Wie Speed-Dating gegen den Fachkräftemangel helfen soll
Überall herrscht Fachkräftemangel. Gleichzeitig haben 18 Prozent der 20 - 34-Jährigen in Schleswig-Holstein keinen Berufsabschluss. Beim Azubi-Speed-Dating können Jugendliche der Gottfried-Semper-Schule in Barmstedt zwei Betriebe pro Stunde kennenlernen.
Anstatt wie gewöhnlich im Unterricht zu sitzen, folgen sie an diesem Morgen Bendix Piepenhagen durch den kleinen Baumarkt, der zur Tischlerei Piepenhagen dazugehört: zehn Schülerinnen und Schüler der Gottfried-Semper-Schule in Barmstedt (Kreis Pinneberg). "Hier haben wir unsere Latten und Leisten", erklärt der Juniorchef und geht dann weiter in einen Raum mit Fenstern und Türen. Unter den Schülern ist auch Milan Stegers. Er besucht die neunte Klasse, macht nächstes Jahr seinen Abschluss. Aber was er danach machen möchte, weiß er noch nicht. Nur, dass es etwas handwerkliches sein soll, erzählt er. "Im Büro sitzen ist nichts für mich."
Zwei Betriebe in zwei Stunden
Insgesamt 190 Schülerinnen und Schüler und 15 Betriebe in der Nähe machen mit. Von der Verwaltung im Rathaus über die Milchwirtschaft in der größten Meierei des Landes bis zur Energieversorgung der Stadtwerke - jeder Schüler hat die Chance, in zwei Betriebe reinzuschnuppern. Die Idee entwickelt haben der Handels- und Gewerbeverein und die Schule vor fünf Jahren, damit die Schüler die Betriebe vor Ort kennenlernen. "Hier gibt es ganz viele Möglichkeiten", erzählt Lehrerin Maren Nerlich, die an diesem Morgen mit dabei ist. "Beim Praktikum suchen sich die Schüler oft Betriebe aus, die sie schon kennen."
"Ich dachte, als Tischler würde man nur Bretter schneiden"
In der Tischlerei Piepenhagen demonstriert der Juniorchef jetzt, wie leicht es ist, ein gewöhnliches Fenster zu öffnen. Und wie man eine aufgebrochene Tür repariert. Neben dem Bau von Möbeln gehöre das hier zu den Aufgaben, erzählt er. "Deshalb unterstützen wir nach Einbrüchen oft die Polizei bei ihrem Einsatz." Das wusste vorher noch keiner der Schüler. "Ich dachte, als Tischler würde man nur Bretter schneiden", sagt Milan. "Dass der Beruf so vielseitig ist, hätte ich nicht gedacht." In der Werkstatt dürfen sich danach alle an Säge und Hobel probieren, während der Geselle ihnen mehr über Gehalt und Aufstiegschancen erzählt.
Seit vier Jahren keine Bewerber mehr
Viele Informationen - in nur einer Stunde. Milan Stegers kann sich jetzt gut vorstellen, sich nach der Schule tatsächlich bei der Tischlerei Piepenhagen zu bewerben. Erst einmal geht es für ihn jetzt weiter - zur "Provinzial"-Versicherung. Eine andere Schülergruppe besucht währenddessen die "Mobile Häusliche Altenpflege" im Ort. Hier hat sich seit vier Jahren niemand mehr für einen Ausbildungsplatz beworben. Zusammen mit dem Geschäftsführer, einigen Mitarbeitenden und älteren Herrschaften, die hier die Tagespflege besuchen, bilden sie einen Stuhlkreis. Unter ihnen auch Schülerin Anni Klaws: "Ich bin mir noch unsicher, was ich nach der Schule machen möchte", sagt die 15-Jährige. "Ein bisschen nervös macht mich das schon. Weil der Abschluss immer näher rückt."
In einer Stunde können die Schüler zwar noch nicht mit anpacken, aber einen ersten Eindruck gewinnen. Vom Tagesablauf und den zukünftigen Kollegen. Das Fazit nach einem Vormittag Azubi-Speed-Dating: Viele Schülerinnen und Schüler haben eine klarere Vorstellung für ihre berufliche Zukunft. Und Betriebe, die auf mehr Bewerbungen im Sommer hoffen können - eine Win-win-Situation.