Wahrheit, Zensur, Propaganda - Die Medien und der Krieg Teil 2
Anmoderation
PATRICIA SCHLESINGER:
Es gilt, was für alle Kriege gilt: Es ist auch ein Kampf der Worte und Gerüchte. Eine Schlacht um die richtige - die richtige Deutung des Geschehens. Greuel-Geschichten über den Feind gehören zur Ökonomie der Kriegsführung. Und noch mal: Was ist Wahrheit? Was passiert im Kosovo wirklich? Bilder, Nachrichten, viele Informationen. Aber wissen wir zum Beispiel tatsächlich, was gestern mit dem Flüchtlingstreck geschah? Die öffentliche Meinung gewinnt den Krieg, das hat schon General Eisenhower 1940 erkannt. Deshalb wird zur Zeit suggeriert, manipuliert, zensiert - und natürlich auch schamlos gelogen, für’s Vaterland, den Bündnispartner, für die als richtig erkannte Sache. Politik und Militär brauchen die Medien, benutzen sie. Und wie gehen die Redaktionen in Deutschland damit um?
Meine Kollegen berichten über Medien und Politik im Krieg.
KOMMENTAR:
Krieg im Kosovo, Hektik in Hamburg, in der ARD-Nachrichtenzentrale, wenige Minuten vor einer Tagesschau. Fast jeden Tag Sondersendungen zum Krieg, rund um die Uhr. Nachrichten stehen hoch im Kurs, die Berichterstattung aber ist schwierig.
Zensur und Propaganda werden zum Feind der Wahrheit, auch in Belgrad. Zwar hat die ARD dort einen Korrespondenten, doch seine Möglichkeiten sind begrenzt.
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HELGA KIPP-THOMAS:
(ARD-aktuell)
"Selbst das wenige Material, das unser Korrespondent in Belgrad jetzt zur Zeit drehen kann - er hat so ganz eingeschränkte kleine Drehzeiten - muß man einordnen, denn er kann sich nicht frei bewegen, er kann nicht das drehen, was er will, sondern ihm wird gesagt: Das Motiv ist jetzt frei, da kannst du drehen."
KOMMENTAR:
In Belgrad sitzen die Reporter oft stundenlang im Haus der jugoslawischen Armee, warten auf ihren Kriegspresseausweis. Aber die meisten Anträge werden sowieso abgelehnt. Die Zerstörungen bekommen die Journalisten auf Pressereisen präsentiert - mit Aufpasserin. Tote Soldaten gibt es nicht, zumindest nicht als Bild.
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KLAUS BRESSER:
(ZDF-Chefredakteur)
"Es ist offenbar das Interesse aller Seiten, vor allem die eigenen Opfer nicht zu zeigen. Deshalb sehen wir durch eine gesteuerte Propaganda-Maschinerie, sehen wir wenig von dem, was der Krieg wirklich ist."
KOMMENTAR:
Auch nicht auf den Bildern, die die Nato täglich zeigt. Der chirurgisch saubere Einschlag, ohne Blut, wie hier bei dem versehentlichen Treffer auf eine Eisenbahn.
Kurz vor 12 Uhr bei der Tagesschau. Von dem Nato-Treffer auf die Eisenbahn gibt es erste Bilder, erschütternde Szenen. Aber nicht jeder Schrecken soll und kann dem Publikum zugemutet werden.
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JOSEF SCHMIT:
(ARD-aktuell)
"Also, das wäre zum Beispiel gerade etwas, was wir da hatten im Bild, was wir nicht zeigen können.
Also das kann man zeigen, das kann man zeigen, das geht auch noch. Und dann kommt eine Einstellung, die fand ich für die ‘12’ dann schon too much. Also das ist eine verkohlte Leiche, die da rausgehievt wird, selbst wenn es eine kurze Einstellung ist. Auch die wollte ich nicht drin haben."
KOMMENTAR:
Die Bilder aus dem Kriegsgebiet. Kein Journalist weiß genau, wann und wo sie entstehen. In den Nachrichten werden sie deshalb mit der Einblendung "Serbisches Fernsehen" gekennzeichnet.
