Kolumne: Die Grenzen meiner Sprache...
Erst kürzlich wurde mit "Tauversicht" - Zuversicht - das Plattdeutsche Wort des Jahres 2024 gekürt. Sprache und ihre Variationen sind auch hier im Norden ein Thema. Unsere Kolumnistin schaut sich aktuell häufig verwendete Begriffe an und findet: Die sollten uns eigentlich zuversichtlich stimmen!
Als ich während meiner Recherche für diesen Text auf das Plattdeutsche Wort des Jahres 2024 stieß, musste ich unwillkürlich lächeln. "Tauversicht", also Zuversicht, das ist doch einfach nur schön. Vor allem, dass es sich das Siegerpodest mit dem Wort des Jahres: "Krisenmodus" teilt, was ja in etwa das Gegenteil impliziert. Tauversicht ist dabei das nötige Gegengewicht, auf das wir uns im Krisenmodus besinnen müssen. Ein Hoch auf die Zuversicht! Aus Schlagwörtern und sogenannten Kampfbegriffen oder generell Worten, die in den Fokus gerückt werden, können wir Rückschlüsse ziehen auf die gesellschaftliche Stimmung - auch abseits vom Krisenmodus.
Was war zuerst: Der Kampfbegriff oder der Kampf?
Wir Medienschaffenden werden zu Recht kritisiert, mit "Kampfbegriffen" gesellschaftliche Diskussionen anzuheizen. Im vergangenen Jahr fiel mir zum Beispiel der Begriff "Kulturkampf" auf, mit dem Debatten zu Elektroautos, Windrädern oder sogar Plattdeutsch am Theater beschrieben wurden.In meiner Kolumne appellierte ich an die Achtsamkeit bei der Wortwahl - gerade von uns Journalistinnen und Journalisten. Denn ja, Sprache formt Realität. Und zumindest beim Kulturkampf sollte es nicht zur selbsterfüllenden Prophezeiung kommen. "Niemand will einen wirklichen "Kulturkampf" und Polarisierung führt zu Radikalisierung", schrieb ich. Mittlerweile hat sich das leider bestätigt.
Von Remigration bis Cancel Culture
Vom "Geheimplan gegen Deutschland"-Treffen in Potsdam, bei dem rechte Kräfte Pläne für eine "Remigration" (übrigens das aktuelle"Unwort des Jahres") von Menschen nichtdeutscher Herkunft diskutierten, über Sylt bis zur Europa-Wahl: Die Radikalisierung findet statt. Oft getarnt unter dem Deckmantel "Das wird man doch noch sagen dürfen". Dabei ist genau das doch der Punkt: Wir leben nicht in einer Diktatur, wir haben keine "Sprachpolizei" und bis auf strafrechtlich relevanten Mist darf ja jeder sagen, was er will! Die vermeintliche "Cancel Culture", in der unerwünschte Personen aus der Öffentlichkeit verbannt werden, steht eigentlich auch nur für einen Prozess, der längst überfällig war und nun endlich einen Namen bekommen hat.
Viele neue Perspektiven als Geschenk
Das bringt mich zu meinem eigentlichen Punkt: Schon immer hat es in Gesellschaften Prozesse gegeben, die mittels Sprache beschrieben wurden. Früher hätten wir statt "canceln" vielleicht gesagt, "jemand gehört geteert und gefedert". Auffallend ist aber trotzdem, dass wir durch die immer noch relativ neuen Plattformen im Netz Debatten auf ganz neue Weise führen. Allein der niedrigschwellige Zugang zu diesen digitalen Markplätzen, aka Kommentarspalten, in denen sich jede und jeder an der Diskussion beteiligen kann, schenkt uns viele neue Perspektiven auf die Welt. Ein Ergebnis: Neue Begriffe im "Volksmund". Und zwar in der Sprache des Internets: Englisch.
Das Kind trägt einen neuen Namen
Vergangene Woche zum Beispiel produzierte ich für unser Schleswig-Holstein Magazin einen Beitrag über den Mental Load. Ein "Modewort", das sich im Kontext von Familie und Arbeit zwar immer mehr etabliert, den meisten meiner Interviewpartnerinnen und Partner aber noch "gar kein Begriff" war. Wortwörtlich ist es die Last im Kopf, also an alles zu denken, woran gedacht werden muss. Das Gespräch über diesen Prozess der ungleichen Arbeitsteilung im Familienleben (statistisch tragen in den meisten Fällen die Frauen diesen "Load") ist neu. Das Problem nicht.
Wie bei der Cancel Culture ist es also eine neue Debatte zu einem altbekannten Problem, das noch keinen Namen hatte. Folglich gilt wie seit jeher: Um eine Sache direkt zu benennen, muss man das Kind beim Namen nennen. Sprache heißt Wandel, Sprache ist lebendig. Ludwig Wittgenstein sagte: "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt." Mithilfe neuer Begriffe verschieben wir somit unsere eigenen Grenzen. Heißen wir sie also willkommen, diese neuen Begriffe und die daran gehängten Debatten, und behandeln sie achtsam.