Stutthof-Prozess: KZ-Überlebender berichtet über Deportation und Leid
Der Prozess gegen eine 96 Jahre alte ehemalige KZ-Sekretärin ist vor dem Landgericht Itzehoe fortgesetzt worden. Der Überlebende Josef Salomonovic wurde als Zeuge gehört. Seine Aussage fiel ihm nicht leicht.
Josef Salomonovic war als Sechsjähriger mit seiner Familie im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig interniert. Er hat sehr lange gezögert, vor Gericht auszusagen. "Angenehm ist es nicht, das aufzuwühlen", sagte der 83-Jährige. Er kam in Begleitung seiner Frau aus Wien in das Landgericht. Dort berichtete er am Vormittag über Deportation und Leid seiner Familie. Josef Salomonovic kam zuerst von Prag nach Ausschwitz und dann nach Stutthof - gemeinsam mit seiner Mutter, seinem Vater und seinem drei Jahre älteren Bruder.
Einige Tage nach der Ankunft gab es nach seinen Schilderungen dann auf dem KZ-Gelände einen Zählappell. Es mussten alle Männer auf dem Hof antreten - auch sein Vater. Unter dem Vorwand, ihm ein Medikament geben zu wollen, setzte ein KZ-Arzt dem Vater in einem separaten Gebäude dann eine tödliche Spritze ins Herz. So erzählte es ihm damals sein älterer Bruder.
Angeklagte zeigte keine Reaktion
Zusammen mit seinem Bruder und seiner Mutter überstand er Hunger, Kälte und Entbehrungen. "Es ist eine moralische Pflicht, angenehm ist das nicht", sagte Josef Salomonovic. Er mache das für seinen Vater, für seine 1992 gestorbene Mutter und seinen vor zwei Jahren gestorbenen Bruder. Ein Foto seines Vaters hielt er in Richtung der Angeklagten, die einige Meter entfernt hinter einer Plexiglaswand saß. Eine Reaktion zeigte Irmgard F. nicht. "Vielleicht schläft sie, so wie ich, schlecht", sagt der 83-Jährige auf die Frage eines Nebenklagevertreters, ob er mit dem Zeigen des Fotos eine Frage an die Angeklagte verbinde. Acht Konzentrationslager hat Josef Salomonovic als Kind überlebt. Stutthof sei für ihn aber das schlimmste gewesen.
Überlebender: "Das Schlimmste waren der Hunger und die Kälte"
Josef Salomonovic schilderte, er habe als kleines Kind gesehen, wie den Frauen, auch seiner Mutter, alles abgenommen wurde, Kleidung, persönliche Gegenstände und Schmuck, und ihnen dann der Kopf kahl geschoren wurde. "Das Schlimmste waren der Hunger und die Kälte", erzählte er. Das Kriegsende erlebten die Drei unter dramatischen Umständen in Dresden, wo die Mutter in einer improvisierten Munitionsfabrik arbeiten musste.
Der 83-Jährige warf der angeklagten, ehemaligen Schreibkraft im Gespräch mit Journalisten zwar keine direkte Beteiligung an den KZ-Morden vor. Allerdings wirkte sie nach seiner Auffassung an den Vorgängen mit, da sie beispielsweise auch unter die Todesurkunde seines Vaters den Stempel setzte.
Anklage: Beihilfe zum Mord
Irmgard F. hatte von Juni 1943 bis April 1945 als Schreibkraft in der Kommandantur des deutschen Konzentrationslagers gearbeitet. Die Anklage wirft der 96-Jährigen Beihilfe zum Mord in über 11.000 Fällen vor. Das Verfahren findet vor einer Jugendkammer statt, weil die Angeklagte zur Tatzeit erst 18 beziehungsweise 19 Jahre alt war. Im KZ Stutthof und seinen Nebenlagern sowie auf den sogenannten Todesmärschen zum Kriegsende starben nach Angaben der für die Aufklärung von NS-Verbrechen zuständigen Zentralstelle in Ludwigsburg etwa 65.000 Menschen.
Der Prozess soll am 14. Dezember mit der Aussage einer Zeugin fortgesetzt werden, die per Video aus den USA zugeschaltet wird.