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MARTIN LÖFFELHOLZ:
(Medienwissenschaftler)
"Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Wir wissen aus einschlägigen empirischen Untersuchungen, daß die Bilder gerade in Fernsehbeiträgen ganz dominant sind, das heißt: in ihrer Wirkung viel höher einzuschätzen sind als die Worte. Insofern ist es in der Tat wichtig, welche Bilder von Fernsehanstalten ausgestrahlt werden. Und es ist in der Tat problematisch, wenn Bilder aus dem serbischen Fernsehen übernommen werden, ohne dies sehr eindrücklich kenntlich zu machen. Ich glaube, daß eine kleine Unterzeile, daß diese Bilder aus dem serbischen Fernsehen stammen, bei problematischen Bildern nicht unbedingt ausreicht."
KOMMENTAR:
Milosevics Propagandamaschine oder die Nato - die Informationsquellen für die täglichen Nachrichten sind nicht sicher, die Recherchemöglichkeiten der Journalisten begrenzt.
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HARTMANN VON DER TANN:
(ARD-Chefredakteur)
"Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit. Alle versuchen, mit den Waffen der Information oder der Desinformation zu arbeiten, auch die Nato. Und demgemäß muß man sich eben sehr zurückhalten, sehr kritisch sein und das, wovon man nicht völlig überzeugt ist, daß es authentisch ist, wenn man es denn überhaupt meldet, relativieren, muß sagen: Das haben wir da und da her, und es kann stimmen."
KOMMENTAR:
Oder auch nicht, wie die tägliche Pressekonferenz der Nato zuweilen zeigt.
Am 29. März berichtete ein Nato-Sprecher von der Hinrichtung führender Intellektueller aus dem Kosovo.
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DAVID WILBY: (Übersetzung)
(Nato-Sprecher)
"Verläßliche Quellen haben uns berichtet, daß Fehmi Agahni, ein führendes Mitglied der Kosovo-Delegation in Ramboillet, am Sonntag hingerichtet worden ist. Mit ihm sind vier weitere Intellektuelle aus Pristina umgebracht worden."
KOMMENTAR:
Eine Falschmeldung, wie sich kurze Zeit später herausstellte. Die für tot erklärten Intellektuellen treten in Bonn vor der Bundespressekonferenz auf, eingeladen von der Bundesregierung als Referenten des Mordens im Kosovo. Die Informations-Panne geht im Medientrubel unter.
Die andere Seite: Das serbische Fernsehen meldet vor wenigen Tagen, 1.500 deutsche Soldaten seien nach Griechenland desertiert. Die Moderatorin sagt, daß die Deutschen als Teil der "verbrecherischen Nato-Streitkräfte" in Mazedonien stationiert waren. Diese Meldung ist eine schlichte Propagandalüge.
Bilder aus dem serbischen Fernsehen lügen immer, meint Bundesverteidigungsminister Scharping und regt sich darüber auf, daß solche Aufnahmen in deutschen Nachrichten überhaupt gezeigt werden.
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RUDOLF SCHARPING:
(Bundesverteidigungsminister)
".... wo brennende Häuser, Fabriken oder anderes gezeigt werden, wo ich leider Gottes seriöse Information darüber habe, daß diese Bilder schon vor einem Jahr über das serbische Fernsehen gelaufen sind."
KOMMENTAR:
Rudolf Scharping präsentiert lieber seine eigenen Bilder. Tote auf diesem Video sollen die Grausamkeit des Kriegsgegners demonstrieren. Doch woher die Bilder stammen, wer sie aufgenommen hat und unter welchen Umständen, das ist bis heute nicht geklärt. Auch Rudolf Scharping weiß es nicht.
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HARTMANN VON DER TANN:
(ARD-Chefredakteur)
"Das Grundproblem bleibt halt: Die Wahrheit ist eigentlich immer nur die ganze Wahrheit, und die ganze Wahrheit können wir nicht berichten, weil wir eben nicht in den Kosovo rein können, weil wir uns in Jugoslawien nicht frei bewegen können. Da haben wir einen blinden Fleck, aber mit dem müssen wir leben, so gut wir können."
KOMMENTAR:
Und so bleiben die Erfahrungen der Flüchtlinge die einzige Informationsquelle aus dem Kosovo. Journalisten und Politiker müssen sich darauf verlassen. Die Wahrheit wird zur Wahrscheinlichkeitsrechnung. Wenn drei Aussagen von Flüchtlingen übereinstimmen, sagt die Bundesregierung, dann war es so und nicht anders. Das ist die Grundlage für den gerechten Krieg, Zweifel sind nicht erlaubt.
