Feldarbeit statt Party: Wie ein Azubi den Start seiner Ausbildung erlebt
Mitte Juli hat das neue Ausbildungsjahr bei den Landwirtschaftsbetrieben in Schleswig-Holstein begonnen. Während viele Betriebe noch Nachwuchs suchen und offene Stellen haben, ist auf dem Milchviehhof der Familie Gravert in Lindau ein neuer Azubi schon voll im Einsatz.
Henry Pommerehne schiebt das Kalb immer wieder mit sanftem Druck an den Eimer mit der Muttermilch, der sogenannten Biestmilch. Doch statt am Kunstnuckel saugt das gerade mal zwei Tage alte Tier energisch am Finger des Azubis. Es dauert einige Minuten, bis es endlich aus der Eimertränke säuft. "Das ist manchmal ein ganz schöner Krampf und kann bis zu einer halben Stunde dauern", sagt er.
Auf dem Milchhof Gravert in Lindau (Kreis Rendsburg-Eckernförde) kommt gerade fast jeden Tag ein Kälbchen zur Welt. Es gehört zu Henrys Aufgaben, darauf zu achten, dass die Kälber ausreichend trinken. Vorher muss er sie an den Kunstsauger gewöhnen.
Azubi sattelt von Schweinen auf Kühe um
Der 18-jährige Abiturient aus Mecklenburg-Vorpommern kennt sich mit Schweinen besser aus. Seine Familie hat einen Landwirtschaftsbetrieb in der Nähe von Teterow mit 750 Hektar Ackerbau, einer Biomethan-Produktion und einer Welszucht, um die Abwärme zu nutzen. An die Kühe musste er sich allein schon wegen ihrer Größe gewöhnen, wie er sagt.
Seit mittlerweile gut drei Wochen ist Henry in der Ausbildung zum Landwirt im Familienbetrieb Gravert. Der liegt etwa dreieinhalb Autostunden von seinem Zuhause in Teterow in Mecklenburg-Vorpommern entfernt.
Eine Ausbildung weit weg vom Heimatort
Alles andere als ein Katzensprung, aber er hat den Betrieb trotzdem ausgewählt: "Ich wollte ein bisschen was anderes von Deutschland sehen und auch andere Kulturen, anderen Boden im Ackerbau. Und da ich in der Ausbildung was mit Tieren machen muss, habe ich mir gesagt, dass ich was mit Kühen machen will. Und Schleswig-Holstein ist ja auch bekannt für die Kuhzucht." Den Betrieb in Lindau entdeckte Henry auf dem Portal der Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Wenig später hat er den Hof gemeinsam mit seinem Vater besucht, danach fiel seine Entscheidung schnell.
Azubi aus MV mit Vorkenntnissen
Im Familienbetrieb der Graverts sind Azubis mit praktischen Vorkenntnissen wie Henry sehr willkommen. "Natürlich haben wir auch Azubis ganz ohne praktische Erfahrungen in der Landwirtschaft", sagt Betriebschef Timo Gravert. "Da fangen wir natürlich anders an als bei Henry, der nach drei Wochen auf dem Hof schon die Drillmaschine fahren darf."
Die Brüder Gravert führen den Milchviehhof mit etwa 300 Rindern und 650 Hektar Ackerland gemeinsam mit ihren Familien. Vor Kurzem ist ihr Betrieb von der Landwirtschaftskammer für beispielhafte Tierhaltung ausgezeichnet worden.
Familienanschluss ist bei Azubis ein Pluspunkt
Auf dem Hof gibt es derzeit drei Auszubildende, zwei aus der Gegend um Dithmarschen und eben Henry. Timo Gravert hat seit 2008 insgesamt etwa 45 junge Männer und Frauen ausgebildet. "Die letzten Jahre hatten wir fast immer auch einen Azubi aus Mecklenburg-Vorpommern", sagt der Landwirt und erklärt sich das unter anderem damit, dass "in Mecklenburg die Betriebe noch größer sind und der Familienanschluss vielleicht nicht so gegeben ist." Von daher kämen viele junge Leute gern nach Schleswig-Holstein.
"Super Mario" nach der Feldarbeit
Und tatsächlich punktet sein Betrieb auch bei Henry mit dem Familienanschluss. Der 18-Jährige sitzt zu den Mahlzeiten mit der Familie an einem Tisch, hat ein eigenes Zimmer mit Schreibtisch und Fernseher. "Ich hab ja hier noch die anderen beiden Lehrlinge. Abends gucken wir manchmal ein bisschen Fernsehen, schauen Filme oder wir spielen alle zusammen auf der Wii Super Mario. Jetzt im Sommer ist ja auch Pause mit den Sommerpartys, weil alle Bauern keine Zeit haben", sagt Henry. Allein sei er hier also nach der Arbeit nicht - obwohl es auch gut sei, "einfach mal für eine Stunde die Beine hochzulegen".
Alle zwei Wochen geht´s nach Hause
Henry bekommt monatlich 905 Euro brutto, davon zahlt er rund 300 Euro für Unterkunft und Verpflegung. Alle vierzehn Tage fährt er nach Hause zu seiner Familie in Mecklenburg-Vorpommern. Früher, als er noch zur Schule ging, spielte Henry auch Fußball und Schlagzeug in einer Band. Das gehe jetzt natürlich nicht mehr. Aber es seien nach dem Abi sowieso viele seiner Freunde aus der Heimat weggegangen für Studium oder Ausbildung.
In zwei Jahren ist Henry Landwirt
Grubbern, Gülle ausfahren, drillen, ausmisten, füttern, Fieber messen bei den Kühen, die frisch gekalbt haben, Protokolle führen, die Digital-Technik auf dem Hof kennenlernen, Kälber an die Tränken gewöhnen, Streu in den Boxen verteilen, Trecker fahren: All das gehört für die nächsten zwei Jahre zu Henrys Alltag. Ab September geht es zusätzlich einmal die Woche in die Berufsschule nach Rendsburg.
Nach der Ausbildung zum Landwirt, die Henry wegen des Abiturs verkürzen kann, will er Agrarwirtschaft studieren. Und für später hat er sich vorgenommen, den Betrieb seiner Familie in Mecklenburg-Vorpommern zu übernehmen.