Kolumne: Sie sind allein und erziehend

Stand: 29.06.2024 05:00 Uhr

Die Ergebnisse des Zensus für Schleswig-Holstein haben uns allerhand offenbart. Auch dies: Von den Haushalten mit Kindern in Schleswig-Holstein, sind gut ein Viertel (27 Prozent) alleinerziehend. Unsere Kolumnistin schaut sich diese Familienform genauer an und findet, das sollten wir alle.

von Stella Kennedy

Es ist schon verrückt. Da empfinden wir uns selbst im Tierreich als die perfekte Spezies, fliegen zum Mond und erfinden Künstliche Intelligenz. Und dann sabotieren wir uns am Ende selbst, in dem wir einander Märchengeschichten erzählen - und die dann auch noch glauben. Eine der beliebtesten Märchengeschichten der Popkultur der letzten 150 Jahre ist die Liebesromanze. Frau trifft Mann, große Liebe, große Hochzeit, Kinder und dann heißt die Devise: "Glücklich bis ans Lebensende". Diese Schablone einer Lebensform pressen wir dann allem und allen auf. Es gilt: Hast du dieses "Ziel" erreicht, hast du es geschafft und die Gesellschaft steht im Kreis und applaudiert ...

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NDR Reporterin Stella Kennedy. © NDR Foto: Daniela Vagt

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Unzeitgemäße "Kernfamilien-Schablone"?

Dabei beweisen die Zahlen das Gegenteil: Laut Statistik-Portal Statista betrug die Scheidungsrate von Ehen in Deutschland im Jahr 2021 rund 39,9 Prozent. Zudem heiraten längst nicht alle - vor allem nicht mehr "wegen der Kinder". Fakt ist: die sogenannte "Kernfamilie" stirbt aus. Selbst wenn sie bei den meisten noch als Nonplusultra gehandelt wird und andere Familienformen als Randgruppen bewertet werden. Stattdessen gibt es immer mehr Ein-Eltern-Familien (fast jedes fünfte Kind in Deutschland wächst bei Alleinerziehenden auf), sowie Patchworkfamilien. Und dann sind da noch Pflegefamilien und Adoptivfamilien - und ja, auch Kinderheime, in denen Kinder und Jugendliche groß werden.

Wir feiern das Mama-Papa-Kind(er)-Modell viel zu sehr ab

Längst zeigt also die Realität, wie unzeitgemäß die Kernfamilien-Schablone ist. Längst sind die vielfältigsten Lebensentwürfe gesellschaftlich akzeptiert. Dennoch feiern wir das Mama-Papa-Kind(er)-Modell viel zu sehr ab. Das spiegelt sich leider auch in politischen Entscheidungen wider. Die neueste Studie der Bertelsmann Stiftung macht das deutlich. Sie benennt die Folgen der aktuell nach wie vor von den meisten Eltern gelebten familiären Arbeitsteilung. Die führt nämlich vor allem nach Trennungen zu Problemen: Meistens arbeiten die Väter in Vollzeit, die Mütter dagegen pausieren, arbeiten in Teilzeit und übernehmen große Teile der Sorgearbeit.

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Diese Arbeitsteilung gehe nach einer Trennung in den meisten Fällen so weiter, führen die Experten auf und deswegen seien Mütter als Alleinerziehende verstärkt von Armut und logischerweise Altersarmut bedroht oder betroffen. Allein bei uns in Schleswig-Holstein sind 27 Prozent aller Haushalte mit Kindern alleinerziehend. Das zeigen die Ergebnisse des Zensus, der vergangene Woche veröffentlicht wurde. Der Schleswig-Holsteinische Landesverband der alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) weist darauf hin, dass bei uns im Land mehr als 43 Prozent der alleinerziehenden Mütter ein monatliches Nettoeinkommen von weniger als 1.500 Euro haben. Was das für Auswirkungen haben kann, habe ich gerade am Fall einer Alleinerziehenden erlebt, die einen Ausflug mit ihren Kindern über die Kieler Woche machte.

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Vollzeitjob als Alleinerziehende oft nicht möglich

Meine Protagonistin erzählte mir dabei, wie es für sie unmöglich sei, einen Vollzeitjob ausfüllen, weil die Betreuungszeiten für Ihre Kinder in Schule und Kita viel zu kurz seien. Die Randzeiten morgens und abends fehlten einfach. Das trifft natürlich auch "Kernfamilien", aber die können sich diese Zeiten oft noch aufteilen. Bundesweit ist in der Zeit von 1996 bis 2021 ist die Anzahl der Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern von 1,3 Millionen auf knapp 1,5 Millionen angestiegen. Von den rund 13 Millionen Kindern unter 18 Jahren leben inzwischen 18 Prozent mit einem Elternteil im Haushalt. In neun von zehn Fällen ist dies die Mutter, so das Bundesfamilienministerium.

Viel zu oft zahlt der Ex nicht oder zu wenig für die Kinder

Ein Thema, was dabei viel zu wenig Beachtung findet, ist das Problem rund um den Kindesunterhalt. Ein Artikel der Zeit hat in denen vergangenen Tagen viel Aufmerksamkeit bekommen. Darin wird argumentiert, dass ein Grund, weswegen Alleinerziehende unter so prekären Bedingungen leben, der ist, dass der Ex-Partner nicht oder zu wenig Unterhalt zahlt. Der Titel des Artikels: "Wie gut der Staat für schlechte Väter sorgt". Bei jedem dritten Kind müsse der Staat für den Unterhalt einspringen, sagen die Autoren. Das koste Milliarden und "belohnt Väter, die sich ihrer Pflicht entziehen".

Ohne Lobby kein Einfluss, ohne Einfluss wenig Teilhabe

Warum man über diesen Missstand kaum spricht? Alleinerziehende haben keine große Lobby. Weder in der Politik noch sonst wo. Das muss sich ändern. Denn um noch mehr Verschlechterungen für Alleinerziehende zu vermeiden, braucht es dringend Änderungen zu Unterhaltsregelungen. Auch mehr Kitaplätze, eine verlässliche Ganztagsbetreuung in der Schule und flexiblere Arbeitszeitmodelle braucht es. Das sagen die Experten der Bertelsmann-Studie, das sollten wir aber alle sagen: Für weniger grenzenlos erschöpfte und oft hilf- und hoffnungslose Mütter, für mehr Väter, die Verantwortung für ihre Kinder und deren (finanzielle) Bedürfnisse übernehmen. Denn: Sobald Kinder im Spiel sind, geht es nicht nur um zerplatzte Träume und aufgetrennte Schablonen. Es geht um die Chancen von Kindern und Jugendlichen. Es geht um unser aller Gegenwart und Zukunft.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 25.06.2024 | 19:30 Uhr

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