Stutthof-Prozess: Angeklagte soll SS-Männer nach 1945 empfangen haben
Vor dem Landgericht Itzehoe ist am Dienstag der Prozess wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 11.000 Fällen im früheren Konzentrationslager Stutthof bei Danzig fortgesetzt worden. Das Gericht hörte erneut einen historischen Sachverständigen an.
Die in Itzehoe vor Gericht stehende ehemalige KZ-Sekretärin empfing nach 1945 noch hochrangige SS-Männer in ihrer Wohnung in Schleswig. Der historische Sachverständige Stefan Hördler nannte am Dienstag den Kommandanten des Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig, Paul Werner Hoppe, und den ehemaligen SS-Rapportführer Arno Chemnitz. Auf Einspruch von Verteidiger Wolf Molkentin stellte Hördler klar, dass er über den Charakter der Treffen zwischen der Angeklagten und Hoppe sowie Chemnitz nichts sagen könne. Es seien jedoch mehrere Besuche gewesen. Der historische Sachverständige warf die Frage auf, woher die beiden SS-Männer wussten, wo die Angeklagte damals wohnte.
Hoppe wurde nach dem Krieg verurteilt
Der Verteidiger der Angeklagten, Molkentin, bestätigte, dass der Ehemann seiner Mandantin in einer Zeugenaussage den Besuch von Hoppe einst erwähnt habe. Der Kommandant war nach dem Krieg untergetaucht, wurde aber in den 50er Jahren vor Gericht gestellt und wegen Beihilfe zum Mord zu neun Jahren Zuchthaus verurteilt. Hoppe war nach einer SS-Karriere in mehreren anderen Konzentrationslagern 1942 zum Kommandanten von Stutthof ernannt worden. Unter seiner Führung diente auch der Ehemann der Angeklagten als SS-Mann in Stutthof. Er sei mit dem Kriegsverdienstkreuz zweiter Klasse mit Schwertern ausgezeichnet worden, sagte Hördler. Diesen Orden hätten vor allem SS-Männer für ihre Beteiligung an Massenerschießungen bekommen.
Chemnitz tauchte unter
Chemnitz, der nach Angaben von Hördler zahlreiche Gefangene im KZ Buchenwald und in Stutthof erschoss, blieb untergetaucht. Arno Chemnitz gehörte laut dem Historiker zu den Mordspezialisten in Stutthof. Er habe vorher in Buchenwald zu einem Sonderkommando gehört, das in einer als Arztzimmer getarnten Genickschussanlage Gefangene erschoss. Den Opfern wurde gesagt, sie müssten sich untersuchen lassen. Sie mussten sich ausziehen und sich vor eine Messlatte stellen, angeblich um ihre Körpergröße zu bestimmen. Dann habe ein SS-Mann aus einem Nebenraum durch eine Öffnung einen Genickschuss abgegeben. Innerhalb weniger Monate habe das "Kommando 99" in Buchenwald mehr als 7.000 sowjetische Kriegsgefangene auf diese Weise ermordet. 1944 habe Chemnitz eine ähnliche Genickschussanlage in Stutthof aufgebaut. Dabei habe er auf seine Morderfahrungen in Buchenwald zurückgegriffen.
Vorwurf: Systematische Tötung unterstützt
Die angeklagte 96-Jährige frühere KZ-Sekretärin Irmgard F. soll von Juni 1943 bis April 1945 in der Kommandantur des deutschen Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig als Zivilangestellte gearbeitet haben. Weil Irmgard F. damals erst 18 bis 19 Jahre war, findet der Prozess vor einer Jugendstrafkammer am Landgericht statt. Im KZ Stutthof und seinen Nebenlagern sowie auf den sogenannten Todesmärschen zu Kriegsende starben nach Angaben der für die Aufklärung von NS-Verbrechen zuständigen Zentralstelle in Ludwigsburg etwa 65 000 Menschen.
Irmgard F. wird zur Last gelegt, durch ihre Schreibarbeit die Verantwortlichen des Lagers bei der systematischen Tötung von mehr als 11.000 Gefangenen unterstützt zu haben. Irmgard F. zog nach Kriegsende nach Schleswig-Holstein und arbeitete hier weiter als Schreibkraft. Die Rentnerin lebt in einem Altenheim in Quickborn im Kreis Pinneberg.