Kolumne: Unbeabsichtigt im Internet-Hype "Winter Arc"
Bei Chaos im Außen mehr im Innern leuchten - ein Ziel. Doch wo liegt die Grenze zwischen Selbstfürsorge und Optimierungswahn? Unsere Kolumnistin fragt sich das und landet versehentlich im TikTok-Trend.
Schon Anfang November kam bei mir ein verrückter Gedanke von "Selbstreinigung" auf. Irgendwie fühlte ich mich so übersättigt von allem. So als hätte ich mich monatelang von Fast Food ernährt - aber auf allen Ebenen: beziehungstechnisch, in Freundschaften, im Feierabend. Hier die unverbindlichen Treffen, da nur noch Sprachnachrichten und Likes auf Instagram mit den besten Freundinnen und abends das hirnverbrannte Serien schauen und nebenher auf Social Media scrollen. Man kennt's. Uff, mich überkam ein regelrechtes Ekelgefühl und ich begann mit meinem "Fast-Food"-Zölibat. Zwei Monate später weiß ich, ich war nicht allein. Ich war im Trend. Ich war im "Winter Arc".
Die gesündeste, stärkste und fitteste Version meiner selbst
"Winter Arc"? Als ich meine Kollegen bei der Recherche für diesen Text frage, ob sie mit dem Begriff etwas anfangen können, blicke ich in leere Gesichter. Mir ging es zugegebenermaßen ähnlich - aber dann hatte ich ja auch die Legitimation, einen Internet-Hype nicht zu kennen: Ich war ja seit November auf Scroll-Enzug gewesen! Und ich bin alt. Zumindest zu alt für diesen Trend, der seit Oktober TikTok und die Fitness-Bubble der Generation Z flutet. Kurze Begriffsdefinition: Es geht darum, dass Teilnehmer des "Winter Arc" statt ins Winterloch zu fallen, von Oktober bis Januar an ihrem 'besten Selbst' arbeiten sollen. Früh aufstehen, mehr Sport, mehr Lesen, gesünderes Essen. Alles - um dann, wenn alle anderen mit ihren Neujahrsvorsätzen um die Ecke kommen, schon 'da zu sein'!
Trendopfer ohne es zu wollen
Ein Kumpel von mir, gute zehn Jahre jünger, erzählte mir in einem Nebensatz von seiner "Winter Arc", die er gerade macht, und brachte mich überhaupt darauf, den Begriff zu googeln. Was ich fand, reichte von Tipps - "Disziplin statt Erntedank", "pumpen statt pumpkin spice" - bis hin zu durchtrainierten Fitnessgöttern, die sich vor laufender Kamera die Haare rasieren (der "Buzz Cut" ist anscheinend DIE Winter-Arc-Frisur!). Als ich las, dass Ablenkungen eliminiert werden sollen und auf Social Media und sogar Dating verzichtet werden muss, keimte in mir plötzlich eine Ahnung auf. Habe ich unwissentlich die "Winter Arc" gemacht? War mein naiver Gang ins Fitnessstudio, den ich seit November extrem hochgeschraubt habe, Teil einer Bewegung? Bin ich ein Trendopfer, ohne es zu wollen?
Durchgereinigt und hochmotiviert
Klare Antwort: Ja. Stolz kann ich behaupten, mich nach zwei Monaten, geprägt von Selbstdisziplin, Schweinehund-Überwindungen, Telefonaten statt Sprachnachrichten, Büchern statt Social Media und Sport statt Komfort, irgendwie gereinigt zu fühlen. Ich habe das Gefühl, einen guten Bogen zwischen Selbstfürsorge und Optimierungswahn geschlagen zu haben. Und weil das 'Arc' in "Winter Arc" im Englischen für "Bogen" steht, was metaphorisch für Transformation und Entwicklung steht, und ich mich ja tatsächlich "weiterentwickelt" fühle - beste Version und so - kann ich mich auch damit anfreunden, voll im Trend zu sein.