Ein Mann sitzt an einem Tisch voller geschreddertem Papier. © picture alliance / Zoonar Foto: Elnur Amikishiyev

Kolumne: Warum ist alles immer so "unfassbar stressig"?

Stand: 02.11.2024 15:20 Uhr

Er ist unsichtbar, gefährlich und leider ein allgegenwärtiger Teil unseres Lebens geworden: Stress. Unsere Kolumnistin fragt sich, warum wir Stress nicht nur hinnehmen, sondern ihn oft sogar glorifizieren?

von Stella Kennedy

Am vergangenen Wochenende habe ich mich mit Freundinnen getroffen. Wir sprachen über unser Leben als berufstätige Mütter und kein Wort fiel häufiger als "stressig". Mir ist im Nachhinein aufgefallen, dass es uns gar nicht mehr wundert, unsere Lebensumstände so zu bewerten. Dass etwas "unfassbar stressig" ist, ist vollkommen normal geworden. War das schon immer so? Haben meine Großeltern auch so über ihren Alltag gesprochen? Sind wir komplett wohlstandsverwahrlost, lieben es zu jammern, oder ist am Dauerzustand Stress wirklich etwas dran? Und seit wann gibt es den eigentlich?

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Früher war Stress weniger als "Alltagsphänomen" bekannt

Absolut spannend fand ich es, bei meiner Recherche herauszufinden, dass der Begriff "Stress" als solcher relativ neu ist. Obwohl das Konzept in der Medizin schon vorher existierte, wurde es nicht unter dem Namen "Stress" bezeichnet. Erst Hans Selye (1907-1982), ein österreichisch-kanadischer Mediziner, der in den 30er-Jahren mit seinen Forschungen begann, etablierte Stress als grundlegendes Konzept. Er argumentierte, dass Stress zu einer Vielzahl von Krankheiten beitragen kann, darunter Bluthochdruck und Magengeschwüre. In der Gesellschaft der letzten Jahrhunderte wurde Stress dabei oft nicht als eigenständiges Phänomen anerkannt. Stattdessen sprach man häufig von Überlastung, Anspannung oder beruflicher Verantwortung. Hans Selye wird oft folgendermaßen zitiert, um sein Lebenswerk zusammenzufassen: "Ich habe allen Sprachen ein neues Wort geschenkt - Stress."

Stress als Statussymbol

Logischerweise steht der Begriff im Zusammenhang mit der zunehmenden Urbanisierung und dem Wandel zur leistungsorientierten Gesellschaft. Zudem: "Stress" hat auch viel mit der Wahrnehmung von Zeit - beziehungsweise dem gefühlten Mangel daran - zu tun, und natürlich mit dem Aspekt der Produktivität. Ich würde sogar behaupten, dass es eine richtige Kultur der Stressglorifizierung gibt. In den vielen Gesprächen, die ich zwischen Arbeit, KiTa, Schule und Zuhause führe, wird Stress oft quasi als Auszeichnung für Produktivität und Engagement angesehen. Das achselzuckende "Naja, muss ja" schwingt dann zwar immer mit, aber im Grunde ist jeder auch ein bisschen stolz auf den "workload", auf das Gefühl 'gebraucht zu werden' (und ich nehme mich davon nicht aus). Wie verrückt ist das eigentlich, oder?

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Stress als unsichtbarer Killer

Die Stressglorifizierung, die mit der absoluten Abwertung arbeitsloser Menschen einhergeht - Stichwort Hartz IV - ist gefährlich. Nicht ohne Grund wird Stress als "unsichtbarer Killer" bezeichnet. Er hat erhebliche, aber zunächst unerkannte Auswirkungen auf unsere physische und psychische Gesundheit. Stress und Depressionen zum Beispiel sind eng miteinander verknüpft. Chronischer Stress kann das Risiko für Depressionen erhöhen, da er unser Gehirn und Hormonsystem beeinflusst. Anhaltender Stress steigert die Produktion von Cortisol, einem Stresshormon, das in hohen Mengen negative Auswirkungen auf die Stimmung und das psychische Wohlbefinden haben kann.

Von "unfassbar stressig einfach" zu "wird krass, aber gut"

Ich glaube einfach, dass es, wie bei so vielem, einfach darum geht, mehr Achtsamkeit in unser alltägliches "Vorsichhinrotieren" zu bringen. Wenn man sich zum Beispiel wirklich bewusst macht, wie schädlich Stress ist, könnte man motivierter sein, die eigenen Muster zu überdenken. Dabei ist wichtig, sich mit der eigenen Erwartungshaltung auseinanderzusetzen. Nach dem Motto: "MUSS ich das wirklich alles schaffen?". Und auch die "Eigenschaft" Perfektionismus ist kein angeborenes Urteil, sondern meist ein durch Sozialisierung erlerntes Verhalten, das man durchaus kontrollieren und anpassen kann.

Aber: Auch positiven Stress gibt es, den sogenannten "Eustress". Im Gegensatz zum "Distress" beflügeln einen dabei die ausgeschütteten Hormone und setzen Kräfte frei. Also von "unfassbar stressig einfach" zu "wird krass, aber gut!". Schlussendlich sollten wir uns einfach immer wieder klarmachen: Ich bin meines eigenen Glückes Schmied - und nicht der "Burnout-Schmied".

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