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RUDOLF SCHARPING:
(Bundesverteidigungsminister)
"Das ist dann eine unzuverlässige Quelle, wenn man ein nackter Zyniker ist und unterstellt, daß eine sechzigjährige Frau einem vorschwindeln wollte, ihre Söhne seien neben ihr stehend erschossen worden."
KOMMENTAR:
Wahrheit, Zensur, Propaganda - im Internet kann man das schon lange nicht mehr auseinanderhalten. Die Homepage des US-Verteidigungsministeriums, hier sind die schönsten Treffer der US-Bomber jederzeit abrufbar - als Homevideo.
Aber die Nato mußte bereits schwere Verluste hinnehmen, zumindest im Internet.
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JAMIE SHEA: (Übersetzung)
(Nato-Sprecher)
"Es sieht so aus, als haben wir es mit Hackern aus Belgrad zu tun, die unsere Website eingenommen haben. Sie haben unseren Server schwer getroffen, mit einer Art Pingpong-Bombardierung von Daten."
KOMMENTAR:
Siegessicher zeigen sich die jugoslawischen Datenkrieger. Auf ihrer Homepage wird der Nato-Angriff zum Verbrechen, von Mutanten ist dort die Rede, die menschliche Lebewesen angreifen.
Auf der Nachrichtenseite: Zinksärge gefallener Nato-Soldaten. Unter ihnen erstaunlicherweise auch schon elf Deutsche. Das ganze dekoriert mit einer Europa-Flagge aus Hakenkreuzen.
Nazivergleiche und Hakenkreuzsymbolik auch von deutschen Politikern Richtung Belgrad, als Rechtfertigung für den Krieg.
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RUDOLF SCHARPING:
(Bundesverteidigungsminister)
"Es gibt ernstzunehmende Hinweise auf im Kosovo eingerichtete Konzentrationslager."
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GERHARD SCHRÖDER:
(Bundeskanzler)
"Die Deportation der Menschen dort nehmen zu."
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JOSEF FISCHER:
(Bundesaußenminister)
"Ich habe nicht nur nie wieder Krieg gelernt, sondern auch nie wieder Auschwitz."
KOMMENTAR:
Starke Worte, die Widerspruch provozieren.
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PETER SCHOLL-LATOUR:
(Publizist)
"So ein Vergleich ist im Grunde unerträglich, nämlich die Leute werde ja nicht zur Massenabschlachtung in irgendwelche Gaskammern abgeführt, sondern sie werden in ein anderes, benachbartes Land vertrieben, was schlimm genug ist. Bei den führenden Politikern habe ich den entsetzlichen Verdacht, daß sie ihre Anhängerschaft, die sich ja zum großen Teil aus sehr friedensengagierten Leuten zusammensetzt, daß sie sie eben durch die Schilderung eines möglichst großen Horrors bei der Stange halten müssen."
KOMMENTAR:
Der vermutete Holocaust im Kosovo, in der Boulevard-Presse wird er schnell zur Tatsache. Das sind die Bilder, die an Todesmärsche in die Kzs erinnern. Diese Menschen aber wurden nach Mazedonien vertrieben. Sicher, schlimme Schicksale, aber die Wirkung der Bilder ist stärker als die Wahrheit.
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UDO RÖBEL:
(Chefredakteur Bild-Zeitung)
"Ich habe keine Angst, Dinge beim Namen und auf den Punkt zu bringen, wie man es von ‘Bild’ erwartet. Wenn Sie die Seite ‘Sie treiben sie ins KZ’ sehen - dieses Bild war so eindrucksvoll, der Treck von Zehntausenden aus Pristina, das sprach eigentlich für sich selbst. Und wenn dann an diesem Tag der Verteidigungsminister von Kzs in Serbien oder im Kosovo spricht, dann bekommt es mit diesem Bild und dieser Zeile eine unheimliche Dramatik."
