Armutsfalle Scheidung: Wenn das Geld plötzlich nicht mehr reicht

Stand: 26.04.2024 18:22 Uhr

Viele Mütter stehen nach einer Trennung vor finanziellen Herausforderungen. Oft sind sie es, die für ihre Kinder auf Karriere verzichtet haben. Zerbricht die Beziehung, ist das Geld plötzlich sehr schnell knapp.

von Johannes Tran

Marta Klaws* ist 44 Jahre alt und lebt in einem Vorort von Lübeck. Vor neun Jahren hat sie sich von ihrem Mann getrennt und ist mit ihren Kindern hierher gezogen. Seitdem ist sie das, was man alleinerziehend nennt. Sie arbeitet in Teilzeit, kümmert sich um ihre zehnjährige Tochter und ihren 16-jährigen Sohn und hat seit der Trennung große Geldsorgen: "Am Anfang des Monats ist das Geld schon wieder weg. Dann muss ich schauen, wie ich die nächsten drei Wochen über die Runden komme." Sie geht, so erzählt sie, nur ungern zum Briefkasten. Aus Angst vor den Rechnungen. Sie ist bereit, detailliert über diese Ängste und Probleme zu sprechen - aber nicht unter ihrem richtigen Namen.

Angst, den Kindern nichts bieten zu können

1.600 Euro netto verdient sie im Monat. "Das geht alles für die Fixkosten drauf." Miete, Gas, Strom, Versicherungen, Autokredit, Sprit. Dazu kommen aktuell um die 900 Euro Unterhalt ihres Ex-Mannes, rund 500 Euro Kindergeld und ein Wohngeldzuschuss vom Amt. Viel übrig bleibe da nicht, sagt sie. Ausflüge, Urlaube oder Geschenke für die Kinder seien oft nicht drin. Selbst den Friseurbesuch könne sie sich nicht leisten. "Ich fühle mich manchmal so, als würde ich versagen. Dass ich den Kindern nichts bieten kann. Das macht mich am meisten traurig." Sie macht sich große Sorgen, dass die Rente später zum Leben nicht reicht.

In ihrer gescheiterten Ehe, so berichtet sie, waren die Rollen immer klar verteilt: Ihr Mann bringt mehr Geld nach Hause, also arbeitet er in Vollzeit. Sie wechselt für die Kinder in Teilzeit und verzichtet auf Karriere - trotz ihres Diplomabschlusses in Betriebswirtschaft. "Wenn ein Kind krank war, dann war ich diejenige, die zum Arzt gefahren ist."

"Ich wollte bloß raus", sagt sie - und verzichtet auf Anteile am Haus

Als die Beziehung zerbricht, steht sie vor dem finanziellen Nichts. Sie verzichtet auf Anteile am gemeinsamen Haus, aus Angst, ihr Ex-Mann könnte die Kinder bei sich behalten. "Ich wollte bloß raus", sagt sie. Mit ihrer Tochter und ihrem Sohn zieht sie zu ihren Eltern und schlägt sich durch mit Arbeiten, für die sie eigentlich überqualifiziert ist. Sie putzt Zimmer in einem Hotel und verteilt Knöllchen an Falschparker.

Irgendwann findet sie einen Job in einer Beratungsstelle im Kreis Stormarn. Dort arbeitet sie aktuell zwanzig Stunden pro Woche und hilft anderen Frauen dabei, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. "Es macht meine Arbeit natürlich authentisch, dass ich vieles nachvollziehen kann", sagt sie. Marta Klaws, die selbst nur schwer über die Runden kommt, versucht bei ihrer Arbeit, anderen Frauen Mut zu machen.

Viele Alleinerziehende verdienen weniger als 1.500 Euro

Klaws Geschichte steht beispielhaft für Zehntausende Frauen in Schleswig-Holstein. Ihre Lebensläufe unterscheiden sich im Detail, doch die Grundmuster bleiben oft dieselben: Liebe. Beziehung. Ehe. Kinder. Teilzeit. Scheidung. Armut. Zahlen des Statistikamts Nord zeigen: 81,2 Prozent der Alleinerziehenden im nördlichsten Bundesland sind Frauen.

43,3 Prozent der alleinerziehenden Mütter haben demnach ein monatliches Nettoeinkommen von weniger als 1.500 Euro. 41,7 Prozent der Alleinerziehenden gelten statistisch als armutsgefährdet. Nur etwa jede vierte alleinerziehende Mutter arbeitet in Vollzeit. Rund 40 Prozent arbeiten in Teilzeit; mehr als 29 Prozent sind überhaupt nicht erwerbstätig.

Eine, die Frauen "wachrütteln" will, wie sie sagt, ist die Ahrensburger Anwältin Britta Bradshaw. Sie hält Vorträge zur finanziellen Abhängigkeit von Frauen und berät Betroffene. "Mein Rat ist: vorsorgen, vorsorgen, vorsorgen." Die Anwältin sagt, Frauen sollten in Beziehungen möglichst früh übers Thema Geld sprechen. Viele wüssten gar nicht, was ihr Mann verdient, selbst in langjährigen Partnerschaften. "Das finde ich total absurd."

Ahrensburger Anwältin: Keine wirkliche Gleichberechtigung

Die Ahrensburger Anwältin Britta Bradshaw sitzt in einem großen Büroraum an einem Tisch. © NDR Foto: Johannes Tran
Anwältin Britta Bradshaw erzählt, dass viele Frauen gar nicht wüssten, was ihre Männer verdienen. "Das finde ich absurd".

Bradshaw appelliert an Frauen, ihre finanzielle Absicherung stärker in die eigene Hand zu nehmen. Oft würden sie nach der Geburt des ersten Kindes in die klassische Rolle der Hausfrau und Mutter rutschen, selbst wenn sie eigentlich ein modernes Rollenverständnis hätten. "Es kommt nicht zu einer wirklichen Gleichberechtigung. Und das ist nicht nur die Schuld der Männer."

Marta Klaws, die Alleinerziehende aus dem Lübecker Vorort, sagt: Sie glaube daran, dass sie noch Karriere machen könne. "Ich habe ja noch mehr als zwanzig Jahre zu arbeiten. Und in der Zeit kann man vieles schaffen.“

Wenn ihre Kinder älter sind, will sie mehr arbeiten und so mehr Geld verdienen. Dann, so wünscht sie es sich, bestimmen die Existenzängste weniger ihren Alltag. "Ich möchte nicht nur in Sorgen leben", sagt sie. Sie findet, sie hat das Recht, glücklich zu sein. Auch als alleinerziehende Mutter.

*Name von der Redaktion geändert.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 26.04.2024 | 19:30 Uhr

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