Bericht zu Kinderarmut: Jedes fünfte Kind in SH unter Armutsgrenze
Armut wird laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) oft von einer Generation an die nächste weitergegeben. Auch in Schleswig-Holstein sind die größten Risikofaktoren für Kinderarmut, wenn Eltern arbeitslos oder alleinerziehend sind - oder einen Migrationshintergrund haben.
Jedes fünfte Kind in Schleswig-Holstein lebt unterhalb der Armutsgrenze - in Städten wie Lübeck ist es sogar jedes vierte. Das sind Zahlen aus dem aktuellen Bericht zur sozialen Situation von Kindern und Jugendlichen in Schleswig-Holstein. Der beschreibt eine Realität, die Menschen wie Felix Trantow jeden Tag erleben.
Mehr Familien benötigen Hilfe
Trantow ist Einrichtungsleiter des AWO Familienzentrums Redderkoppel in Lübeck-Kücknitz. "Das sehen wir sehr stark auch hier bei uns im Stadtteil, dass immer mehr Kinder Unterstützung und Familien Hilfe benötigen", sagt er. Besonders deutlich werde das durch die ganzen Anträge auf Kostenübernahme, die Eltern bei ihm in seiner Rolle als Kita-Leitung einreichen. Häufig würde er aber auch Eltern sehen, die keine Anträge stellen, obwohl sie berechtigt sind: "Das passiert aus Scham, Sorge und Angst auch manchmal aus Unwissenheit."
Manchmal reicht das Geld nicht für Babynahrung
Trantows Kollegin Sabine Trein arbeitet im Familienzentrum in Lübeck-Krücknitz als Beraterin. Sie steht mit vielen Familien in direktem Kontakt, macht auch Hausbesuche und macht die gleichen Erfahrungen wie Trantow. Sie berichtet von Familien in beengten Wohnverhältnissen, aber auch von Familien, die am Ende des Monats kein Geld mehr für Windeln oder Babynahrung haben. "Insgesamt ist so ein familiäres Setting sehr belastet." Kinder würden mitbekommen, wenn es ihren Eltern nicht gut geht. "Jedes Elternteil möchte das Beste für das Kind. Und die Eltern sind alle bemüht, wirklich zu geben, was sie geben können." Trotzdem merke sie den Kindern die große Belastung an, wenn sie in so einer schwierigen Situation aufwachsen. Sie hätten einfach schlechtere Startbedingungen.
Touré: Schwer, sich in der Gesellschaft hochzukämpfen
Um Kinder, die sich in Situationen wie diesen befinden und wie sie vor Armut bewahrt und geschützt werden können, darum ging es am Donnerstag auf einer Kinderarmutskonferenz in Neumünster, zu der Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) Expertinnen, Verbände und Interessierte eingeladen hatte. Zu diesem Anlass hat die Ministerin einen ersten Teil des Berichts zur Kinderarmut veröffentlicht. Der zeigt: Mehr als die Hälfte der Kinder und Jugendlichen, die bei gering qualifizierten Eltern aufwachsen, ist von Armut gefährdet. Sind die Eltern ohne Arbeit, sind es sogar fast dreiviertel der Kinder. Außerdem haben Kinder von Alleinerziehenden, Kinder mit vielen Geschwistern und Kinder mit Migrationshintergrund ein erhöhtes Risiko, in Armut aufzuwachsen.
Ministerin Touré ist es wichtig zu betonen: "Es liegt nicht an den Menschen selbst, weil sie diese Merkmale haben, sondern weil es schwerer ist, sich in einer solchen Gesellschaft hochzukämpfen." Ihrer Überzeugung nach liegt die Verantwortung beim Staat und bei der Politik, Strukturen so aufzustellen, dass Menschen von klein auf an die gleichen Chancen haben. Das Thema habe höchste Priorität für sie, darum auch die Konferenz.
Sozialverbände: Es fehlt an politischem Willen
Auch Irene Johns, Vorsitzende des Kinderschutzbundes Schleswig-Holstein, ist Teilnehmerin von Tourés Konferenz und sie ist frustriert: "Seit mehr als 30 Jahren wissen wir, dass die Kinderarmut hoch ist, und wir wissen, was das bedeutet und welche Risiken das hat in Bezug auf Bildung, Gesundheit und Teilhabe. Und trotzdem wird viel zu wenig getan." Das Thema habe keine politische Priorität. Ein Bündnis aus Sozialverbänden in Schleswig-Holstein, dem der Kinderschutzbund angehört, schreibt: Das Wissen um Kinderarmut sei da, allein der politische Wille zum Handeln sei nicht stark genug.
Zahlen des statistischen Bundesamtes zeigen: Seit 2005 ist die Armutsgefährdungsquote bundesweit sogar leicht angestiegen - von 19,5 Prozent auf 21,6 Prozent im Jahr 2022. "Das ist für die Kinder und ihr Leben nicht hinnehmbar", sagt Johns. Die Risiken für Gesundheit, Bildung und Teilhabe seien immens. Es sei aber ebenso für die ganze Gesellschaft nicht hinnehmbar: "Wir reden immer über fehlende Fachkräfte. Die armen Kinder von heute sind die fehlenden Fachkräfte von morgen - wenn wir nicht wirklich etwas tun."
Land gibt 15 Millionen Euro für Entlastung von Kita-Eltern aus
Ein Argument, das auch Ministerin Touré nennt: "Wir wissen: Wenn wir bei den Kleinsten sparen, dann zahlen wir in der Zukunft doppelt und dreifach drauf." Der Bereich "Soziales und Bildung" hätte im Verhältnis zu den anderen Ressorts weniger Einsparpotential in den aktuellen Haushalt einbringen müssen, "weil wir das als Landesregierung prioritär behandeln." Sie verweist auf ein Entlastungspaket für Eltern von Kita-Kindern, das seit Anfang des Jahres abgerufen werden kann. Dafür habe das Land 15 Millionen Euro ausgegeben.
Sozialverbände fordern kostenfreie Bildung
Zu wenig, sagt Irene Johns: "Wir fordern ganz klar, dass die Landesregierung einen Handlungsplan erstellt und messbare Erfolge bis Ende der Legislaturperiode zum Abbau von Kinderarmut vorweist." Konkret geht es dabei um Forderungen wie: "Gebührenfreie und qualitativ gute Bildung von der Kita bis zur Hochschule und natürlich echte Lernmittelfreiheit, eine gute Gesundheitsförderung und eine echte Teilhabe."
Die Armutskonferenz von Ministerin Touré soll der Beginn dafür sein, gemeinsam mit Verbänden konkrete Lösungen auf den Weg zu bringen. Auf die hoffen sie auch im Familienzentrum Redderkoppel in Lübeck-Kücknitz. Immer wieder müssen die Mitarbeitenden hier Eltern auf Wartelisten vertrösten. Gerne würde sie mehr Kurse und Beratungsgespräche anbieten - um den Kleinsten den Start ins Leben zu erleichtern.