Kolumne: Warum werdet ihr nicht alle Handwerker?
Wir haben zwei Küsten, zwei Meere und zwei große Probleme, was unseren Nachwuchs angeht. Es geht um die Qualität von Bildung und, ja, um Fachkräftemangel. Unsere Kolumnistin schaut sich die Abi-Noten und die Tausenden unbesetzten Ausbildungsplätze an und fragt: Warum werdet ihr alle nicht Handwerker?
Selbst nicht mit einem Einserabi gesegnet, ringt mir der schlechte Abischnitt unserer Abiturientinnen und Abiturienten dieses Jahr nur ein müdes Lächeln ab. Zwar haben Schleswig-Holsteins Abiturienten 2024 mit einem Durchschnitt von 2,47 die schlechteste Abinote im bundesweiten Vergleich. Aber zumindest haben sie Abi, oder? Neben ein paar anderen vermeintlichen Meilensteinen, die einen gesellschaftlich "wertvoll" machen(Auto, Haus, Kinder) gilt das Abitur auch als angebliches Qualitätssiegel für das so mancher durchs Schulsystem getrieben wird wie ein Hund mit drei Beinen durch den Park. Das Problem: Eine schlechte Abinote wirkt sich fatal auf die Studienplatzchancen aus und fürs Studium hat man den Abschluss doch überhaupt erst gemacht, oder?
Das Problem sitzt tiefer
Viele der frischgebackenen Abiturienten stehen mit ihrem Abschluss in der Hand da, wie bestellt und nicht abgeholt. Und das sind sie ja irgendwie auch: Die Entwicklung in den letzten Jahrzehnten hat zur sogenannten Bildungsinflation geführt, bei der ein Abitur immer weniger als Ausnahme gilt, sondern als Norm. Im Vergleich: Während in den 50er-Jahren nur etwa fünf bis sechs Prozent eines Jahrgangs das Abitur machten, stieg dieser Anteil bis in die 70er-Jahre auf etwa 20 Prozent. Bei uns in Schleswig-Holstein machten dieses Jahr etwa 31 Prozent der Schulabgänger Abi.
Trend zur Akademisierung verschärft Probleme
Der gestiegene Anteil an Abiturientinnen und Abiturienten hat somit auch den Wettbewerb um Studienplätze und Berufe verschärft und teilweise zu einer Entwertung des Abiturs geführt. Die Leidtragenden auf der einen Seite: die Jugendlichen selbst. Auf der anderen: die Betriebe. In Schleswig-Holstein blieben zum Beginn des Ausbildungsjahres 2024 über 7.300 Ausbildungsplätze unbesetzt, insbesondere in den Bereichen Einzelhandel, Elektronik und Handwerk. Die Schlagzeilen ähneln sich seit Jahren: Unternehmen suchen dringend nach Nachwuchs. Kann man da nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen? Eine Großoffensive starten: Ausbildung statt Abi? Lieber Handwerker als leere Hände?
Direkt Geld verdienen statt kleines Azubi-Gehalt
Zudem läuft parallel noch ein Trend: Immer mehr junge Leute steigen direkt ins Berufsleben ein - ohne formale Ausbildung. Fast drei Millionen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren in Deutschland haben keinen Berufsabschluss. Und wem kann man es verübeln? Dazu funktioniert der Mythos des Langzeitstudenten, der sich faul und von BAföG finanziert durch seine Semester schlawinert immer noch ziemlich gut. Allein aus meinem Umfeld kenne ich viele, die darum den Grundsatz hatten: Erst einmal Abi schaffen und dann irgendwo einschreiben. Hauptsache man "hat" was. Dass von denen dann etliche später das Studium abbrachen, um doch eine Ausbildung zu machen - nicht überraschend. Der Tenor: Sie wären viel besser dran gewesen, gleich eine Ausbildung gemacht zu haben.
Hoffnung in Sicht
Aber die Situation ist nicht verloren: In Pflegeberufen, Handwerksberufen und einigen Industrieberufen wurden bei uns in den letzten Jahren die Ausbildungsgehälter stetig erhöht. Gleichzeitig müssen die grundlegenden Probleme des Bildungssystems angegangen werden. Mehr Chancengerechtigkeit, zum Beispiel um den Abiturienten einen fairen Start ins Leben zu ermöglichen. Zudem müssen Jugendliche für dringend benötigte Berufe begeistert werden. Eine neue Maßnahmen aus unserem Land macht dabei Hoffnung: diePrämie für Praktika in Handwerksbetrieben. Der Beginn einer Großoffensive ist das vielleicht nicht, aber Schüler bekommen damit zumindest ein Gefühl für "anpackende" Berufe und eine Perspektive auf die große Frage: Wohin mit sich?