mit, wenn sich die Jugendlichen im Porno-Slang unterhalten: „Sie benutzen irgendwelche Abkürzungen, man selbst hat keine Ahnung, was das heißt und wird andersherum aufgeklärt."
Schüler Leon: "Oma sagt: Denk nicht, Sex läuft so ab wie in Pornos"
Viele schauten bereits jahrelang Pornos, bevor sie eigene sexuelle Erfahrungen sammeln. Gleichzeitig hat der in der Regel überzogen inszenierte Porno-Sex wenig mit dem Alltag zu tun - noch weniger damit, was Jugendliche von ihrem ersten Mal erwarten können. "Jetzt, mit 15 Jahren, kann ich das auseinanderhalten", sagt Lukas. "Aber ich weiß nicht, ob ich das früher gekonnt hätte."
Hannes hätten ausgerechnet Online-Interviews mit Pornodarstellern zu dieser Erkenntnis verholfen: "Dass der Sex nicht einfach so passiert, dass ein riesiges Team dabei ist und Szenen auch wiederholt werden." Leon habe seine Oma aufgeklärt - sie hätte ihm gesagt, er solle nicht glauben, dass Sex in Wirklichkeit so ablaufe, wie es in Pornos gezeigt wird.
Im Unterricht werde fächerübergreifend viel dafür getan, damit die Schülerinnen und Schüler Medienkompetenz lernen, sagt Lehrerin Ting. Daher traue sie ihnen durchaus zu, dass sie auch begreifen, dass Pornosex stark in Szene gesetzt ist. So sieht es auch Sozialpsychologin Johanna Degen, Auswirkungen habe früher Pornokonsum dennoch: "Auf Annahmen darüber, wie Sex zu sein hat, auf Hierarchien zwischen Geschlechtern, dazu entstehen Erwartungshaltungen und ein großer Leistungsdruck."
Sexualpädagoge: Zu wenig Offenheit im Sexualkundeunterricht
Pornografie an sich sei nicht das Problem, sagt Andreas Gloël, Fachreferent für sexuelle Bildung bei Pro Familia in Schleswig-Holstein. Eher, dass Jugendliche Pornos oft als einzige Möglichkeit sehen würden, explizite Informationen über Sexualität zu bekommen. Häufig fehle es an offenem Aufklärungsunterricht und einer Atmosphäre zuhause, in der über Liebe und Sex gesprochen werden kann. "Das merken Jugendliche im Alltag" sagt Andreas Gloël. "Zum Beispiel, wenn Sie solche Themen in Gesprächen testweise anbringen, um zu sehen, wie Erwachsene reagieren."
Verbote, Strafen, Beschämung: All das helfe nicht, Jugendliche vom Pornokonsum abzuhalten. Ziel müsse sein, dass ihnen klar ist: Erwachsene sind ansprechbar, wenn ich etwas sehe, das mich irritiert. "Das schaffen wir am besten, wenn wir sie nicht abwerten, sondern ernst nehmen und Interesse an ihnen haben. Auch daran, warum sie Pornos gucken." Sexualpädagoge Andreas Gloël schlägt vor, Jugendliche zu fragen: "Warum guckt ihr das, was versprecht ihr euch davon? Gibt es Informationen, die ihr woanders nicht finden konntet?" Dazu sei es wichtig zu erklären, warum Pornos erst ab 18 freigegeben sind.
Sozialpsychologin: Zu wenige Fortbildungsangebote für Lehrerinnen und Lehrer
Kommen Lehrerinnen und Lehrer mit Jugendlichen zum Beispiel im Sexualkundeunterricht ins Gespräch, würden immer wieder "krasse Fragen" gestellt, sagt Johanna Degen von der Uni Flensburg, zum Beispiel: "Hatten sie schon mal einen Dreier? Wie fühlt sich Doppelpenetration an? Muss ich beim ersten Mal Analsex haben?"
Und dann? Statt "pornokompetent" und souverän auf solche Fragen eingehen zu können, überwiegen bei Erwachsenen vor allem Unsicherheit und Scham. Es gebe zu wenige spezielle Fortbildungsangebote für Pädagoginnen und Pädagogen, sagt Johanna Degen. "Auch bei den Themen Social Media-Nutzung, Online-Grooming und Onlinedating hinken wir hinterher."
Deshalb hat die Forscherin mit ihrem Team den Onlinekurs "Teach Love" für Lehrkräfte entwickelt. In der Weiterbildung für geht es unter anderem um Online-Dating, Social Media Nutzung und eben auch um Pornokonsum bei Jugendlichen.
"Pornoforscherin" Madita Oeming: Jugendliche haben immer später Sex
Durch den Part des Onlinekurses rund um Pornokonsum bei Jugendlichen führt Kulturwissenschaftlerin Madita Oeming aus Göttingen. Darin werden auch Fragen rund um Porno und Feminismus und ethischen Pornokonsum geklärt. Madita Oeming will die Kurs-Teilnehmenden ermuntern, weniger ängstlich und alarmiert mit dem Thema umzugehen: „Jugendliche haben tendenziell immer später Sex, sie verhüten sicherer, sie binden Sexualität und Liebe sehr stark aneinander“ sagt die Pornoforscherin. „Das sind alles keine Dinge, die sie aus Pornos gelernt haben. Und wir leben schon 15 Jahre mit kostenloser Online-Pornographie.“
Hannes: "Peinlich, mit Erwachsenen über Pornokonsum zu sprechen"
Sina, Lukas, Hannes und Leon können es sich nur schwer vorstellen, mit Eltern oder Lehrerinnen und Lehrern über den eigenen Pornokonsum zu reden. "Das wäre mir zu peinlich", sagt Hannes. Leon fügt hinzu, dass er nie großen Bedarf gehabt hätte sich dazu auszutauschen. "Als Ansprechpartner gibt es das Internet", sagt Lukas. "Ich würde das nicht mit meinen Eltern besprechen, eher mit Personen, die man nicht kennt und die Experten sind auf dem Gebiet." Sina leiht sich lieber Bücher aus der Bibliothek, um auf ihre Fragen rund um Liebe und Sex Antworten zu finden.
"Pornokompetenz" wird am ehesten Fachleuten zugetraut
Die Jugendlichen sind sich einig: Auch Unterrichtsgespräche rund um Liebe, Sexualität und auch Pornografie funktionierten am besten in kleinen Gruppen - angeleitet von Fachleuten, die nichts mit der Schule zu tun haben. Sina würde es helfen, wenn diese Gespräche von jungen Frauen angeleitet werden würden. Lehrerin Jana Ting hat mit solchen Unterrichtsformaten gute Erfahrungen gemacht: "Das sind Themen, die wir gerne an externe Expertinnen und Experten abgeben, die alle Fragen beantworten, danach wieder weg sind und nicht die nächste Arbeit benoten."
Dazu gehören auch die Sexualpädagoginnen und -Pädagogen von Pro Familia. "Wir besuchen gern Schulen", sagt Andreas Gloël. Gleichzeitig mache es Sinn, dass sich Lehrerinnen und Lehrer wie auch Eltern auch mit diesen Themen beschäftigen - damit sie die Jugendlichen gut im Alltag begleiten können.