Stutthof-Prozess: KZ-Überlebende berichtet von Todesmarsch
Vor dem Landgericht Itzehoe ist am Dienstag der Prozess wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 11.000 Fällen im früheren Konzentratzionslager Stutthof bei Danzig fortgesetzt worden. Das Gericht hörte eine 93 Jahre alte Zeitzeugin weiter an.
Die in den USA lebende Asia Shindelman schilderte im Prozess ihre Erlebnisse auf einem sogenannten Todesmarsch aus dem Lager Stutthof bei Danzig. Die Zeugin war dem Prozess per Video-Stream zugeschaltet und berichtete, wie sie als damals 15-Jährige zusammen mit ihrer Mutter als Zwangsarbeiterin in den bitterkalten letzten Kriegsmonaten beim Ausheben von Schützengräben sowie beim Bau von Panzerfallen helfen musste.
Sie mussten Flüsse und Seen mit breiten Stoffbahnen zu Panzerfallen herrichten - in leichter Bekleidung im eiskalten Winter. Als die Ostfront bröckelte und die Rote Armee näher kam, hätten die Deutschen nicht mehr gewusst, was sie mit den Gefangenen machen sollten. Sie hätten sie daher auf den Todesmarsch ins Innere des Reiches geschickt.
Zeugin: Selbst Tiere wurden besser behandelt als Gefangene
"Ich glaube, sie haben selbst Tiere in Stutthof besser behandelt als uns", sagte die 93-Jährige. Die Gefangenen aus Stutthof mussten ohne warme Kleidung hunderte Kilometer durch den Frost marschieren. Überall an den Straßen lagen nach den Worten Shindelmans Leichen. Immer wieder seien Schüsse zu hören gewesen. "Das waren Gnadenschüsse für unsere Häftlinge", sagte die gebürtige Litauerin.
Die Bewacher hätten erschöpfte Gefangene einfach getötet. Schließlich hätten sie drei Wochen lang in einer Scheune nahe der pommerschen Stadt Lauenburg (heute: Lebork) gelegen und gehungert. Die SS-Leute hätten jeden Morgen höhnisch in den Stall gerufen: "Wer tot ist, soll sich melden". Im Januar 1945 seien sie dann von russischen Soldaten befreit worden.
Füße und Beine sollten amputiert werden
Mutter und Tochter überlebten völlig geschwächt. Obwohl ihre früheren Mithäftlinge Nahrung fanden, konnten Shindelman und ihre Mutter nach monatelangem Hungern nichts Essen. "Es wäre unser Tod gewesen", ist sie sich heute sicher. Aufgrund ihrer schweren Verwundungen wollten ihr die Ärzte Füße und Beine bis zum Knie amputieren, sagte die 93-Jährige vor Gericht. Ihre Knochen seien bereits schwer entzündet gewesen.
Doch die Ärzte entschieden sich später anders. Mutter und Tochter überlebten und blieben fünf Monate im Lazarett. Bis heute wirkt die Gefangenschaft nach: Bei Menschenansammlungen wie in der U-Bahn wird sie plötzlich bewusstlos, so Schindelmann, weil sie das an die Zeit in der Scheune erinnere.
Nebenklage: Geschichten der Überlebenden wichtig
Ein Nebenklage-Vertreter sagte im Interview mit NDR-Schleswig-Holstein, es sei für das Gericht sehr wichtig, so viel wie möglich über die Situation in Stutthof zu erfahren. Aber für die Gefangenen sei es genau so wichtig, ihre Geschichte zu erzählen, damit das Unrecht von damals nicht vergessen werde.
Ein weiterer Nebenklage-Vertreter lieferte sich einen Schlagabtausch mit dem Vorsitzenden der Strafkammer, welcher die Vernehmung der Zeugin unter Hinweis auf die Zeit abschließen und auf Schilderungen nach der Gefangenschaft verzichten wollte. Der Anwalt verwies in scharfem Ton darauf, dass es wichtig sein könne, was die Zeugin zur Zeit danach zu sagen habe. Inwieweit eine weitere Befragung notwendig ist, soll nun noch geklärt werden.
Vorwurf: Systematische Tötung unterstützt
Die angeklagte 96-Jährige frühere KZ-Sekretärin Irmgard F. folgte dem Prozess aufmerksam, schweigt jedoch weiter. Sie soll von Juni 1943 bis April 1945 in der Kommandantur des deutschen Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig als Zivilangestellte gearbeitet haben.
Ihr wird zur Last gelegt, durch ihre Schreibarbeit die Verantwortlichen des Lagers bei der systematischen Tötung von mehr als 11.000 Gefangenen unterstützt zu haben. Irmgard F. zog nach Kriegsende nach Schleswig-Holstein und arbeitete hier weiter als Schreibkraft. Die Rentnerin lebt in einem Altenheim in Quickborn im Kreis Pinneberg.
Zeugin: SS-Männern war alles erlaubt
Die Zeugin Asia Shindelman hatte bereits am 14. Dezember per Videoschalte zum ersten Mal von ihrem Leidensweg berichtet. Demnach war die gebürtige Litauerin 1941 nach der deutschen Besetzung ihres Heimatlandes zunächst mit ihren Eltern in ein Ghetto gebracht worden, drei Jahre später dann in das KZ bei Danzig.
Shindelman berichtete, wie sie als junges Mädchen erlebte, dass Gefangene von Wachen in Elektrozäune geworfen wurden und starben. Andere wurden nach ihren Worten vor Wachhunde geworfen und getötet. Den SS-Männern sei alles erlaubt gewesen, sagte sie nach den Worten einer Dolmetscherin.