KOMMENTAR:
Brandfackel Albanien, die Botschaft von gestern. Schon seit über zwei Wochen jeden Tag eine neue Bild-Schlagzeile zum Krieg. Die Frühkonferenz sucht den Aufmacher. Zur Auswahl: Flüchtlingsbilder, der desertierte serbische Soldat, Gysi in Belgrad oder etwas Menschelndes. Der Krieg und die Gefühle. Emotionen werden zu Nachrichten.
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UDO RÖBEL:
(Chefredakteur Bild-Zeitung)
"Sicher wird von der Boulevard-Zeitung, sagen wir mal, das Einzelschicksal, das menschliche Gesicht des Krieges ein bißchen mehr im Vordergrund stehen, wie wir das zum Beispiel mit der kleinen Albenite gemacht haben, ein Foto, das durch die ganze Welt ging und überall gedruckt worden ist und die Leute in einem besonderen Maße anrührte, weil einfach sich in diesem Kindergesicht plötzlich der ganze Krieg einmalig verdichtet hat."
KOMMENTAR:
"Ist dieser Krieg richtig?" - auch Schlagzeilen, die Zweifel ausdrücken.
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UDO RÖBEL:
"Wenn wir eine Schlagzeile machen ‘Ist dieser Krieg richtig?’ und fünfzig prominente Deutsche befragen, dann ist es einerseits natürlich ein Ausdruck, gebe ich ganz ehrlich zu, von Hilflosigkeit. Letztendlich wissen wir die Antwort genausowenig wie die fünfzig Leute, die wir befragt haben. Aber zweitens spiegelt es ganz einfach, glaube ich, die Stimmungslage der Bevölkerung wider, wo man schon auch bis in die Familie hinein diskutiert: Muß dieser Krieg sein oder nicht?"
KOMMENTAR:
Trotz aller Zweifel, jeden Tag starten auch deutsche Piloten weiter in Richtung Jugoslawien. Und die Sprachregelung der Bonner Strategen verschleiert die Schrecken des Krieges fast bis zur Unkenntlichkeit.
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SIGMUND GOTTLIEB:
(Chefredakteur BR, ARD-Brennpunkt 28.3.99)
"Die Nato bombt, bombt stärker als früher in dieser zweiten Phase ...."
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WALTER STÜTZLE:
(Verteidigungsministerium)
"Mir mißfällt ein bißchen die Formulierung ‘Die Nato bombt’, das hört sich so an, als ob die Nato auf ein militärisches Abenteuer aus ist."
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HARTMANN VON DER TANN:
(ARD-Chefredakteur)
"Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie Politiker oder auch Militärs eben auf Berichterstattung Einfluß nehmen wollen. Sie wissen ja, die Kritik an dem Wort Krieg ist aus Brüssel gekommen, da hieß es ‘campaign’ - das ist Unsinn, natürlich ist es Krieg. Und man muß auch Krieg sagen, wenn Krieg ist und wenn Bomben geworfen werden, was soll es denn anderes sein als ein Bombardement. Selbstverständlich muß man diese Worte brauchen."
KOMMENTAR:
Aber die Politiker scheuen sich, sie zu gebrauchen. Bombenangriffe werden zu Luftschlägen heruntergeredet, Zerstörungen an Wohnhäusern nennt man dann nur noch Kolateralschäden - Politikerdeutsch, das keiner versteht und keinem Angst macht.
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GERHARD SCHRÖDER:
(Bundeskanzler)
"..... die Implementierung einer internationalen Sicherheitstruppe."
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RUDOLF SCHARPING:
(Bundesverteidigungsminister)
"..... diesen zivilen Schaden."
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GERHARD SCHRÖDER:
"Wir führen keinen Krieg, aber wir sind aufgerufen, eine friedliche Lösung im Kosovo auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen."
Abmoderation
PATRICIA SCHLESINGER:
Wir führen keinen Krieg, dann gibt’s also auch keine Opfer. Daß beide Seiten versuchen, die Moral in den eigenen Reihen zu stabilisieren, ist Teil des Kriegsgeschäfts. Aber für dumm verkaufen sollte man die eigene Bevölkerung auch nicht. Gut, daß sich die deutschen Medien bisher kaum daran beteiligt haben. Trotz des Gefühls der moralischen Überlegenheit - das Unbehagen über diesen Krieg wird da deutlich vermittelt, und das Unbehagen nimmt zu.