Itzehoer Stutthof-Prozess: 93-jährige Zeugin schildert die Gräuel in dem KZ
"Verfluchte Judenbande!" - So wurden eine junge Litauerin und ihre Mitgefangenen 1944 im KZ Stutthof begrüßt. Die heute 93-Jährige schildert im Prozess gegen eine ehemalige Schreibkraft des Lagers ihren Leidensweg.
Nach ersten technischen Problemen konnte Asia Shindelmann per Videoschalte aussagen. Die heute 93-Jährige lebt im US-Staat New Jersey. 1928 wurde sie in Litauen geboren und wurde 1941 nach der deutschen Besetzung des baltischen Landes zunächst mit ihren Eltern in ein Ghetto und drei Jahre später in das KZ bei Danzig gebracht. In einem Zug aus Viehwaggons sei sie mit Eltern, einem Onkel und ihrer Großmutter nach Stutthof gebracht worden, erinnerte sie sich an die Ereignisse damals. Nach etwa viertägiger Fahrt hätten SS-Männer die Waggontüren aufgerissen und sie zur Eile angetrieben: "Schneller, schneller, verfluchte Judenbande!" Diesen Ruf gab Shindelman auf Deutsch wider.
Asia Shindelman: "Die Deutschen konnten uns auch totschlagen"
Als junges Mädchen erlebte sie, wie Gefangene von Wachen in Elektrozäune geworfen wurden und starben, wie andere vor Wachhunde geworfen und getötet wurden. Den SS-Männern sei alles erlaubt gewesen, sagte sie nach den Worten einer Dolmetscherin. "Die Deutschen konnten uns auch totschlagen." Nach einem Monat sei sie in ein Außenlager gebracht worden, wo sie und andere jüdische Frauen Gräben zur militärischen Verteidigung ausheben mussten.
Schlafen im Zelt bei frostigen Temperaturen
Zu essen gab es wenig - wenn überhaupt. Meist eine Wassersuppe und eine Scheibe Brot, erzählte Asia Shindelman von ihrer Zeit im KZ Stutthof. Sie hatte nur wenig Kleidung, war fast nackt, musste bei frostigen Temperaturen in einem Zelt schlafen, auf dem nackten Grasboden. Die 93-Jährige beschrieb die Bedingungen in dem Lager als unmenschlich. Während sie schilderte, was ihr und ihrer Familie angetan wurde, schaute die Angeklagte immer wieder kurz zum Monitor. Große Gefühlsregungen zeigte sie nicht. In der kommenden Woche sagt Shindelman weiter aus.
Die angeklagte 96-jährige Irmgard F. muss sich unter anderem wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 11.000 Fällen verantworten. Sie soll als Schreibkraft von Juni 1943 bis April 1945 als Zivilangestellte in der Kommandantur gearbeitet haben.
Verteidigung kritisiert Historiker Hördler
Zum Auftakt der Verhandlung am Dienstag kritisierte die Verteidigung den historischen Sachverständigen Stefan Hördler. Der KZ-Experte hatte an drei Verhandlungstagen über die Struktur des Lagers Stutthof sowie über die Rolle der Frauen in der KZ-Verwaltung und Bewachung referiert. Anwalt Niklas Weber warf ihm vor, einen für das Verfahren sehr wichtigen Kommandanturbefehl nicht vollständig vorgetragen zu haben. Mit dem Befehl vom 27. Oktober 1944 sei ein hochrangiger SS-Offizier mit "Sonderaufgaben" im Lager betraut worden. Dieser Begriff sei wie die "Endlösung" ein Codewort für Gräueltaten gewesen.
Angeklagte kann laut Anwälten nichts von Morden gewusst haben
In dem Befehl sei auch festgelegt worden, dass dem Hauptsturmführer für die "Erledigung der anfallenden schriftlichen Arbeiten in dieser Abteilung" ein SS-Unterscharführer zur Seite gestellt werde. Diese "besonders beauftragte Person" sei zur Geheimhaltung verpflichtet gewesen. Diese Passage des Befehls zu den Schreibarbeiten habe Hördler nicht vorgelesen, obwohl sie für den Vorwurf der Beihilfe zum Mord gegen seine Mandantin eine besondere Bedeutung habe, sagte Weber. Webers Kollege Wolf Molkentin stellte fest: "Nach der bisherigen Beweisaufnahme kann (...) mitnichten davon ausgegangen werden, dass die entscheidenden Fragen zur persönlichen Verantwortlichkeit der Angeklagten, insbesondere zu ihrer Kenntnis von den im Lagerbereich durchgeführten Mordtaten, bereits im Sinne der Anklage beantwortet wären."