Landwirtschaft: Sind Zertifikate für mehr Nachhaltigkeit eine Lösung?

Stand: 17.01.2024 05:00 Uhr

Mithilfe sogenannter Umweltzertifikate könnte die nachhaltige Transformation der Landwirtschaft vorangetrieben werden. Das ist eine Idee von der Uni Kiel. Der Bauernverband hat Zweifel an der Umsetzbarkeit.

von Fabian Boerger

Zu viele Regulierungen, kein auskömmlicher Verdienst - seit einer Woche bringen die Landwirte deutschlandweit ihren Unmut auf die Straße. Dabei bräuchten die Landwirte dringend eine richtige Weichenstellung, damit sie dem Paradigmenwechsel in der Agrarpolitik hin zu einer nachhaltigen Landnutzung gerecht werden können. Das sagt Christian Henning, Professor der Agrarpolitik an der Universität Kiel. Ihm zufolge komme da vonseiten der Politik bislang sehr wenig bis gar nichts.

In Berlin stehen bei einer Großkundgebung von Landwirten zahlreiche Traktoren, Lastwagen und Autos auf der Straße des 17. Juni. © dpa Foto: Monika Skolimowska
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Henning: "Symbolpolitik der kleinteiligen Regulierungen"

"Wir haben momentan eine Symbolpolitik, die kleinteilig Regulierungen formuliert, die nicht wirklich zielführend sind. Das heißt, sie erreichen die Steigerung der Ökosystem-Leistungen nicht", sagt Henning. Anreize für Landwirte, Klima- und Gewässerschutz oder Biodiversität zu fördern, gebe es kaum. Gleichzeitig würden Kosten und Arbeitsaufwand weiter steigen. Der Wegfall von Agrardiesel-Subventionen hätten das Fass nun zum Überlaufen gebracht, so Henning.

Zertifikate nach Vorbild des EU-Emissionshandelssystems

Professor Dr. Christian Henning, Agrarwissenschaftler an der Uni Kiel. © Uni Kiel Foto: Sven Janssen
Christian Henning ist Agrarwissenschaftler an der Uni Kiel. Seit rund zehn Jahren spricht er sich für Umweltzertifikate in der Landwirtschaft aus.

Aber wie ließe sie sich die Arbeit der Landwirte besser mit ökologischen Gesichtspunkten vereinen? Eine politische Lösung sieht der Agrarpolitik-Experte Henning in handelbaren Umweltzertifikaten nach Vorbild des EU-Emissionshandelssystem zur Bepreisung von CO2.

"Klimaschutz, Biodiversität, Wasserschutz sind Leistungen, die von Landwirten erbracht werden, indem sie durch eine bestimmte Art und Weise produzieren. Wenn man diese Leistungen zu Produkten macht, dann hat der Landwirt einen Anreiz, mehr von diesen Produkten - wenn die Bepreisung entsprechend ist - bereitzustellen", sagt Henning.

Anreize für Landwirte schaffen

Konkret würde das System so aussehen, dass Landwirte eine bestimmte Anzahl an Zertifikaten - zum Beispiel für eine entsprechende Menge Stickstoff - erhalten. Sparen die Landwirte diesen Stickstoff, indem sie effizienter düngen, könnten sie nicht genutzte Zertifikate weiterverkaufen und zusätzliche Erlöse erzielen. Das würde dazu führen, dass Landwirte motiviert würden, neue Technologien zu implementieren oder zu entwickeln, um nachhaltiger zu produzieren, so Henning.

Das Problem: Ökosystem-Leistungen seien nicht so marktfähig wie Fleisch oder Mehl. Henning: "Ich kann als Konsument nicht in den Laden gehen und sagen, ich hätte gerne ein Kilo Klimaschutz oder geben Sie mir noch drei Pfund Biodiversität." Daher brauche es besondere Mechanismen wie die Umweltzertifikate.

Diskussion auf theoretischer Ebene

Um tatsächlich ein Handelssystem dieser Art aufzubauen, brauche es allerdings eine Richtungsentscheidung auf Bundes- und EU-Ebene. Ob die kommt, ist momentan eher unwahrscheinlich. Aber es könnte nun Schwung in die Diskussion kommen: Durch die Proteste sei ein Punkt erreicht, so Henning, an dem die Politik die Chance habe, einen Schritt in Richtung Transformation der Landwirtschaft zu gehen. "Wichtig ist, dass jetzt, wo man die Signale hat, auch anfängt zu reagieren."

Gersteuer: "Die Idee ist bestechend"

Für Stephan Gersteuer, Generalsekretär des schleswig-holsteinischen Bauernverbandes, ist die Diskussion über Umweltzertifikate nicht neu. Die Idee sei bestechend, sagt er, weil es die Kräfte des Marktes wirken lasse. Aber, so Gersteuer, "der Teufel steckt im Detail". Eine Umsetzung ginge mit erheblichen Hürden einher.

So wäre es aus seiner Sicht wichtig, dass parallel zum Emissionshandel "das dirigistische Ordnungsrecht (viele staatliche Vorschriften und Regulierungen, Anm. d. Red.) zurückgefahren werden muss". Wenn beide Systeme gleichzeitig bestehen, würde das eine Doppelbelastung für die Landwirte bedeuten.

Zudem sei der Zertifikathandel schwer in allen Bereichen der Landwirtschaft anzuwenden. Durch regionale Unterschiede, zum Beispiel bei den Böden oder Erträgen, würde die Vergabe von Zertifikaten erschwert und der Handel mit ihnen könnte ein erhebliches Ungleichgewicht erzeugen.

Umsetzung abhängig vom Erfolg der Handelssysteme

Komplett abschreiben will Gersteuer den Vorschlag allerdings nicht. Für ihn hänge es vom Erfolg etablierter Handelssysteme - wie der CO2-Bepreisung auf EU-Ebene - ab. Gersteuer: "Wenn man beim ETS (Emissionshandel auf europäischer Ebene, Anm. d. Red.) und dem nationalen Emissionshandel Fortschritte sieht, dann kann ich mir das sehr gut vorstellen, dass man darüber nachdenkt, solche Instrumente einzuführen."

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 17.01.2024 | 07:00 Uhr

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